Tüffel
Das kleine Lämmchen stand im Stall und schaute aus dem FENSTER. Wieder einmal traute es sich nicht hinaus.
„Komm, Tüffel, du musst fressen“, lockte seine Mama. Endlich machte Tüffel ein paar vorsichtige Schritte hinaus auf die Wiese, drückte sich ängstlich an seine Mutter. Überall standen Schafe und blökten unfreundlich.
„Tüffel“, flüsterte die Mama, „du brauchst doch keine Angst zu haben. Sie werden dir nichts tun.“
„Aber warum schauen die so böse?“ Tüffel wollte nicht hier sein. Er sehnte sich nach seinem alten ZUHAUSE, wo er
auf einer kleinen Weide mit anderen Lämmern gespielt hatte. Nun war er mit seiner Mutter hierher gebracht worden. Die Wiese war groß und das Gras saftig. Aber Tüffel vermisste seine Freunde. Die Mutter wandte sich ab und begann die leckeren Kräuter zu fressen. Mutig machte das kleine Lämmchen ein paar Schritte auf die anderen Schafe zu.
„Halt!“, blökte ein großes Schaf. „Das ist unsere Wiese.“
„Ja, hau ab! Du gehörst hier nicht her.“ Ein Lamm hatte sich vorgedrängt und schaute Tüffel mit gefährlichem FUNKELN in den Augen grimmig an.
„Warum?“, fragte der. „Es ist doch genug Platz für uns
alle.“
„Du siehst komisch aus. Du passt nicht zu uns“, meckerte das andere Lamm. Es machte ein paar wilde Sprünge und stieß Tüffel mit seinem Kopf. Erschrocken drehte sich das Lämmchen um und rannte zu seiner Mutter.
„Mama, warum sagen die, dass ich komisch aussehe?“ Sanft stupste er die Mama ins weiche Fell.
„Ach Tüffel“, seufzte sie. „Du kannst es nicht sehen, du bist nicht so weiß wie normalerweise Schafe sind. Mach dir aber keine Gedanken. Irgendwann stört das die anderen nicht mehr. Sie sind einfach dumm.“ Sie war traurig, konnte aber nichts ändern, denn auch sie wollten
die Schafe nicht. Schließlich war sie die Mutter von diesem seltsamen Lamm.
Tüffel hatte sich noch nie im Spiegel gesehen und auch in einer Pfütze hatte er sich nie betrachtet. So wusste er nicht, dass sein Fell weiß mit lauter schwarzen Tupfen darin war. Er sah aus wie ein flauschiges Schachbrett. Seine Freunde hatte das nicht gestört. Sie kannten ihn nicht anders. Traurig zupfte Tüffel ein paar Gräser. Großen Appetit hatte er nicht. Wenn er zufällig in die Nähe der anderen Schafe kam, begannen die sofort zu blöken.
„Hau ab!“
„Einen wie du wollen wir nicht.“
„Schaut, wie er dasteht, wie ein
mickriges WÜRSTCHEN.“
„Dein Fell sieht wie Salz und Pfeffer aus!“ So schrien sie böse, und Tüffel wagte es nicht mehr, ihnen zu nahe zu kommen. Einmal jagten ihn drei große Schafe, dass er gegen einen riesigen Stein prallte und erschöpft liegen blieb.
„He du“, hörte er plötzlich ein feines Stimmchen. „Wer bist du denn?“ Voller STAUNEN hob Tüffel den Kopf und erblickte ein seltsames Wesen. Es sah aus wie ein Lamm, war aber pechschwarz. Rasch machte Tüffel ein paar Schritte rückwärts. War das eine neue Gefahr?
„Keine Angst“, meinte das schwarze Lamm, „ich tu dir nichts. Du siehst lustig aus. So ein Fell habe ich noch nie
gesehen. Wie heißt du?“
„Ich …“ Tüffel zögerte. Die Stimme klang freundlich, aber dennoch war seine Furcht nicht verschwunden.
„Na, sag schon. Oder bist du ein bisschen dumm?“
Das Lamm schüttelte den Kopf.
