Daniel Sander stand am Aquarium und fütterte seine Fische. Er nannte sie lächelnd meine Piranhas, weil sie so einen ungeheuren Appetit hatten. Diese unbewusste Sinnenlust seiner Fische konnte er gut verstehen. Es war die Sinnlichkeit, der er sich auch gerne hingab. Aus diesem Grund besaß er auch ein kugeliges Bäuchlein, mit dem er vor dem Essen manchmal Gespräche führte wie:
"Heute habe ich dir deine Lieblingsspeise gekocht. Kalbs - Nierchen mit Kartoffel Pürree. Dazu trinken wir einen Grauburgunder."
Manchmal war er einsam. Aber damit hatte er
schon umgehen gelernt, als er noch zur Schule ging. Damals in Hamburg, seiner Heimatstadt. Das war auch nicht anders geworden, als er später in Berlin studierte.
Er wurde gerne als Streber abgestempelt, obwohl das nicht stimmte. Was für die anderen harte Arbeit war, schaffte er fast spielerisch. Sich Wissen anzueignen, hatte ihm schon immer Spaß gemacht.
Und je mehr er sich in seine Studien verbiss, um so kleiner wurde die Auswahl an Mitmenschen, mit denen er sich unterhalten konnte. Er war kein Schwätzer, was er von sich gab hatte Hand und Fuß.
Seit zwanzig Jahren arbeitete er in Berlin an einem Gymnasium als Studiendirektor. Trotzdem war das nicht jeden Tag dasselbe.
Jedes Jahr wechselten die Abiturienten, denn er betreute die Abschluss -Klassen. Mit dem Wechsel der Schüler änderte sich das Niveau, sowie auch die Stimmung in der Klasse. Nur er blieb immer derselbe.
Nach einem Jahr gingen sie wieder aus seinem Leben. Ein paar von ihnen schickten Briefe, dann Karten, dann nichts mehr.
Eine lockere Freundschaft verband ihn mit einem Lehrerkollegen. Die Freundschaft hing am gemeinsamen Hobby, dem Schachspielen. Meistens schaute der Herr Kollege und Freund nach der ersten Schachpartie schon auf seine Armbanduhr. Er hatte eine Frau die auf ihn wartete.
Richtig lebendig wurde Daniel Sander, wenn er einem Buch, oder einem alten Manuskript
auf der Spur war. Mit einer an Fanatismus grenzenden Energie brachte er sämtliche Buchhändler von Antiquaren zur Verzweiflung. Seine Zweizimmerwohnung war, entlang den Wänden, mit Regalen versehen auf denen seltene und kostbare Bücher standen. Auf dem Buchregal im Schlafzimmer stand auch das Bild einer Frau.
Sie hatte ein Gesicht, wie ein Engel. Ihr langes, goldblondes Haar floss wie eine flüssige goldene Welle bis zu ihrer Hüfte. Sie trug ein langes, weißes Kleid, das der Wind leicht zauste.
"Meine Sybille", murmelte er, wenn er das Bild betrachtete. Sie war die einzige Frau, die er jemals geliebt hatte.
Das Bild seiner Eltern stand dem von Sybille
direkt gegenüber. Sein Vater, ein ernst blickender Herr im Senatsgewand, mit schütterem Haar. Das hatte er von ihm geerbt. Die Mutter eine unscheinbare, kleine Person mit dunklem Haar und liebevoll lächelndem Gesicht.
Bitterkeit stieg in ihm auf, wenn er das Bild des Vaters betrachtete. Sein einsames Leben hatte er ihm zu verdanken. Sybille, aus einfachem Elternhaus, war nicht gut genug für seinen Sohn. Sybille war Krankenschwester und das ledige Kind einer Hebamme. Seine Mutter hatte nie Einwände gegen Sybille gehabt. Aber niemand hörte auf die kleine, zierliche Frau. Die Patriarchische Art des Vaters ließ die kleine Frau im Laufe ihres Lebens verstummen.
Fünf Jahre, nachdem Sybille als Entwicklungshelferin nach Afrika gegangen war, erkrankte sie an Malaria. Ihr letzter Wunsch, Daniel noch einmal zu sehen. Er flog nach Afrika. Sybille starb nach drei Wochen schmerzlich durchlebtem Glück in seinen Armen.
Er hatte sie in den grünen Hügeln hinter dem kleinen Dorf begraben. Er war nie wieder zu dem kleinen Grab in den grünen Hügeln gereist. Das wollte er erst tun, wenn seine Uhr abgelaufen war. Testamentarisch hatte er verfügt dort neben Sybille begraben zu werden. Wenigstens im Tod wollte er mit ihr vereint sein. Und was trennte ihn von ihr. Noch ein bisschen Zeit. Damals als er in Afrika plötzlich vor ihr stand, sie in die Arme nahm,
war alles gut.
Und auch jetzt war alles gut!
Er lächelte und sah in sein Aquarium. Auf dessen feinem, bunten Kieselgrund, zwischen den Wasserlilien und den Fischen, stand eine winzig - kleine Frau. Goldblondes Haar perlte in einer leichten Strömung um ihre Gestalt und ihr weißes Kleid bauschte sich leicht. Sie ging zwischen den Fischen spazieren und winkte ihm lächelnd zu.
@Feedre