Der Kerl mit der schwarzen Kapuze und der Sense ist aber hartnäckig
Nun hatte ich gerade meine dreifache Lungenembolie überstanden und mich endlich wieder zu Hause eingelebt, als das Schicksal schon wieder mit der Keule auf mich eindrosch. Dieses Mal in Gestalt eines Frauenarztes, dessen Namen ich hier aber nicht nennen möchte. Nur so viel: Er hatte total gute Bewertungen und auch die Frauen in meinem damaligen Wohnort waren von seiner Kompetenz begeistert. Was das Thema Schwangerschaft und Geburtshilfe anging, hörte ich überall nur Gutes. Also holte ich mir dort einen Termin.
Ich war zu dieser Zeit schon sterilisiert, da ich nach meinen drei Kindern keine Lust auf eine weitere Schwangerschaft mehr verspürte und nicht ständig die Pille schlucken wollte.
Trotzdem benötigte ich einen Termin beim Frauenarzt. Durch meine erhöhte Thrombosegefahr musste ich den Blutverdünner Marcumar nehmen. Voraussichtlich erst einmal zwei Jahre lang mit der Option zur Verlängerung. Da ich jedoch schon immer eine recht starke Menstuation hatte und diese auch nach der Durchtrennung der Eierstöcke weiterhin auftrat, musste diese in der
Zeit, in der mein Blut zusätzlich auch noch verdünnt wurde, irgendwie ausgesetzt werden.
In der Klinik noch legte man mir ans Herz, mir eine Spirale einsetzen zu lassen. Somit würde dem Körper eine Schwangerschaft vorgegaukelt werden, so dass er keine Eier mehr produzierte. Gute Idee. Eigentlich. Da ich jedoch wenige Tage vor der Entlassung stand und es im Lager des Krankenhauses wohl keine Spirale mehr gab, sollte ich mich zu Hause an einen Frauenarzt wenden. Gesagt, getan.
Ich suchte mir also einen anscheinend
guten Arzt, der nur zufriedene Patientinnen zu haben schien. Mit dem Schreiben des Krankenhauses und meiner Bitte, mir eine Spirale einzusetzen, wurde ich bei ihm vorstellig. Doch irgendwie kapierte der gar nicht, was ich von ihm wollte. Trotz des Abschlussschreibens des Krankenhauses und der schriftlichen Empfehlung für das Einsetzen einer Spirale.
Er meinte nur, ich sei ja bereits sterilisiert und bräuchte kein Verhütungsmittel mehr. Auch als ich ihm erklärte, dass es hierbei um die Menstruation ginge und nicht ums Kinderkriegen, schnalle er das nicht wirklich. Er schlug mir vor, doch dann
lieber eine 3 Monats-Impfung machen zu lassen, wäre nicht so aufwendig und teuer wie ein Eingriff. Und ich meinte, im Grunde genommen wäre es mir egal, Hauptsache, ich habe keine Monatsblutung mehr.
Wir einigten uns also und ich bekam ein Rezept, welches ich gleich unten in der Apotheke einlöste und mit der Spritze anschließend wieder nach oben zum Arzt marschierte. Nach dem Stich in den Hintern durfte ich nach Hause und dachte, dass nun alles geregelt war. Aber weit gefehlt.
Denn, was der Arzt nicht bedacht hatte
und ich nicht wusste, war, dass die 3 Monats-Impfung zwar die Menstruation für ein viertel Jahr aussetzte, aber es bei der ersten Spritze häufig zu einer verstärkten Blutung kommt. Ehe sich das dann einpendelte. Und so passierte es auch bei mir. Ich will hier jetzt nicht näher darauf eingehen, da es bei euch da draußen bestimmt auch ein paar zart Beseelte gibt. Nur so viel: Nach zwei Tagen, die ich nur auf dem Sofa, auf dem Weg ins Bad und wieder zurück zum Sofa verbrachte, war ich so blutarm, dass ich zeitweise schon weggetreten war. Mein Sohn kam ab und zu in mein Zimmer und schaute nach, ob ich noch atmete. Weil er das Schlimmste erwartete.
Als ich zwischenzeitlich einmal aus dem Delirium erwachte und einigermaßen klar denken konnte, rief ich den besagten Frauenarzt an und berichtete ihm, dass es mir so schlecht ginge. Dass irgend etwas nicht stimme und ich ins Krankenhaus müsse. Aber er meinte nur, ich solle mich mal nicht so haben solle. Frauen reagieren ja häufig etwas hysterisch. Das wird schon. Ich solle einfach am Montag in seiner Sprechstunde vorbeischauen. Das war an einem Freitag Abend.
Als es mir nach ein paar Stunden immer noch nicht besser ging, rief ich ein Taxi
an und ließ mich ins Krankenhaus in den Nachbarort fahren. Der Taxifahrer sah sehr besorgt aus, hakte mich unter und half mir bis in die Notaufnahme. Wo gerade am Empfang eine ältere Schwester telefonierte.
