Der Alltag hat uns wieder
Oder:
So, nu ist aber mal genug mit dem ganzen weihnachtlichen Gedöns und dem sinnlosen Rumgeballere in der Nacht.
Obwohl ja auch in diesem Jahr das Böllern in bestimmten Gebieten und beliebten Plätzen innerhalb Berlins verboten war und wohl wieder keine Raketen, Knaller etc. verkauft wurden (laut Hörensagen, denn ich war ja in der
Prignitz), war dann nachts doch wieder ganz schön viel los. Doch warum knallen wir eigentlich und gäbe es nicht Alternativen, die sowohl den Geldbeutel als auch die Umwelt, unsere Nerven und auch die unserer Haus- und Wildtiere schonen würden? Ich habe mich mal umgehört.
So weit ich weiß, knallen wir ja zu Silvester, um die bösen Geister zu vertreiben. Dieser Brauch stammt wohl von den Germanen ab, die damals wegen des fehlenden Feuerwerks Holzräder anzündeten und abschüssige Berghänge herunterrollen ließen. Dazu machten sie mächtig Krach, indem sie zum Beispiel laut riefen und auf Töpfe schlugen. Die Verbindung von Licht und Krach sollte dann alles vertreiben, was böse Gedanken hatte. Zum Beispiel Geister, an die man ja damals noch glaubte.
Nun sind wir heute ja nicht mehr so
einfältig. Die Wissenschaft hat uns aufgeklärt und wir können uns viele früher rätselhafte Phänomene erklären. Auch wenn wir nicht mehr an Geister glauben, so ist die Tradition des Böllerns in dieser Nacht geblieben. Der Spaß am lauten Spektakel ist jedoch geblieben und wurde mit der Zeit intensiviert.
Doch leider ergeben sich dadurch andere Probleme. Einerseits wissen wir inzwischen, dass Krach krank machen kann. Glücklicherweise beschränkt sich das Böllern ja auf einen begrenzten Zeitraum um Mitternacht herum. Mit einigen Ausnahmen. Mit der Zeit wurde der Lärmpegel der Silvesterraketen und
der Knaller immer lauten. Und die Lichtblitze immer intensiver. Heute gibt es zunehmend immer mehr Menschen, die von dem Geballere nur noch genervt sind.
Doch auch die Tierwelt leidet. Fast jeder Hundebesitzer weiß, wie stressig Silvester für unsere Vierbeiner ist. Die Tierärzte verschreiben großzügig Beruhigungsmittel. Ich hatte mein ganzes Leben lang Hunde und weiß, wovon ich spreche. Am Schlimmsten hat es die letzten beiden erwischt. Fox war ein griechischer Straßenhund aus einer Tötungsstation, den mein Sohn und ich in einem kleinen privaten Tierheim in
Bayern fanden. Ich hatte schon von ihm berichtet. Einige Jahre später kam Pupsi in unsere Familie. Eigentlich nur für einige Tage, da das Frauchen aus der Nachbarschaft ins Krankenhaus musste. Aber sie erholte sich nicht wirklich und musste anschließend in eine Pflegeeinrichtung, wo Hunde natürlich nicht erlaubt waren. Also blieb die kleine Chihuahua-Mischlingshündin mit nur noch zwei verbliebenen und schiefen Eckzähnen, der stets aus dem Mundwinkel hängenden Zunge und dieser Empörungsrufe aller im Zimmer befindlichen Personen erzeugenden Angewohnheit, die ihr schnell ihren Spitznamen einbrachte.
Auch Pupsi hatte eine Vorgeschichte, die sie bei Geräuschen panisch werden ließ. Und so wurde jedes Silvester zu einer großen Herausforderung für uns alle. Und jedes Jahr wieder. Ich hab es mit allem versucht. Mit Ablenkung, mit dem Aussperren von Silvester, sprich Rollos runter und Fernseher etwas lauter stellen. Und auch mit diversen vom Tierarzt verschriebenen Medikamenten. Hat alles nichts geholfen. Panik pur. Das wurde so schlimm, dass sie am Silvestertag ab 14 Uhr nicht mehr nach draußen wollten und noch Tage später sich gegen das Gassigehen sträubten. Und das, obwohl
sie stressbedingt in dieser Zeit zu heftigem Spritzepups neigten.
