Romane & Erzählungen
Schreiben, um zu sterben - 6. Kapitel

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"Schreiben, um zu sterben - 6. Kapitel"
Veröffentlicht am 03. Februar 2022, 14 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Schreiben, um zu sterben - 6. Kapitel

Schreiben, um zu sterben - 6. Kapitel

Kapitel: 6: Bernd

Nur noch eine Beziehung, dann kann ich endlich über dich, über uns schreiben, mein Liebling. Leider ist das, was noch fehlt, ausgerechnet diese schreckliche Beziehung. Aber dann bekomm ich endlich das Gift und kann zu dir. Ach, ich wollt, ich könnte diesen Teil unterschlagen. Die Erinnerung tut mir auch noch nach so vielen Jahren weh. Ich schäme mich dafür, dass ich mich aufgegeben habe, mir nichts mehr Wert war, einen anderen Menschen komplett die Herrschaft über mich gegeben habe. Das war eine dunkle Zeit. Zum Glück ist sie vorbei. Wie fange ich an zu erzählen?

Vielleicht so…

***

Bernd

„Fredi, im Zusammensein mit diesem Mann leidest du an Hirn-Erweichung!“, waren die Worte meiner Freundin, wenn ich wieder heulend bei ihr angekrochen kam.

Es begann mit einer Sylvesterparty, auf

der ich Bernd kennen lernte. Er hatte lebendige, blaue Augen, weiche, sinnliche Lippen, war eine sympathische Mischung aus Muskeln und Fett und hatte eine wunderbar tiefe Stimme. Er war ein kluger, beobachtender Mann mit einer zurückhaltenden, manchmal aber auch scharfen Zunge. Er hatte sofort meine Aufmerksamkeit erregt. Ich flirtete heftig mit ihm. Und er mit mir. Bernd studierte Wirtschaftswissenschaften in einer anderen Stadt und war zu Besuch bei der Gastgeberin. Schon in zwei Tagen musste er wieder zurück.

Auch mit Bernd wiederholte sich ein

Muster, auf dass ich immer wieder abfuhr: Der wilde und der brave Mann.

Bis dato waren One-night-stands so gar nicht mein Fall. Aber das hier war wie geschaffen für eine heiße Affäre: Eine Party und dann noch zwei lustvolle Tage hintendran? Ich bekam diese gefährliche Jetzt-oder-Nie-Stimmung und wir landeten noch am selben Abend im Bett; in meinem Bett. Die Begegnung mit ihm war ohne Worte; so wunderbar, ungewöhnlich, intensiv, zärtlich. Doch anstatt es bei diesem aufregendem Erlebnis zu belassen, beging ich den Fehler und machte weiter. Und begann meine dritte Fernbeziehung.

Bernd hatte eine eigene Wohnung, gemütlich und sehr, sehr ordentlich; alles hatte seinen festen Platz. Dieser Mann besaß keinen einzigen Karl May; hatte dafür aber beispielsweise Bücher über den Dalai Lama und `die Globalisierungsfalle`. Es gab exklusiven Tee, den er online in großen Mengen bestellte, geraucht werden durfte nur auf dem Balkon.

Bernd war ein „Dunkler Magier“: Schon vom ersten Tag an fühlte ich mich von ihm durchschaut. Mit Leichtigkeit schaute er in das Innerste eines jeden Menschen; auch in meines. Bei dieser Innenschau hatte Bernd ein besonderes

Faible für die Schwächen seines Gegenübers, dessen erlebte Kränkungen, Leichen im Keller und blinde Flecken. All das brachte er einfühlsam in Erfahrung … und wühlte dann ohne Ende darin herum.

Das Zusammensein mit ihm glich einer emotionalen Achterbahn. Bernd konnte mich in die höchsten Höhen des Glücks katapultieren. Und im nächsten Moment in den tiefsten Abgrund stürzen. Nur um mir wiederum verlockend in Aussicht zu stellen, bald wieder das höchste Glück mit ihm zu erleben. So ein Leiden kann nur Leidenschaft schaffen. Meine Leidenschaft hat Bernd genossen, er hat

sie gepuscht, um sie mir rücksichtslos auszusaugen, konnte nicht genug davon kriegen.

Von Außen betrachtet hört es sich befremdlich an, aber es dauerte nicht lange und ich gab alle meine Grenzen auf. Immer stärker lebten wir seine sexuellen Phantasien aus; seine Sado-Maso-Phantasien. Phantasien, die mein Selbst-Bewußtsein völlig auflösten. Ich übernahm den unterlegenen Part, wurde ihm hörig und war auch noch stolz darauf, ihm zu gehören. Dies hatte nichts mehr mit den mir bekannten Sado-Maso-Spielen zu tun. Dies hier war perfideste Quälerei eines Sadisten. Bald verlor ich

mein Lachen, meine Lebenslust, meine Leichtigkeit, gab mich völlig auf und in seine Hände; er konnte alles mit mir machen.

Zum Glück kratzte noch etwas an meinem Bewusstsein: Hey, Süße, schau mal genau hin! Das ist doch was merkwürdig; findest du nicht? Tatsächlich: Bernd hatte ein enormes und dabei völlig rücksichtloses Anlehnungsbedürfnis. Er ließ sich von mir trösten wie ein kleines Kind, war egoistisch und extrem schnell gekränkt. Außerdem misstraute er allem und jedem. Auch mir.

Das alles passte tatsächlich nicht zu dem Bild von dem tollen, überlegenen Mann, das ich bis dato von ihm hatte. Ganz langsam wurde mir das klar. Irgendetwas konnte mit diesem Typen ganz und gar nicht stimmen! Mir wurde unheimlich, ich bekam Angst, versuchte mich von ihm zu trennen. Doch es blieb nur bei dem Vorhaben.

