„Weihnachten!“, stöhnte der Weihnachtsmann laut und schulterte den prall gefüllten Sack. Die Schritte knirschten im tiefen Schnee, während er Sack für Sack aus dem Haus zum Schlitten schleppte. „Wie schön wäre es, jetzt am lodernden Kaminfeuer sitzenzubleiben, einen heißen Grog zu schlürfen und von den frisch gebackenen Keksen zu naschen, die gerade erst aus dem Ofen gekommen sind.“
„Du musst los, alter Mann“, rief ein Elf und schob den Weihnachtsmann energisch zur Tür hinaus. „Und denk dran, immer der Nase nach, dann findet jedes Päckchen seinen Adressaten.“
„Ja, ja“, brummelte der Weihnachtsmann
und stapfte mit dem letzten Sack zum Schlitten, der von einem Dutzend Rentiere gezogen wurde. Sobald er die Zügel in die Hand nahm, flogen die eifrigen Zugtiere in die finstere Nacht. Dann wurde es still im Weihnachtsmannhaus.
Die Elfen ließen sich müde in die Sessel am Kamin fallen und knabberten von den noch handwarmen Keksen. Manch einer kippte sich einen Schuss in den Punsch. Wenig später lag über allem ein himmlischer Friede, nur unterbrochen von vereinzeltem Schnarchen.
Währenddessen flog der Weihnachtsmann seine Runde einmal um die Welt herum. Binnen Augenblicken hatte er alle
Geschenke in jedem Haus auf seiner Liste unter den Bäumen abgeladen.
„Wie schön! Ich bin dieses Mal wirklich schnell gewesen! Dann kann ich ja heimfliegen und bin vor Tagesanbruch wieder daheim.“
Er ließ die Rentiere laufen und lehnte sich müde in die weichen Kissen. Wenig später war er eingeschlafen und nur ein brummelndes Schnarchen verriet ihn. Die Rentiere, so ganz ohne Führung, hätten den Heimweg auch allein gefunden, wäre da nicht plötzlich ein süßer, verführerischer Duft in ihre Nasen gestiegen. Wie auf ein geheimes Zeichen hin lenkten sie den Schlitten immer dem Duft nach. „Was uns dort wohl erwartet!
Ich freu mich schon! Endlich mal was los hier! Wurde auch Zeit! Immer derselbe Weg ist doch langweilig! Auf ins Abenteuer“, riefen sie durcheinander.
Wenig später erreichten sie eine riesige Burg, die hell erleuchtet inmitten eines dichten Waldes stand. Der Duft war betörend! Himmlisch! Sie legten ihr Geschirr ab. Rudolf schob mit seiner roten Nase die Decke weiter über den Bauch des Weihnachtsmanns. „Er soll ja nicht frieren!“
Dann folgte er den Kollegen. Das Burgtor öffnete sich wie von Geisterhand und nun drang lieblichste Musik an ihre Ohren. Zögernd, aber nicht weniger neugierig, betraten sie die Eingangshalle,
die über und über mit glitzernden Dingen geschmückt und von tausenden Kerzen ausgeleuchtet war.
„Da seid Ihr ja!“ Eine in festliche Robe gehüllte Gestalt erschien auf der Galerie. Dann schritt er an der linken Seite die Treppe hinunter, auf der rechten Seite flammten in feinste Stoffe gehüllte Wichtel.
„Wo sind wir hier?“, fragten die Tiere neugierig.
„Ihr habt endlich auch einmal den Weg zu mir gefunden! Ihr seid in der Hölle angekommen!“ Die Stimme des Teufels dröhnte und mit einem Mal löschten alle Kerzen ihr Licht und es stank plötzlich wie aus Güllekübeln. Den Rentieren
wurde das Atmen schwer, aber nicht nur deswegen. Sie blieben fassungslos stehen und starrten auf den Teufel, dessen Hände ihnen bedrohlich nahekamen.
„Was willst du von uns? Was haben wir dir getan, dass du uns so erschreckst?“, stotterte Rudolf.