Irgendwann bekamen beide Herzprobleme, wegen dem hohen Alter und somit fiel die Medikamentengabe flach. Daher versuchte ich es in einem Jahr mit einer Reise an einen Ort, an dem das Böllern absolut verboten war. Ja, auch das gibt es in Deutschland. Auf der nordfriesischen Insel Amrum befindet sich ein weitläufiges Schutzgebiet für überwinternde Wildvögel. Daher müssen die Bewohner auf jede Art von Böllern, Raketen und Krachern in der Silvesternacht verzichten. Und natürlich auch die vielen Urlauber. Denn die
Ferienunterkünfte sind gerade um den Jahreswechsel heiß begehrt. Anscheinend nervt das Knallen nicht nur mich. Schon im August sind die meisten Zimmer für diesen Zeitraum reserviert. In diesem Jahr verlief meine Silvesternacht total entspannt, aber leider nicht die Rückfahrt im neuen Jahr. Denn Sturm kam auf am Abreisetag und die Fähren auf das Festland fuhren nur vereinzelt. Ich kam mit der letzten mit, eher der Fährverkehr eingestellt wurde. Also ich wusste bis dahin nicht, wie sich eine Seekrankheit anfühlt, jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich davon verschont bliebe, auf hoher See und schaukelndes Planken. In meinem Magen
hat es ganz schön gerumpelt bei der Überfahrt. Noch schlimmer war es beim Verlassen der Fähre.
Das gesamte Ufer stand fast kniehoch unter Wasser und man hatte Paletten übereinandergestapelt, damit die Fahrgäste einigermaßen feuchten Fußes die Fähre verlassen konnten. Da jedoch die See so unruhig war, hob und senke sich der Boden der Fähre ständig um mindestens 10 oder 15 cm. Also konnten die Fußgänger wie ich nur einzeln und nacheinander das Schiff verlassen, links und rechts flankiert von einem Matrosen, der Händchen hielt, um das Schwanken wenigstens teilweise auszugleichen. Und
ich hatte zusätzlich noch unter jedem Arm einen Hund geklemmt. Eine echte Herausforderung, kann ich euch sagen.
Das Gepäck wurde uns später separat gebracht. Bei jeder Welle konnte nur ein Passagier die Fähre verlassen. Dementsprechend lange dauerte es. Und unser letzter Zug war weg. Wir mussten uns also noch einmal eine Übernachtungsmöglichkeit kümmern. Gar nicht so einfach bei meinem knappen Budget.
Die Jahre danach wurden dann so richtig stressig. Letztendlich half nur noch ins Bett gehen. Die Hunde verkrümelten sich
dann während der Knallerei unter der Decke. Zusammen mit dem Geräusch des Fernsehers überstanden sie dann irgendwie die lauteste Nacht des Jahres, was wahrscheinlich auch daran lag, dass beide mit zunehmenden Alter einfach schwerhörig wurden.
Und nun stellt euch vor, wie die Wildtiere leiden müssen. Füchse, Rehe, Hasen und allerlei Vögel wohnen hier in unmittelbarer Nähe zu unserem Wohngebiet. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was die für Höllenqualen leiden müssen. Besonders die Jungtiere, die im Frühjahr geboren wurden und das laute Spektakel ja gar nicht kennen.
Wird es da nicht langsam Zeit zum Umdenken?
Ich hoffe, ich konnte euch ein wenig zum Nachdenken bringen. Denn es gibt ja auch andere Möglichkeiten, das neue Jahr zu begrüßen.
Nachzulesen zum Beispiel in diesem Artikel, den ich bei der Internetsuche zu diesem Thema gefunden habe:
Kuriose Neujahrsbräuche aus aller Welt (berlitz.com)
Hier werden mehrere Beispiele aus aller Welt aufgezeichnet, die zeigen, dass man auch ohne den ganzen Stress Silvester feiern könnte. Wenn man denn wollte. Denn wie gesagt, an die Vertreibung von Geistern glauben ja nur noch die
wenigsten von uns, könnte ich mir vorstellen.
Warum also versuchen wir es dann nicht mal mit Bräuchen, die den Geldbeutel, die Umwelt und die Nerven aller schonen? Vielleicht wäre das einmal ein Denkanstoß für das nächste Silvester....
Für heute wünsche ich euch allen da draußen noch einen schönen Abend.
… und passt auf euch auf.
Euer vagabundinchen