Dann lieferte er mir selbst den nötigen Schwung zur Trennung. Denn er erzählte mir, dass er gerne und regelmäßig zum Straßen-Puff ginge. Natürlich würde das auch noch immer so sein; ich wäre also mitnichten die einzige Frau in seinem Leben. Ich war durcheinander, gekränkt,

wütend, beschämt, alles zusammen, alles durcheinander. Ich wollte die Nummer Eins für einen Mann sein; die einzige Nummer Eins. Mein Partner sollte keine anderen Frauen brauchen. Ich schaffte es, mich von diesem Mann loszureißen. Es war eine laute, aggressive und verletzende Trennung.

Und wieder war ich erleichtert, dass meine frühere Liebe in einer anderen Stadt wohnte und wir uns nicht über den Weg laufen konnten. In den folgenden Monaten sammelte ich behutsam alles auf, was noch von mir übrig war. Viel war es nicht mehr. Ich zog Bilanz: Ich war 27, hatte jede Menge alte Narben

und frische Wunden. Und ich hatte noch immer keinen Mann gefunden, mit dem ich alt werden wollte.

Dann wurde die Mauer geöffnet. Und ich begegnete Martin.

****

Geschafft! Ich lehne mich erleichtert zurück. Martin, ich habe es geschafft!  Wie hat mir davor gegraut, die dunkle Liebe zu diesem Psycho aufzuschreiben. Ich hab ihn nie wieder gesehen und bis heute hatte ich ihn säuberlich aus

meinem Gedächtnis getilgt. Unglaublich, nach so langer Zeit konnte mir diese Liebe noch so wehtun.

So, jetzt muss ich nur noch die Beziehung mit Martin aufschreiben. Dann bekomm ich das Gift und kann endlich zu ihm.

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PuckPucks

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Nereus Liebe Judith
es beeindruckt mich sehr, wie Du die verschiedensten Menschen hier erstehen lässt.
Da gehört schon eine Menge Menschenkenntnis dazu, nicht zu vergessen eine Erzähl- und Schreibbegabung, ohne die dass ja nicht lesbar geworden wär.
dankend lieben Gruß
markus
Vor langer Zeit - Antworten
PuckPucks Ach, lieber markus, du schreibst so wunderschöne Kommentare. Ja, in der Tat, das ist für mich das Schönste am Schreíben: Dass ich Menschen entstehen und handeln lassen kann.
Hab vielen Dank
Judith
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR 
Liebe Judith,
solche Narzissten wie Bernd sind leider gar nicht so selten und können eine Frau an den Rand treiben ... Eigentlich kann es nun kaum noch schlimmer kommen, aber warten wir es ab. Ich bin schon sehr gespannt!
Liebe Grüße
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
Gast Ja, liebe fleur, ich habe beim Schreiben so gedacht, dass es eigentlich eine Narzisten-Warn-App geben sollte. "Achtung, sie hatten gerade Kontakt mit einem hochgradig gestörten Menschen. Bitte halten sie unbedingt Abstand!!!"
Schön, dass du dabei bist. Wir haben jetzt mit Bernd das "Bergfest" gehabt. Die wilden Zeiten sind vorbei, doch leider will Frederike immer noch zu ihrem Martin :o(
Liebe Grüße
Judith
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Wer es einmal mit einem Narzissten zu tun hatte, sollte dadurch geheilt sein und zukünftig auf Abstand gehen. Aber es kann sehr schmerzhaft sein ...
Wünsche dir ein schönes Wochenende!
Lieben Gruß
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
MerleSchreiber Das Mädel zieht aber auch Typen an - wie kommt das denn? Na ja, da hat sie ja grade nochmal so die Kurve gekriegt. Zum Glück!
Die nächste Geschichte, die mit Martin kennen wir ja schon, nicht wahr?
Warum, zum Teufel, meint Fredi, dass sie das Gift bekommt? Ich versteh`s nicht!
Freue mich, wenns weitergeht. Bis dahin, liebe Grüße, Merle
Vor langer Zeit - Antworten
PuckPucks Liebe enttäuschte Merle, das ist doch nicht real. Natürlich würde Frederike unter realen Umständen nie das Gift bekommen. Aber das ist (m)eine Geschichte. Eine Geschichte, die zwar nah an der Wirklichkeit ist, aber eben auch nicht mehr. Frederike erledigt die nötigen Auflagen (das Schreiben), um an das Gift zu kommen. Wie und ob sie sich während des Schreibens verändert, davon handelt dieser Entwicklungsroman und wir beobachten sie bei dieser Entwicklung.
Das ist auch schon alles.
Liebe Grüße
Judith
Vor langer Zeit - Antworten
MerleSchreiber Lach, das ist mir schon klar und ich bin nicht enttäuscht! Ich habe eine sehr direkte Ausdrucksweise bei meinen Kommentaren, die sich aber natürlich auf die Fiktion bezieht.
Liebe Grüße, Merle
Vor langer Zeit - Antworten
Gast Na, dann ist ja gut ;o))
Vor langer Zeit - Antworten
Bleistift 
"Schreiben, um zu sterben - 6. Kapitel..."
Nun, der bisherige Höhepunkt in dem Beziehungskonstrukt zu diversen
männlichen Partnern und ausgerechnet dieser Typ ein Narzist und Dämon zugleich, dem ist deine Protagonistin leider verfallen und sie kann letzten Endes froh sein, sich davon wieder loseisen zu können...
Er erinnert mich ein ganz klein wenig an diesen egomanischen Philosphen-Typen aus dem Ostberliner DEFA-Film, "Solo Sunny"...smile*
Interessante Fortsetzungsgeschichte, die ich gerne weiterlesen werde...
LG
Louis :-)
Vor langer Zeit - Antworten
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