„Wisst Ihr, ich will Euch nichts Böses. Ihr seid nur die Boten.“ Der Teufel setzte ein gequältes Lächeln auf. „Aber überall verteilt Ihr Geschenke, seid brav und bekommt alle Zuneigung von Groß und Klein. Mir hat noch nie jemand etwas geschenkt. Mich besucht keiner, und niemand lädt mich auf einen Punsch oder gar ein Essen ein.“ Der Teufel ließ sich auf der untersten Stufe der Treppe nieder
und senkte den Kopf.
„Und was haben wir damit zu schaffen?“ Rudolf bemühte sich um eine friedliche Stimme, es gelang ihm nicht ganz.
„Nun, Ihr seid die Boten, ihr bringt Geschenke und Frieden in jedes Haus. Da hätte ich gerne auch etwas.“ Der Teufel sah zu Rudolf auf, der ihn in dieser Position um Kopfes Länge überragte. „Ich möchte auch einmal Weihnachten feiern.“
„Das verstehe, wer will, Teufel. Was hast du mit Weihnachten zu schaffen. Das geht dich nix an.“ Rudolf stapfte mit dem Fuß auf. „Es ist das Fest des Friedens und der Liebe! Da kannst du wohl schwerlich mitreden. Und Geschenke
muss man sich auch verdienen.“
„Ach so.“ Der Teufel begriff. „Was kann ich tun, damit ich es wert wäre, ein Geschenk zu bekommen? Ich hätte zu gerne auch einmal ein Päckchen.“
„Das liegt nicht in unserer Hand, Teufel, wir sind, wie du selbst schon bemerkt hast, nur die Boten. Allein der Weihnachtsmann kann dich beschenken, wenn er es will.“
Dann holt ihn herein! Ich muss mit ihm reden.“
„Das wird ihm nicht gefallen, geweckt zu werden, denke ich. Da ist der Weihnachtsmann recht eigen.“ Rudolf tat der Teufel ein bisschen Leid. „Aber vielleicht …“
In diesem Augenblick ging die Tür auf und der Weihnachtsmann trat in die Halle. „Was ist denn hier los? Wo sind wir? Rudolf, warum bist du nicht nach Hause gefahren, wie ich es dir aufgetragen habe?“
„Ach, Chef, es tut mir aufrichtig leid, aber da war plötzlich so ein himmlischer Duft, da musste ich …“
„Papperlapapp!“ Der Weihnachtsmann trat auf den Teufel zu. „Du hast also Schuld, du alter böser Teufel, du!“
„Ja, Weihnachtsmann, ich habe deine Rentiere hierhergelockt. Sie wären ja sonst wieder einfach vorbeigeflogen. Ich musste sie stoppen!“
„Wozu? Sie haben ihren Job!“
„Das weiß ich sehr wohl, Weihnachtsmann. Aber auch ich möchte ein einziges Mal beschenkt werden. Deshalb habe ich sie hierherkommen lassen. Ich wollte mit dir reden, von Mann zu Mann, verstehst du?“
„Da ich nun mal hier bin, können wir gerne miteinander reden. Schließlich war ich schon auf dem Heimweg. Aber nur, wenn du die Kekse und den Punsch mit uns allen“, der Weihnachtsmann wies auf seine Tiere, „teilen willst.“
„Das ist ein Leichtes.“ Im nächsten Augenblick war der grässliche Gestank verschwunden, die Kerzen brannten wieder und der Duft heißen Punsches und warmer Plätzchen breitete sich aus.
„Kommt mit, meine Freunde, im großen Saal ist Platz für uns alle.“
Mit gemischten Gefühlen folgten der Weihnachtsmann und die Rentiere dem Teufel die Treppe hinauf in einen großen Saal, der festlich geschmückt war. An der langen Tafel fanden alle Platz.
„So habe ich mir das immer vorgestellt! Alle sitzen an meinem Tisch und feiern mit mir. Dass ich das noch erleben darf!“
„Es liegt an dir, Teufel, nur an dir. Deine List sei dir verziehen, für dieses Mal.“ Der Weihnachtsmann nahm einen Schluck vom heißen Punsch, wischte sich ein paar Tropfen aus dem Bart und sah zufrieden in die Runde. Sein Blick blieb am Teufel haften, der rote Bäckchen bekommen
hatte. Ob das vom Punsch war oder vor Rührung ließ sich nicht erkennen.
