Vom Trennungsschmerz und Neubeginn
Wenn man seinen "besten Freund" schnöde im Stich lässt...
Nach längerer Zeit war ich heute einmal wieder mit dem Fahrrad unterwegs. Da es in den letzten Tagen eher ungemütlich draußen war, nutze ich die kurze Zeit, in der die niedrig hängende Wolkendecke aufriss. Und als ich so dahin fahre und die kurze Freiheit genieße, da fällt mein Blick doch auf einen kleinen weißen Gegenstand, der achtlos am Wegrand in einer Pfütze lag. Ich erkannte ihn sofort: Ein alter Bekannter aus meiner frühen Kindheit.
Ich hatte ja als Kind nie einen imaginären Freund. Mein treuer Begleiter
in dieser Zeit war mein Schnuller. Und das noch bis ins hohe Alter.
Und bis ein harter Schicksalsschlag uns unerbittlich und für immer auf eine schmerzhafte Weise voneinander trennte. Und das kam so...
Ich war damals sechs und stand vor einem neuen Lebensabschnitt, dem Beginn der Schulzeit. Und dennoch wollte ich mich nicht von meinem Nuckel verabschieden. Trotz zahlreicher Überredungsversuche meiner Eltern, die mir Peinlichkeiten ersparen wollten. Und die allesamt vergeblich blieben. Mein Schnuller und ich waren und blieben unzertrennlich. Er begleitete mich Tag
und Nacht überall hin.
Den letzten Sommer vor meiner Einschulung verbrachten meine Eltern, meine Schwester und ich in einem Bungalowdorf an einem kleinen See. Auf dem naturbelassenen und waldigen Gelände standen einzelne Holzhütten, die in unterschiedlichen Farben gestrichen worden waren. Wahrscheinlich, um sie besser unterscheiden zu können. Mir und meinem treuen Begleiter in allen Lebenslagen aber wurde diese Art der Kennzeichnung zum Verhängnis. Und trennte uns für immer.
Trotz meiner jungen Jahre erinnere ich
mich noch, dass wir damals in einem blauen Bungalow wohnten. Wie zu dieser Zeit üblich, tobten wir Kinder den ganzen Tag draußen herum. Mehr oder weniger ohne Aufsicht und auch schon mit sechs Jahren. Und ich war schon immer naturverbunden und liebte meine Freiheit.
Es war so um die Mittagszeit herum und meine Mutter hantierte wie immer in der Küche herum, um das Essen für uns zuzubereiten. Wo mein Papa oder meine ältere Schwester zu der Zeit, weiß ich nicht. Ich trieb mich vor dem Bungalow herum und spielte in dem losen Sand der ausgetretenen Waldwege.
Irgendwann wollte ich meine Mutter ärgern und lief an das Fenster unseres Bungalows. Es stand offen und von drinnen hörte ich das Geklapper von Geschirr. Kein Wunder, meine Mutter bereitete ja das Mittagessen vor. Das Thema Schnuller war zu dieser Zeit ein ständiges Gesprächsthema. Einem plötzlichem Impuls folgend nahm ich meinen Tutti aus dem Mund und warf ihn durch das offene Fenster.
Lachend lief ich um die Hütte herum und stürmte zur Tür hinein, als ich mitten in der Bewegung geschockt und wie
angewurzelt stehenblieb. Ich befand mich nämlich nicht im Eingang zu unserer Blockhütte, sondern stand mitten im Gastraum der kleinen Kneipe, die ebenfalls von außen blau angestrichen und zu diesem Zeitraum gut besucht war.
Das war dann doch etwas peinlich und ich verzog mich wortlos wieder nach draußen. Ohne nach meinem Schnuller zu suchen.
Und so kam es, dass ich meinen damals besten Freund und treuen Begleiter erst eigenhändig weggeworfen und dann in der Fremde allein gelassen hatte. Ohne mich auch nur noch einmal zu ihm
umzudrehen... Wie verlassen muss er sich gefühlt haben! :-)
Ich hatte nach diesem schockierenden Erlebnis nie wieder einen Freund wie ihn, denn meine Eltern weigerten sich standhaft, mir einen neuen Schnuller zu kaufen. Aus heutiger Sicht verständlich, aber damals ging fast die Welt für mich unter. Aber, wie sagt man so schön: Was mich nicht umbringt, macht mich stärker. Und wie ihr lesen könnt, bin ich immer noch am Leben. Ich hab auch diese Krise erfolgreich überstanden.
Für heute mache ich aber erst einmal Schluss und wünsche euch allen da draußen noch einen schönen Abend
… und passt auf euch auf.
Euer vagabundinchen