„Ich bin Tüffel. Ich bin noch nicht lange hier. Die anderen Schafe ärgern mich und deshalb bin ich vorsichtig. Dumm bin ich bestimmt nicht. Wie heißt du?“
„Luisa. Das mit dem Ärgern kenne ich. Mich wollen sie auch nicht.“
„Weil du schwarz bist? Macht dir das nichts aus?“
„Anfangs war es schlimm“, erzählte Luisa. „Aber mit der Zeit haben sie sich
an mich gewöhnt und lassen mich in Ruhe. Sie sind einfach nur blöd. Ich finde dein Fell toll. Das gibt es bestimmt nur ganz selten. Du solltest stolz sein.“
„Ich weiß nicht, mir wäre es lieber, wenn ich Freunde hätte, die mit mir spielen. Mein Fell würde ich sofort eintauschen.“
„Das geht nun mal nicht“, blökte Luisa. „Aber wir können befreundet sein und miteinander spielen.“
Von diesem Tag an waren die beiden unzertrennlich. Sie streiften am Rande der Wiese entlang, schlossen Freundschaft mit Frosch Gürkchen, IGEL Borsti und Rotkehlchen Hermine. Allen war es völlig schnuppe, wie Tüffel und
Luisa aussahen. Die beiden Lämmchen waren sich einig: Eigentlich war die Welt herrlich BUNT. Wie traurig und langweilig wäre es, hätten alle Lebewesen ein weißes Fell, eine weiße Haut oder ein weißes Gefieder. Die anderen Schafe riefen ihnen manchmal noch böse Wörter nach, aber mit der Zeit verloren sie die Lust.
Eines Tages, Tüffel und Luisa spielten Fangen, hörten sie plötzlich ein lautes Bellen. Ein großer schwarzer Zottelhund war auf der Wiese und näherte sich der Schafherde. Alle Tiere hatten sich eng aneinandergedrängt. Die Lämmer blökten ängstlich. Der Hund kam näher und fletschte die Zähne. Tüffel und Luisa,
die abseits standen, hatte er noch nicht entdeckt.
„Er wird sie angreifen“, flüsterte Luisa. „Lass uns lieber abhauen.“
„Aber wir müssen doch was machen. Bestimmt erwischt er eins von den anderen. Oder zwei, oder gar drei …“ Tüffel fand das schrecklich.
„Was willst du tun?“, fragte Luisa erschrocken, „wir sind viel zu klein, um zu helfen.“
„Meine Mama sagt immer, man muss helfen, wenn jemand in Not ist. Auch wenn ich die nicht leiden kann, einfach wegschauen, das geht nicht.“
Während Luisa und Tüffel noch berieten, war der Hund bei den Schafen
angekommen. Warum rannten sie nicht einfach weg?
Tüffel hielt es nicht mehr aus. Mit lautem Geblöke sprang er von der Seite auf das Zotteltier zu, überschlug sich mit Purzelbäumen, hüpfte im Zickzack vor ihm her. Der Hund wich einige Schritte zurück. Inzwischen kam auch Luisa mit wilden Sprüngen angerannt.
„Los!“, schrie Tüffel den anderen Schafen zu. „Wir sind viele. Wir schaffen es, den Kerl zu verjagen!“ Es dauerte keine zwei Sekunden und die Herde setzte sich in Bewegung. Wild schreiend und blökend stürmten die Schafe auf den Hund zu. Der machte einen Satz rückwärts, drehte sich um und
rannte davon. Erst als er durch ein Loch im Zaun geschlüpft und nicht mehr zu sehen war, blieben die Schafe stehen. Tüffel war außer Atem, aber er fühlte sich gut wie lange nicht mehr.
MUCKSMÄUSCHENSTILL standen die anderen da, starrten Tüffel an.
„Du bist wirklich mutig“, meinte Luisa schließlich. „Das hätte aber auch in die Hose gehen können.“ Einige Schafe nickten.
„He, Salz und Pfeffer!“; rief ein älteres Schaf, „das war große Klasse. Das hätte ich dir nicht zugetraut.“
Tüffel drehte sich um und lief langsam ein paar Schritte in die andere Richtung.
„Warte doch“, ein alter Schafbock kam
dem Lämmchen hinterher. „Bleib hier!“
Tüffel blieb stehen. Alle Schafe sahen ihn an. Manche blökten leise. Es klang freundlich.
„Ich dachte, ihr wollt mich nicht.“ Tüffel kniff die Augen zusammen.
Der alte Schafsbock schüttelte den Kopf. „Wir waren sehr dumm. Es tut uns leid.“ Dabei schaute er die anderen Schafe an. Die nickten und blökten. Nur ein kleines freches Lamm hob den Kopf und grummelte: „Aber komisch aussehen tust du immer noch.“ Dafür bekam es von seiner Mama einen Stoß mit dem Kopf. Tüffel hatte es trotzdem gehört. Es machte ihm aber nichts aus.
„Wisst ihr, ich spiele jetzt lieber mit
Luisa. Sie ist meine Freundin.“ Er schaute sie an und zeigte seine Zähne, was aussah, als lächle er. „Aber“, fügte er hinzu, „es wäre toll, wenn wir mit euch von den saftigen Gräsern fressen dürften.“ Alle stimmten zu, blökten ein fröhliches Ja.
Von diesem Tag an wurden Tüffel und Luisa nicht mehr geärgert. Auch Tüffels Mutter durfte nun mitten in der Herde fressen. Sie naschten in Ruhe von den besten Gräsern und immer öfter spielten die beiden Freunde sogar mit den anderen Lämmern.