„Du weißt, dass man mir nachsagt, ich sei das Böse in Gestalt. Aber das ist wirklich nicht so, wie es aussieht. Ich bin hier recht einsam und mein Leben lang allein. Das macht mich traurig und vielleicht auch ein wenig ungerecht.“
„Dann wende deinen Schritt und folge einfach deinem Herzen. Wenn du wirklich willst, wirst du auf deine alten Tage mit mehr beschenkt als nur einem kleinen Päckchen.“ Der Weihnachtsmann griff in den Sack, den er die ganze Zeit auf dem Rücken getragen hatte. „Ich habe jedes Jahr ein Päckchen übrig. All die Jahre habe ich nicht gewusst, wem
ich es geben soll. So sei es deins.“
Er reichte das Päckchen an das Rentier neben ihm. „Gib es weiter, es ist für den Teufel.“
Das Rentier gab das Päckchen an seinen Nebenmann und der wieder an den nächsten. Wenige Augenblicke später hielt der Teufel das kleine Päckchen in seinen Händen. „Das ist zu lieb von dir, Weihnachtsmann. Ich nehme es mit Freuden. Danke.“
Der Teufel löste ganz vorsichtig die bunte Verpackung und man sah ihm an, wie neugierig und aufgeregt er war. „Ich habe noch nie etwas geschenkt bekommen!“
„Dann wurde es Zeit“, riefen die
Rentiere und der Weihnachtsmann durcheinander. „Mach auf, Teufel.“
Der öffnete mit zitternden Händen das Kästchen, das zum Vorschein gekommen war. „Ach, was ist das schön!“ Dem Teufel liefen vor Rührung Tränen übers Gesicht. Er hob ganz vorsichtig ein goldenes Herz aus dem Kästchen hervor und betrachtete es von allen Seiten. „Das habe ich nicht verdient!“
Die Rentiere staunten nicht schlecht, so ein schönes Herz hatten sie noch nie gesehen. Stumm nickten sie, als der Teufel es an seine Brust hielt. Der Weihnachtsmann hob den Blick in den Himmel. „Jetzt weiß ich endlich, wem dieses Päckchen gehört.“
„Danke, Weihnachtsmann. Und danke auch euch, ihr lieben Rentiere.“ Der Teufel hielt das Herz fest an die Brust gepresst und plötzlich flutschte es durch seine Joppe geradewegs an die Stelle, wo es immer schon hatte sein wollen. Es schlug kräftig von innen gegen die Brust, dass alle es sehen konnten. „Ich bin sprachlos!“
„Das ist das erste Weihnachten, dass mich mit wahrer Freude und größtem Frieden erfüllt“, rief der Weihnachtsmann. „Endlich ist mein Sack wirklich leer! Und mit noch größerer Begeisterung sehe ich deine Freude. Rudolf!“ Er wand sich an sein Leitrentier. „Rudolf, ich denke, wir
haben endlich alle Päckchen ihrer Bestimmung zugeführt. Wir können heim. Auf geht’s!“
Rudolf sah vom Weihnachtsmann zum Teufel und wieder zurück. „Nein, Chef. Wir werden heute nicht mehr heimfahren. Der Teufel soll heute nicht alleinbleiben müssen. Jetzt, wo er ein goldenes Herz hat. Doch morgen in aller Herrgottsfrühe werden wir aufbrechen.“
„Dein Widerspruch ist gut gewählt, Großer! Also bleiben wir, wenn“, der Weihnachtsmann wandte sich an seinen Gastgeber, „wenn du es willst, Teufel.“
„Gerne, meine Freunde, feiert mit mir, so lange ihr mögt. Es soll euch nichts mangeln. Es ist mein Dank an Euch.“
Der Teufel schnäuzte. Dann ließ er seine Elfen alles auftragen, was seine Höllenküche hergab. Die Lichter brannten, der Punsch floss in Strömen und alle ließen sich das Festmahl schmecken. Erst kurz vor dem Morgengrauen sah man einen Schlitten, von zwölf Rentieren gezogen, in den Norden fliegen. Der Weihnachtsmann schlief derweil seinen Rausch aus.
Rudolf wandte sich an seine Freunde. „Fortan werden wir jedes Jahr diesen Abstecher machen, da wird der Weihnachtsmann sicher nicht Nein sagen.“
„Bestimmt“, tönte es fröhlich durch die Nacht.