Kapitel: 6: Bernd
Nur noch eine Beziehung, dann kann ich endlich über dich, über uns schreiben, mein Liebling. Leider ist das, was noch fehlt, ausgerechnet diese schreckliche Beziehung. Aber dann bekomm ich endlich das Gift und kann zu dir. Ach, ich wollt, ich könnte diesen Teil unterschlagen. Die Erinnerung tut mir auch noch nach so vielen Jahren weh. Ich schäme mich dafür, dass ich mich aufgegeben habe, mir nichts mehr Wert war, einen anderen Menschen komplett die Herrschaft über mich gegeben habe. Das war eine dunkle Zeit. Zum Glück ist sie vorbei. Wie fange ich an zu erzählen?
Vielleicht so…
***
Bernd
„Fredi, im Zusammensein mit diesem Mann leidest du an Hirn-Erweichung!“, waren die Worte meiner Freundin, wenn ich wieder heulend bei ihr angekrochen kam.
Es begann mit einer Sylvesterparty, auf
der ich Bernd kennen lernte. Er hatte lebendige, blaue Augen, weiche, sinnliche Lippen, war eine sympathische Mischung aus Muskeln und Fett und hatte eine wunderbar tiefe Stimme. Er war ein kluger, beobachtender Mann mit einer zurückhaltenden, manchmal aber auch scharfen Zunge. Er hatte sofort meine Aufmerksamkeit erregt. Ich flirtete heftig mit ihm. Und er mit mir. Bernd studierte Wirtschaftswissenschaften in einer anderen Stadt und war zu Besuch bei der Gastgeberin. Schon in zwei Tagen musste er wieder zurück.
Auch mit Bernd wiederholte sich ein
Muster, auf dass ich immer wieder abfuhr: Der wilde und der brave Mann.
Bis dato waren One-night-stands so gar nicht mein Fall. Aber das hier war wie geschaffen für eine heiße Affäre: Eine Party und dann noch zwei lustvolle Tage hintendran? Ich bekam diese gefährliche Jetzt-oder-Nie-Stimmung und wir landeten noch am selben Abend im Bett; in meinem Bett. Die Begegnung mit ihm war ohne Worte; so wunderbar, ungewöhnlich, intensiv, zärtlich. Doch anstatt es bei diesem aufregendem Erlebnis zu belassen, beging ich den Fehler und machte weiter. Und begann meine dritte Fernbeziehung.
Bernd hatte eine eigene Wohnung, gemütlich und sehr, sehr ordentlich; alles hatte seinen festen Platz. Dieser Mann besaß keinen einzigen Karl May; hatte dafür aber beispielsweise Bücher über den Dalai Lama und `die Globalisierungsfalle`. Es gab exklusiven Tee, den er online in großen Mengen bestellte, geraucht werden durfte nur auf dem Balkon.
Bernd war ein „Dunkler Magier“: Schon vom ersten Tag an fühlte ich mich von ihm durchschaut. Mit Leichtigkeit schaute er in das Innerste eines jeden Menschen; auch in meines. Bei dieser Innenschau hatte Bernd ein besonderes
Faible für die Schwächen seines Gegenübers, dessen erlebte Kränkungen, Leichen im Keller und blinde Flecken. All das brachte er einfühlsam in Erfahrung … und wühlte dann ohne Ende darin herum.
Das Zusammensein mit ihm glich einer emotionalen Achterbahn. Bernd konnte mich in die höchsten Höhen des Glücks katapultieren. Und im nächsten Moment in den tiefsten Abgrund stürzen. Nur um mir wiederum verlockend in Aussicht zu stellen, bald wieder das höchste Glück mit ihm zu erleben. So ein Leiden kann nur Leidenschaft schaffen. Meine Leidenschaft hat Bernd genossen, er hat
sie gepuscht, um sie mir rücksichtslos auszusaugen, konnte nicht genug davon kriegen.
Von Außen betrachtet hört es sich befremdlich an, aber es dauerte nicht lange und ich gab alle meine Grenzen auf. Immer stärker lebten wir seine sexuellen Phantasien aus; seine Sado-Maso-Phantasien. Phantasien, die mein Selbst-Bewußtsein völlig auflösten. Ich übernahm den unterlegenen Part, wurde ihm hörig und war auch noch stolz darauf, ihm zu gehören. Dies hatte nichts mehr mit den mir bekannten Sado-Maso-Spielen zu tun. Dies hier war perfideste Quälerei eines Sadisten. Bald verlor ich
mein Lachen, meine Lebenslust, meine Leichtigkeit, gab mich völlig auf und in seine Hände; er konnte alles mit mir machen.
Zum Glück kratzte noch etwas an meinem Bewusstsein: Hey, Süße, schau mal genau hin! Das ist doch was merkwürdig; findest du nicht? Tatsächlich: Bernd hatte ein enormes und dabei völlig rücksichtloses Anlehnungsbedürfnis. Er ließ sich von mir trösten wie ein kleines Kind, war egoistisch und extrem schnell gekränkt. Außerdem misstraute er allem und jedem. Auch mir.
Das alles passte tatsächlich nicht zu dem Bild von dem tollen, überlegenen Mann, das ich bis dato von ihm hatte. Ganz langsam wurde mir das klar. Irgendetwas konnte mit diesem Typen ganz und gar nicht stimmen! Mir wurde unheimlich, ich bekam Angst, versuchte mich von ihm zu trennen. Doch es blieb nur bei dem Vorhaben.
Dann lieferte er mir selbst den nötigen Schwung zur Trennung. Denn er erzählte mir, dass er gerne und regelmäßig zum Straßen-Puff ginge. Natürlich würde das auch noch immer so sein; ich wäre also mitnichten die einzige Frau in seinem Leben. Ich war durcheinander, gekränkt,
wütend, beschämt, alles zusammen, alles durcheinander. Ich wollte die Nummer Eins für einen Mann sein; die einzige Nummer Eins. Mein Partner sollte keine anderen Frauen brauchen. Ich schaffte es, mich von diesem Mann loszureißen. Es war eine laute, aggressive und verletzende Trennung.
Und wieder war ich erleichtert, dass meine frühere Liebe in einer anderen Stadt wohnte und wir uns nicht über den Weg laufen konnten. In den folgenden Monaten sammelte ich behutsam alles auf, was noch von mir übrig war. Viel war es nicht mehr. Ich zog Bilanz: Ich war 27, hatte jede Menge alte Narben
und frische Wunden. Und ich hatte noch immer keinen Mann gefunden, mit dem ich alt werden wollte.
Dann wurde die Mauer geöffnet. Und ich begegnete Martin.
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Geschafft! Ich lehne mich erleichtert zurück. Martin, ich habe es geschafft!  Wie hat mir davor gegraut, die dunkle Liebe zu diesem Psycho aufzuschreiben. Ich hab ihn nie wieder gesehen und bis heute hatte ich ihn säuberlich aus
meinem Gedächtnis getilgt. Unglaublich, nach so langer Zeit konnte mir diese Liebe noch so wehtun.
So, jetzt muss ich nur noch die Beziehung mit Martin aufschreiben. Dann bekomm ich das Gift und kann endlich zu ihm.