Von Keramik und Schweinedärmen
Was haben Keramik Werkstoffe und Schweinedärme gemeinsam?
Ganz einfach. Beides kann im menschlichen Körper vorkommen. Woher ich das weiß? Das erzähle ich euch heute...
Gestern war ich bei meiner Tochter zu Besuch. Dafür musste ich mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln durch ganz Berlin fahren. Denn Spandau liegt genau am anderen Ende, von meinem Wohnort aus gesehen. Und wie ich so die halbe Stunde mit dem Bus fahre, komme ich
auch in die Nähe der Invalidenstraße, in der mein Papa unter anderem auch einen Arbeitsplatz hatte. Er war ja als Dozent an der Humboldt Uni sowie in mehreren Arbeitsgemeinschaften tätig. Und somit auch an unterschiedlichen Arbeitsplätzen.
Na jedenfalls habe ich meinen Papa hin und wieder auf seinen Arbeitsstellen besucht. Es war immer voll interessant. Einmal, das muss irgendwann Mitte/Ende der 70er Jahre gewesen sein, da nahm er mich mit in ein Laboratorium, welches an die Charite´ angeschlossen war. Mit einigen anderen Kollegen forschte mein Papa damals am künstlichen Herzen. Ich
konnte sogar eines im Nebenraum arbeiten sehen und vor allem hören. Das Ding damals war so groß wie ein üblicher Krankenahaus-Nachttisch auf Rollen und unheimlich laut. Viele Schläuche führten zu der Apparatur hin und davon hinweg, durch die zum Teil eine rote Flüssigkeit floss, die wohl Blut darstellen sollte. Damals erklärte mir mein Papa, dass dieses künstliche Herz schon Verwendung fand. Ein Mensch, der daran angeschlossen wurde, konnte so noch wenige Tage bis Wochen lang weiterleben. Aber besonders lange war seine Überlebenschance nicht. Doch für jemanden ohne funktionierendes Herz zählte wohl jeder Tag, wenn er auf der
Spenderliste für eine Transplantation stand.
Mit den Jahren verbesserte sich die Forschung und die technischen Möglichkeiten. Die künstlichen Herzen wurden kleiner und leiser, bis sie dann letztendlich sogar im menschlichen Körper verschwanden, so als Schrittmacher und so.
Auch auf dem Gebiet der künstlichen Herzklappen wurde fleißig weitergeforscht. Wobei ich nun endlich beim heutigen Thema bin. Denn bis vor Kurzem bestanden künstliche Herzklappen aus einem Gerüst aus
Kunststoff und beweglichen Klappen aus Metall. Später ging man wohl dazu über, die Klappen selbst aus Keramik zu fertigen, um den Verschleiß und die Gefahr der Korrosion zu minimieren und das bei einer besseren Abdichtung.
Die Lebensqualität der Träger verbesserte sich weiterhin, jedoch hatten nicht wenige Patienten starke Probleme, da diese Klappen ständig zu hören waren. Bei jedem Herzschlag und dem Durchfluss des Blutes klickte eine solche künstliche Herzklappe. Und damit kam manch einer nicht zurecht. Es wurde also nach einer natürlicheren Möglichkeit gesucht. Und diese fand man, nachdem
man anfing, mit Schweinedärmen herum zu experimentieren. Also wahrscheinlich nicht nur mit denen, aber dieses Gewebe ähnelt dem des Menschen sehr stark und ist daher als „Ersatzteillager“ gut geeignet. Denn das Gewebe wird nicht so häufig abgestoßen.
Und mein Papa war bis zum Schluss in der Forschung tätig. Sogar noch wenige Wochen vor seinem Tod wertete er unter anderem die Messergebnisse aus. Solch eine künstliche Herzklappe muss man sich wie folgt vorstellen: Das ganze Gebilde ist rund und wird wie eine Haut zwischen Herz und der Aorta eingesetzt. Damit das Blut durchfließen kann, sind drei kleine Schlitze in diese Membran
eingearbeitet, die sich in der Mitte treffen. So entstehen drei kleine Dreiecke, die die Herzklappe imitieren und ihre Funktion übernehmen.
Doch bevor man so einfach die Membran mit den 3 Teilklappen aus Schweinedärmen zusammennäht und in einen Menschen verpflanzt, muss jahrzehntelang geforscht werden. Über die Fließgeschwindigkeit des Blutes (in den Versuchen natürlich eine Ersatzflüssigkeit) zum Beispiel und wie gut die Klappen sich wieder schließen, um einen Rückfluss zu vermeiden. Und das nicht nur für ein paar Monate, sondern unter ständiger Belastung in
einem sehr langen Zeitraum. Unendlich viele Bilder wurden aufgenommen: das Öffnen und Schließen der kleinen dreieckigen Lappen... und alle in Zeitlupe. So dass etliche Bilder in der Sekunde entstanden, die alle einzeln angeschaut werden mussten, um eventuelle Fehler zu erkennen. Denn nur ein mikroskopisch kleiner Riss an der Nahtstelle oder ein Loch im Gewebe könnte den Tod des Patienten herbeiführen. Ein sehr langjähriger Versuch war das und ermüdend obendrein.
Aber unter anderem auch mein Papa hat, wie gesagt, unermüdlich daran geforscht,
um die Lebensqualität und die Lebensspanne herzkranker Menschen zu erhöhen beziehungsweise zu verlängern. Und das machte er alles neben seiner eigentlichen Tätigkeit als Dozent an der Humboldt Universität Berlin, wo er Studenten des 1. und 2. Semesters Mathe und Physik beibrachte.
Wenn ich damals als Jugendliche meinen Papa bei der Arbeit besucht habe, war das Tollste für mich jedoch die Tischtennisplatte auf dem Dachboden, an der wir uns dann immer ordentlich austobten. Und anschließend ging es in die Mensa zum Mittagessen. War eine schöne Zeit damals, ich denke gerne
daran zurück.
Für heute mache ich aber Schluss und wünsche ich euch allen da draußen noch einen schönen Abend
… und passt auf euch auf.
Euer vagabundinchen
P.S. Wie immer könnt ihr diesen Beitrag auch auf meinem Blog nachlesen und euch die Fotos dazu anschauen:
Vagabundinchens Tagebuch auf vagabundinchenschreibt.wordpress.co