Amselgefühle
Lebensbericht einer Amselmutter
Zuerst möchte ich mich euch einmal vorstellen. Mein Name ist Alma. -- Ja, Alma, ihr
habt richtig gehört. Ich war die Letztgeborene meiner Mutter,die auch Alma heißt.
Ihr werdet sagen, dass das kein Vogelname ist. Aber das ist eine lange Geschichte.
Vor zwei Jahren nämlich, als ich in einer großen Blumenschale geboren wurde,
inmitten weißer Margeritten und bunten Zauberglöckchen , erzählte meine Mutter
mir, dass in unserer Familie die Letztgeborenen immer den Namen der
Mutter
erhalten. Es war ein wunderschöner Sonnentag und und ich kam als Vierte zur Welt.
Freudig wurde ich von meinen Geschwistern begrüßt, die schon im Nest lagen und mir
nicht mehr viel Platz ließen.
Da ich die Kleinste war, wurde ich auch beim Füttern immer etwas benachteiligt, denn
meine Geschwister drängelten sich immer vor. Meine Mutter hatte immer Angst um
mich, dass ich nicht überleben würde, aber ich war damals schon sehr zähe.
Irgendwann wurden wir dann alle flügge,
und unsere Mutter bereitete uns auf das
Alleinleben vor. Wenn ich daran zurück denke,hatte ich doch einen ganz schönen
Bammel . Und dann war es soweit. Dieser Tag hat sich ganz tief in mein kleines
Vogelhirn eingegraben.
2 Brüder und 1 Schwester hatten sich schon von mir verabschiedet und wollten im
Busch, der vor dem Balkon steht, morgen auf mich warten. Ich aber traute mich nicht
so recht. „Flieg, Alma ! Flieg ! Meine Eltern redeten mir gut zu und ich versuchte mit
großer Anstrengung zu fliegen. Und oh
Schreck, ich landete auf dem Balkonfussboden.
Ganz aufgeregt piepste ich nach meiner Mutter, die dann auch zusammen mit unserem
Vater kam und mich beruhigte. Sie brachten mir erst mal ein paar Würmer und wiesen
mir eine Ecke zu, die geschützt war. Dort sollte ich mich erst mal beruhigen und mich
vom Schreck erholen.
Und dann erschien Brigitte. Ach ja, ich habe euch ja noch gar nicht von Brigitte
erzählt. Brigitte ist ein Menschenkind, die unser Zuhause, die Blumenschale so
schön
gestaltet hat, und aufpasst, dass keine Elster uns was zu leide tut. Und Brigitte ist
auch diejenige, die meiner Mutter den Namen Alma gab. Das erzählte mir meine
Mutter ganz stolz.
Als also Brigitte mich so auf dem Balkonfussboden sah, bekam sie vor Schreck den
Mund gar nicht wieder zu. So ähnlich wie ich meinen Schnabel, weil ich wirklich große
Angst hatte so alleine auf dem Fussboden. Aber dann tat sie das einzig Richtige . Sie
macht die Balkontüre einfach wieder von
innen zu, um mich nicht noch mehr zu
ängstigen. Meine Eltern fütterten mich weiter und beruhigten mich ein wenig.
Irgendwann versuchte ich es von neuem, und da Brigitte mir durch aufeinander
gestapelte Blumentöpfe eine Hilfe gab, schaffte ich es Stück für Stück über die
Balkonbrüstung zu fliegen.
Das war ein ungeheuer erhebendes Erlebnis für mich, zumal unten im Strauch
meine Geschwister mir zuguckten und mich mit viel Gepiepse anfeuerten.
Das also war vor 2 Jahren.
Inzwischen bin ich erwachsen geworden und habe nun einen Amselmann
kennengelernt.
Er ist wunderschön. In seine Augen habe ich mich sofort verliebt, sein schwarzes
Gefieder glänzend, sehr stolz, liebevoll und vor allem verlässlich. Das hat man ja
heutzutage so selten bei Männern. So ganz anders als mein Vater, der immer so ein
kleiner Hallodri war, und gern anderen Amseldamen nach guckte. Ich kann mich
erinnern, dass deshalb meist nur meine Mutter uns versorgte.
Aber Ansgar ist ungeheuer pflichtbewusst, und nun hat er mich zur Mutter gemacht.
Ich bin überglücklich. Als ich ihm das sagte, brachte er mir sofort einen
besonders
dicken Regenwurm, (das ist nämlich meine Lieblingsspeise)
schnäbelte mich und versprach, immer für mich da zu sein.
Doch nun galt es , einen Ort zu suchen, an dem ich brüten konnte. Ich entsann mich
meines Geburtsortes, den Balkon von Brigitte. Sie hatte uns ja auch den ganzen
Winter, der doch für uns ziemlich lang war, mit Futter versorgt. Auf ihrem
Balkontisch lagen immer ein paar Nüsse und Rosinen bereit, an denen wir uns gütlich
taten. Und alte Liebe rostet nicht
Ich erzählte Ansgar davon, und er
inspizierte sofort diesen Ort. Er war begeistert,
denn dort sah es jetzt wie im Paradies aus, und ich konnte mir gut vorstellen, dass
meine Babys dort glücklich zur Welt kommen.
Also machte Ansgar sich sofort ans Werk und scharrte in einem besonders schönen
Blumenkasten ein kreisrundes Loch. Dann legte er sich hinein und drehte und wendete
sich hin und her, bis das Loch die Größe eines Nestes hatte.
