Onkel Ferdinand erzählte immer gern von Früher, Geschichten aus seiner Kinderzeit.
Unser Vater hingegen hielt sich zurück. Um uns Kindern die Zeit bis zur Bescherung zu verkürzen, erzählte Onkel Ferdinand dann von Weihnachten zu seiner Kinderzeit.
An hohen Feiertagen kam die ganze Familie zusammen, alle Onkel und Tanten nebst ihren Kindern, sowie unsere Großeltern. So war es auch an Weihnachten.
Früher, Ferdinand war zehn Jahre alt, unser Vater Friedrich bereits zwölf und
Tante Marie acht Jahre, war alles anders.
Es begann schon in der Vorweihnachtszeit. Man sang zusammen „O du fröhliche“ und feierte den ersten Advent. Am großen Kranz, der von der Decke hing, brannte die erste Kerze.
Die Kinder hatten nur einen Adventskalender. Der war groß und aus Holz. Die Kinder öffneten nacheinander die einzelnen Fenster. Jeden Tag durfte ein anderes Kind ein Türchen aufmachen. Die Reihenfolge war genau festgelegt., zuerst Ferdinand, als der Älteste, dann Friedrich und zum Schluss Marie das Nesthäkchen. Hinter den Türchen waren bunte Bilder, mit frommen Charakter.
Die Adventszeit war erfüllt vom
Kuchenduft und von Bratäpfeln.
Es wurde reichlich gebacken. Große Stollen und Vanillekipfeln.
Die zweite Kerze brannte und „Laßt uns froh und munter sein“wurde angestimmt.
Die Kinder warteten auf den ersten Schnee, denn das war ein untrügliches Zeichen für das nahende Weihnachtsfest. Wenn der Schnee dann einsetzte, die Kinder das Eis auf dem See prüften dann war es Zeit für die dritte Kerze. Wieder wurde gesungen, die Mutter spielte auf dem Klavier und Marie die Flöte, diesmal wie könnte es anders sein „Leise rieselt der Schnee“.
Die Spannung stieg mit jedem Tag, ebenso die Nervosität von Marie. Marie war oft so nervös, dass sie beim Anziehen ihre Stiefel vertauschte. Die Jungen machten ihre Witze darüber, was mit einer Kopfnuss seitens ihres Vaters geahndet wurde. Damals wurde sofort gehandelt, nicht erst lange diskutiert. Mit der vierten Kerze begannen auch die Ferien. Welch Lichtblick und Zeit für „Kling Glöckchen klingelingeling“.
Dann endlich war es soweit, der längste Tag des Jahres begann, für Kinder der längste Tag des Jahres. Ohne Zweifel wachte man früh auf. So etwas passierte nie, wenn man zur Schule gehen musste.
Dadurch wurde der Tag noch länger. Nach dem Frühstück putzten die Kinder bereitwillig ihre Schuhe, man wollte schließlich noch mal einen guten Eindruck machen. Auch in der Küche waren sie hilfsbereit und fanden allerlei Arbeiten, bei denen sie helfen konnten. Selbstverständlich wurde das Ganze von der ständig wiederkehrenden Frage: „Wann kommt denn das Christkind?“, begleitet.
Hinter verschlossenen Türen wurde der Tannenbaum geschmückt. Der Esstisch festlich gedeckt. Es wurde früher Kaffee getrunken als gewöhnlich. Die Kinder bekamen heiße Schokolade. Es gab
Stollen und Plätzchen aber die Kinder hatten keinen rechten Hunger. Die Anspannung war einfach zu groß. Die Erlösung war aber immer noch nicht in Sicht. Also wurde vorsichtshalber noch einmal nachgefragt: „Wann kommt denn das Christkind?“
Selbstverständlich ging man auch noch in die Kirche, wie es sich gehört, natürlich zu Fuß. Zum wiederholten Male sahen sie das Krippenspiel. Als hätte sich über das Jahr irgendwas an der Handlung geändert. Auf dem Rückweg zeigte Friedrich immer, dass er der Schnellste war. Mit den Worten: „Vielleicht war das Christkind ja schon da!“, schoss er davon.
Abendessen, auch das noch! Das Ganze machte Marie wieder derart nervös, dass sie ohne unterlass an ihrem Rocksaum fingerte und die Naht auftrennte. Ansonsten waren die Kinder still. Denn wenn man ruhig war, konnte man eventuell das Christkind hören.
Dann, dann endlich wurden die beiden Flügel der Tür zum Wohnzimmer geöffnet.
Der Blick auf den glitzernden Tannenbaum war frei.
Gemeinsam wurde ein Weihnachtslied angestimmt, „Ihr Kinderlein kommet …“, Marie durfte Klavier spielen. Sie konnte das recht gut. Die Kinder sagten fromme Gedichte auf. Und endlich, endlich
durften alle Kinder nachsehen, ob ein Geschenk für sie unter dem Baum lag.
Marie bekam Klaviernoten und eine Puppe. Die beiden Jungen bekamen Bücher und einen Laubsägekasten. Der Vater sagte immer: „Jungen müssen auch mit Werkzeug umgehen können.“
Die Beiden zeigten, was sie konnten. Sie sägten und hämmerten, was der Kasten hergab. Marie spielte „Stille Nacht, Heilige Nacht“, auf dem Klavier. Die Erwachsenen saßen wieder um den Esstisch und tranken Feuerzangenbowle. Es wurde gefeiert, gesungen und gelacht. Es wurde gerne bei uns gefeiert. Die Kinder damals waren gut erzogen, die Erwachsenen mussten sich nicht weiter
darum kümmern.
Der Laubsägekasten hatte schnell alles hergegeben. Da war guter Rat teuer und der Abend noch lang. Friedrich und Ferdinand waren einfallsreich und fanden schnell eine Lösung für ihr Problem.
Unbekümmert sägten sie weiter. Sie wussten schon, dass es nicht recht war, was sie taten, aber das Sägefieber hatte sie gepackt. Es sagte ja auch niemand etwas. Noch nicht!
Marie spielte weiter, die „Stille Nacht“. Die Knaben sägten im Takt. Die Erwachsenen waren fröhlich, welch traute Nacht.
Und wäre Onkel Bernhard, der der Feuerzangenbowle sehr zugetan war,
nicht so ungeschickt vom Tisch aufgestanden und hätte der Vater nicht plötzlich gedonnert: „Verdammte Bande, was macht ihr unter dem Tisch!“, dann hätten die Jungen sich auch nicht so erschrocken. Friedrich wäre nicht gegen seine Sägearbeit gestoßen. Die dicken Beine des Tisches hätten sich nicht verschoben. Die Erwachsenen hätten nicht hektisch vom Tisch aufspringen müssen.
So aber bekam die Tischplatte eine bedenkliche Schräglage, um dann krachend auf den Boden zu fallen. Die Gläser rutschten in die Sägespäne und die Tischbeine zeigten ihre frischen Sägeflächen.
Marie spielte plötzlich die „Stille Nacht“ unnatürlich schnell. Onkel Bernhard lallte: „Das muss aber noch geschliffen werden.“
Die Jungen beschleunigten ihre Bewegungen und schafften es vor dem endgültigen Donnerwetter des Vaters den Dachboden zu erreichen.
Erst, nachdem alles ganz still war, im Haus, trauten sie sich wieder nach unten. Heimlich schlichen sie in ihr Zimmer, wohl wissend das Sie der Strafe doch nicht entgehen konnten.
Da Friedrich und Ferdinand gezeigt hatten, dass sie so gut mit der Säge umgehen konnten, durften sie für den
Rest des Winters für Feuerholz sorgen.