Erziehung kann ja so frustrierend sein!
Oder: Wenn Erziehung nach hinten losgeht...
Montag und somit Zeit für eine kleine Zeitreise in die Vergangenheit. Wie ihr ja inzwischen wisst, war mein Papa in meiner frühen Kindheit nicht häufig zu Hause. Selbst nachdem meine Mutter mit uns Kindern aus Thüringen wieder ins Land Brandenburg zurück gezogen ist, wurde es nicht besser. Denn mein Vater arbeitete immer noch an der Humboldt Uni und musste dafür über zwei Stunden Hinfahrt und eine genauso lange Rückfahrt in Kauf nehmen. Damals stand ja die innerdeutsche Berliner Mauer noch und das verlängerte den Fahrweg mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln um ein
Vielfaches. Für die Erziehung von uns Kindern hatte er also keine Zeit. Dreimal jedoch versuchte mein Papa es bei mir... und jedes Mal ging das voll in die Hose beziehungsweise es ging nach hinten los. Der Einzige, der dabei erzogen wurde, war mein Papa. :-) Und das kam so:
Wir wohnten damals in einem Einfamilienhaus, welches von etwas Garten umschlossen war. Ein kleiner Vorgarten und hinter dem Haus genügend Platz für eine Rasenfläche, einige Obstbäume und im Hintergrund ein paar kleine Beete für frisches Gemüse und die gängigsten Küchenkräuter. Außerdem gab es da natürlich den obligatorischen
Komposthaufen und natürlich der Schuppen, der angesichts seines Alters etwas windschief war und die Fahrräder und den Haufen Briketts für die Kohleheizung im Keller beherbergte.
Ich war etwa fünf, als mein Papa sich vornahm, den Schuppen zu erneuern. er machte sich also am Wochenende an die Arbeit und erneuerte das Dach, das langsam echt löchrig wurde. Dabei wurde natürlich laut gehämmert. Meine Uroma mütterlicher Seite, der das Haus gehörte und die meinen Papa nicht leiden konnte, brabbelte in meiner Gegenwart so etwas wie: "Ist das ein blöder Affe. Macht hier so einen Krach am Sonntag Vormittag!"
Ich hörte das und wollte nicht glauben, dass mein Papa ein Affe ist. Also ging ich zu ihm und fragte ihn einfach: "Papa, du bist ein Affe?" Und BATSCH, hatte ich eine Ohrfeige bekommen. Meine Eltern hatten mich noch nie geschlagen und taten es auch später nie wieder. Nicht mal einen Klaps auf den Popo oder auf den Hinterkopf, wie es damals Gang und Gebe war. Zur Erklärung: Seine Kinder zu verprügeln war damals noch normal. Nicht selten kam der ein oder andere Schulkamerad in den Unterricht, mit blauen Flecke oder Striemen. Aber wir kannten das gar nicht. Dementsprechend verdattert war ich, als
ich die Ohrfeige bekam. Mein Vater war jedoch noch weitaus erschrockener und starrte mich mit großen Augen ein paar Sekunden lang an. Dann umarmte er mich, trocknete meine Tränen und entschuldigte sich. Meine Mutter klärte ihn erst einmal auf, dass ich völlig unschuldig war. Danach hatte er erst recht ein schlechtes Gewissen. Noch viele Jahrzehnte später entschuldigte er sich bei mir. Tja, war für uns beide dumm gelaufen.
Die zweite fehlgeschlagene Erziehung folge so im Alter von 10 bis 12 Jahren. Im Gegensatz zum ersten Vorfall kann ich mich an dieses Ereignis selbst noch
erinnern. Es war Spargelzeit, aber Spargel war in der DDR Mangelware, wie so vieles andere auch. Als Ersatz gab es bei uns Schwarzwurzel, heute kennt man dieses Gemüse ja wieder. Ich fand es damals widerlich und wollte es nicht essen. Mein Vater hatte ewig angestanden, um es zu bekommen und meine Mutter hatte es mit viel Liebe zubereitet. Weil ich aber mäkelte und nicht essen wollte, wurde mein Papa etwas sauer. Er meinte also: "Du bleibst so lange am Tisch sitzen, bis du das gegessen hast." Ich war ein Dickkopf und blieb eben mit einem Flunsch bockend auf meinem Stuhl sitzen. Nach gefühlt ein paar Stunden war das Essen natürlich
kalt und dann schmeckt so ein Wurzelgemüse ja erst recht nicht. Da mein Papa aber mit mir schimpfte, stopfte ich mir einen Löffel voll in den Mund, schluckte es gequält herunter, würgte es gleich danach wieder hoch und spuckte es über den ganzen Tisch. Danach durfte ich den Tisch verlassen und mein Papa musste saubermachen, unter dem Gezeter meiner Mutter.
In meiner Sturm und Drangzeit und voll in der Pubertät versuchte mein Papa ein drittes Mal, mich zu erziehen. Wie ihr euch denken könnt, ging auch das schief. Mein Zimmer lag im ersten Stock mit dem Fenster nach hinten in den Garten
raus. Damals räumte ich nicht gerne auf, sämtliche Klamotten lagen wild im Zimmer herum. Wie das halt so bei Jugendlichen ist. Irgendwann reichte es meinem Vater und er warf wütend alle Kleidungsstücke aus dem Fenster. Was er nicht bedachte war, dass unter dem Fenster ein großer Apfelbaum stand. Binnen kürzester Zeit hingen alle meine Sachen wie Weihnachtsschmuck in den Ästen verteilt. Meine Mutter jagte im Anschluss meinen Vater auf den Baum, um alles wieder einzusammeln. Schließlich wäre das für mich zu gefährlich. Tja, war wohl wieder nichts. Danach hat sich mein Papa nie wieder in meine Erziehung eingemischt.
Aber auch wenn das jetzt so klingt, als ob wir ständig aneinander gerasselt wären, so täuscht das. In den fast16 Jahren, in dem ich zu Hause wohnte, waren das die einzigen drei Situationen. Ansonsten hielten wir wie Pech und Schwefel zusammen, gegen den Rest der Welt.
Das war es auch schon wieder. Heute einmal ohne Bilder, denn solche Situationen fotografiert man natürlich nicht. Muss aber mal welche von mir aus dem jeweiligen Alter aus dem Archiv kramen und hier nachträglich einfügen.
Bis dahin wünsche ich euch allen da draußen noch einen schönen Abend
... und passt auf euch auf.
Euer vagabundinchen