Dann flogen wir beide los, um Gräser und kleine Zweige zu sammeln , um
unseren
Kindern ein schönes Zuhause zu bereiten. Nach 3 Tagen hatten wir es geschafft. Ein
wunderschönes Nest war da, über das die Margeritten wie in einem Himmelbett
darüber hingen. Rechts und links davon bunte Zauberglöckchen. Es war wirklich
wunderschön.
Brigittes Blick hättet ihr sehen sollen, als sie das Malheur in ihrem schönen
Blumenkasten entdeckte. Doch ich kann schwören, dass ein Lächeln in ihrem Gesicht
war und als sie mir neben das Nest noch eine kleine Schale mit Wasser stellte,
war
ich beruhigt. Ja, sie fragte sogar: „Bist du es Alma?“ Wir waren also immer noch
Freunde.
Nun konnte ich mich ans Brüten machen. Ansgar versorgte mich während dieser Zeit
rührend mit Futter und es dauerte nicht lange, da war das erste Ei da. Die nächsten 3
Tage folgten noch 3 andere.
Ansgar war so stolz auf mich . Er sah die Eier ganz verliebt an und stimmte einen
Jubelgesang an.. in den ich natürlich aus voller Kehle einstimmte. Und es wurde
maßlos
geschnäbelt. Nun begann für mich die langweiligste Zeit, denn ich musste die Eier ja
ausbrüten. Und das dauert etwa 1 Woche. Also nichts mehr mit Hin-und Herfliegen
und Herumgeflirte. Aber ich hatte ja meinen Ansgar. Ab und zu löste er mich ab,
damit ich meine Flügel mal wieder bewegen konnte. Die wären ja ganz lahm geworden.
Und dann war es endlich so weit. Mein erstes Baby kam. Ganz plötzlich fühlte ich
unter mir, etwas Warmes, was sich
bewegt. Ich war so glücklich und zirpte Ansgar,
der mich bewachend auf die Birke saß, die freudige Botschaft zu :“Es ist da !“ Sofort
kam er herunter geflogen und bestaunte seinen Sohn.
Na, ihr würdet ihn wahrscheinlich nicht hübsch nennen. Er war ja noch ganz nackt.
Aber für mich war es das schönste Baby , das ich je gesehen habe.
Das Ganze wiederholte sich 3 Tage lang und am Ende hatte ich 4 kleine Babys im
Nest. Nun galt es 4 hungrige Schnäbel zu füttern. Ich hatte mich bei meiner Mutter
erkundigt, die mir sagte, dass man zuerst
winzige Maden aus der Baumrinde füttern
muss, später dann erst die Würmer.
Brigitte saß oft am Tisch daneben, und guckte uns zu. Und ich sah, wie sie es genoss.
Manchmal kam auch eine Freundin von ihr, die sehr neugierig war. Sie kam mir immer
etwas zu dicht heran. Wahrscheinlich hatte sie so etwas noch nie gesehen. Da war ich
doch ein wenig vorsichtiger und setzte mich auf meine Babys.
So waren wir alle glücklich , bis auf ein Problem . Der Letztgeborene machte uns
sehr
zu schaffen. So sehr wir uns auch bemühten, er blieb schwächlich. Die Anderen waren
immer schneller und fraßen ihm auch noch das Futter weg. Und die Hitze , die gerade
herrschte, tat auch noch ihr Übriges. Für uns war es schwierig geworden, Würmer aus
er Erde zu picken, denn durch die Hitze war der Boden steinhart geworden. Aber
auch da dachte Brigitte mit und kippte ab und zu ein paar Eimer Wasser über den
Balkon, damit wir es leichter hätten. Das war schon eine große Hilfe, aber auch
das
rettete unser Baby nicht.
Eines Morgens fand ich es tot im Nest. Seine Geschwister hatten es noch nicht
bemerkt und ich rief Ansgar, der es mit mir zusammen unter der Birke begrub
Natürlich waren wir sehr traurig, doch die 3 Anderen ließen uns keine Zeit zum
Trauern. Sie mussten ja weiter versorgt werden.
Und dann kam auch noch Brigitte auf den Balkon um mir wie immer“ Guten Morgen“zu
wünschen. Ihren traurigen Blick werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Ich glaube,
sie hatte alle meine Babys schon in ihr
Herz geschlossen. Aber auch sie konnte es ja
nicht ändern. Es hat nicht sollen sein. Und nun ist unser Baby im Vogelhimmel.
Und so vergingen die Tage mit Füttern, Nest sauber machen vom Kot und den
Eierschalenresten. und Aufpassen auf Elstern. Nun wurden auch meine 3 anderen
Babys flügge. Es war erstaunlich , wie schnell sie wuchsen. Sie hatten mir so viel
Freude gemacht, doch jetzt kam die Zeit für mich, dass ich auch sie gehen lassen
musste. Das Nest wurde auch für sie zu klein.
Schweren Herzens musste ich sie auf das
Alleineleben vorbereiten. In meinen Gute
Nacht Geschichten hatte ich ja schon viel von der großen weiten Welt mit ihren
Gefahren, aber auch Freuden erzählt. Sie waren schon ganz aufgeregt, und wollten am
liebsten gleich davon fliegen Ich vertröstete sie auf den nächsten Tag.
Und dann war er da. Wir schnäbelten alle noch einmal herzhaft, und mit einem
Freudengesang segelten sie über die Balkonbrüstung.
Mein größter Wunsch für sie
Mögen sie ein schönes sorgenfreies Leben haben und nette Menschen kennen
lernen,
die sie auch im Winter versorgen.
Ich jedenfalls, werde sie nie vergessen.