Als sie mich sah, ließ sie den Hörer fallen, rief etwas in den Nebenraum und kam mit einem Rollstuhl angerannt. Ich muss wohl ziemlich fertig ausgesehen haben. Man chauffierte mich in einen leeren Raum mit einer Liege und half mir dort hinauf. Da lag ich nur kurz, denn es kümmerte sich sofort ein Arzt um mich.
Da in Deutschland alles seine Ordnung
haben muss, wurde ich erst einmal nach meinen persönlichen Daten gefragt. Und ich weiß noch heute, wie ich da lag, unendlich müde war und alles irgendwie im Nebel lag. Die Fragen des Docs kamen nur gedämpft bei mir an. Ich verstand zwar jedes Wort, konnte aber den Sinn dahinter nicht verstehen.
Ein Beispiel: Ich wurde gefragt, wann ich denn Geburtstag hatte. Und ich versuchte das zu verstehen und dachte verwundert, warum er mich das fragt. Klar war ich geboren, sonst wäre ich ja nicht hier.
Die Befragung wurde dann irgendwann abgebrochen, weil er keine vernünftigen antworten von mir bekam.
Stattdessen wollte man mir Blut abnehmen, um die Blutgruppe zu ermitteln. Aber da kam nicht, weil mein Kreislauf wohl voll im Keller war. Schließlich erhielten sie ein viertel Röhrchen, indem sie mich hinsetzen und festhielten, die Beine von der Liege herunterhängen ließen und aus dem großen Zeh etwas Blut mit der Spritze ziehen konnten.
… Und dann wurden alle erst recht hektisch....
Mein Blut war nicht mehr rot, sondern irgendwie orange und halb durchsichtig.
Ich war fast ausgeblutet. In den nächsten zwei Tagen bekam ich insgesamt 5 Beutel Blut.
Später sagte man mir, wenn ich noch ein paar Stunden gewartet hätte, wäre es zu spät gewesen. Dann wäre ich eingeschlafen und man hätte mich nicht mehr retten können. Ein erstes Anzeichen dafür, dass es äußerst ernst war, war mein Schlafbedürfnis und die Verwirrtheit. Mein Gehirn hatte bereits angefangen, alles Unwichtige abzuschalten, um die lebenswichtigen Organe noch versorgen und mich möglichst lange am Leben halten zu können.
Noch Jahre später hatte ich Gedächtnislücken und musste viele Sachen, die ich einmal konnte, wieder erlernen. Wie man einen Kuchen backt, die Fenster putzt oder Kirschen einweckt. Zum Beispiel. Ich verlor meinen Geruchs-und Geschmackssinn und habe seitdem meine Fähigkeit verloren, Gesichter zu erkennen. Familienmitglieder sind kein Problem und auch Nachbarn und Bekannte, die ich häufig sehe. Aber ich erkenne sie nur, wenn ich sie in der Umgebung treffe, in der sie sich üblicherweise aufhalten. Sehe ich meinen Nachbarn aber irgendwo
in der Stadt, dann renne ich an ihn vorbei. Und wenn er mich anspricht, dann weiß ich nicht, wer das ist.
Inzwischen habe ich mich damit arrangiert. Menschen, die mir wichtig sind, wissen davon. Alle anderen Menschen, die mich grüßen, grüße ich einfach zurück. Verwickeln die mich dann in ein Gespräch, habe ich Strategien entwickelt, ein Gespräch zu führen, ohne zu konkret zu werden und dabei durch gezielte Bemerkungen herauszufinden, wer das sein könnte. Klappt ganz gut.
Aber wahrscheinlich gibt es immer noch genügend Menschen da draußen, die
denken, dass ich eingebildet bin, weil ich sie nicht grüße. Tja, so ist das Leben.
Inzwischen geht es mir so weit wieder gut, ich habe außer meine kleinen Macken noch eine leichte Herzschwäche davongetragen und kann nicht mehr arbeiten gehen.
Und alles nur, weil ein Frauenarzt Kosten und Zeit einsparen wollte und mich falsch behandelte. Da er aber ein halbes Jahr nach meiner Behandlung bei einem Autounfall verstarb (worüber alle ehemaligen Frauen meines Wohnortes sehr traurig waren), habe ich es unterlassen, Ansprüche zu stellen oder seinen ruf nachträglich zu ruinieren.
Irgendwie hat es ja selbst die A...Karte gezogen.
Nun bin ich eben zu Hause und lebe von den Almosen, die mir der Staat gibt. Aber dafür habe ich keinen Stress mehr und kann mir meinen Tag einteilen, wie ich es möchte. Zumindest etwas Positives.
Ich glaube, heute habe ich genug geschrieben.
Ich wünsche euch allen da draußen noch einen schönen Abend
… und passt auf euch auf.
Euer vagabundinchen