Heimkehr
Nach der langen Fahrt hat mich der Zug auf dem fast verlassenen Bahnsteig ausgespuckt. Niemand sonst ist ausgestiegen. Alles scheint mir fremd. So viele Jahre sind vergangen. Nach den ersten Atemzügen spüre ich die Kälte, die mich einzuhüllen scheint. Die Bahnhofsuhr zeigt den späten Nachmittag an, nicht mehr lange und es wird dunkel. Ich muss mich beeilen, denn der einsame Weg über die Felder ist nicht beleuchtet. Ich verlasse das Bahnhofsgebäude, schaue mich um. Der fahle Himmel und die fast durchsichtige Sonne spiegeln nicht einmal den Eindruck von
Wärme.
Ein eisiger Wind treibt Schnee über die Straße. Den langen Weg nach Hause vor mir, laufe ich vorbei an wenigen Menschen ohne Gesichter, sie haben die in Schals verborgen, wollen dem Frost entfliehen und in die Wärme zurückkehren. Kälte wächst hinein in mein Inneres. Eisnadeln prägen mir Furcht auf die Haut. War ich zu lange weg? Wirst du da sein? Immer stärker legen sich die bangen Fragen um mein Herz.
Ich lasse den Ort hinter mir. Hier draußen im Freien greift die Kälte noch unbarmherziger zu.
Der Frost lässt die Felder schweigen, die
Bäume ächzen, Gräser recken sich empor, gepudert mit weißem Schimmer. Krähen hocken in den schwarzen Furchen des Ackers, bewegen sich kaum.
Ich folge den Fußspuren im Schnee, die unveränderlich scheinen, als seien sie für die Ewigkeit. Wer mag hier gelaufen sein? Vor Tagen vielleicht, als der Frost noch gnädig war. Wie schön wäre es, wenn diese Spuren zu mir führten. Und zu dir. Ich höre das Knirschen, wenn meine Schritte zu fest in den harten Schnee stapfen. Es ist nicht einfach, eine zweite Spur in den gefrorenen Boden zu brennen,sie fällt kleiner aus, unbedeutender. Aber auch sie wird Bestand haben, eine Weile vielleicht,
wenn der Frost noch länger seinen Atem darüberlegt.
Dann die ersten Häuser des Dorfes. Geduckt scheinen sie die Straße zu säumen. An den Fenstern Alpenveilchen und Spitzengardinen. Wie damals. Tannen, schwer und dunkel, wachsen hinaus über die Dächer. Jetzt, da der Tag sich neigt und die blasse Sonne sich zwischen den Ästen verstecken will, ist Licht in den Mauerritzen gepflanzt, schimmert mit Frostkristallen um die Wette. Gar bald werden sich die Häuser in ihr Nachtgewand kleiden.
Kaum ein Mensch ist zu sehen. Nur die alte Frau kratzt mit der viel zu großen Schaufel Eisplacken vom Gartenweg. Das
Wolltuch umhüllt den Kopf, rote Apfelbäckchen leuchten mir entgegen. Sie lächelt.
Wenige Schritte noch und ich sehe das Haus mit dem Reetdach, fest in erstarrter Natur. Vertraut. Mein Herz pocht vor Freude. Du stehst in der offenen Tür mit ausgestreckten Armen. Wärme durchflutet mich. Endlich. Ich bin daheim.
Impressum
Text. Enya Kummer
Cover/Bildnachweis: Pixabay