Grüne Pralinen
Gleichmäßig schwinge ich hin und her. Ich sitze auf meiner Riesenschaukel und sehe Edwin schon von weitem kommen; wie immer mit knallgelbem Bauhelm.
Den Bauhelm trägt er nicht zum Schutz vor herabfallenden Teilen. Er trägt ihn, weil er selbst oft fällt. Der Helm schützt seinen Kopf. Klar könnte Edwin einen Fahrradhelm tragen; das wäre modischer und schnittiger. Doch er möchte kernig und kraftvoll aussehen. Wenn er schon ständig hinfällt, meint er, will er wenigstens eine starke, robuste Fassade haben; deshalb der Bauhelm.
Von meiner Schaukel aus sehe ich, dass Edwin eine lindgrüne Schachtel in der Hand hält. Und ich sehe, dass er nicht lächelt. Sonst lächelt er immer; heute nicht. Ausgesprochen traurig sieht er aus.
Edwin betritt die Terrasse, läuft durch meinen Rosenbogen, vorbei an wild wuchernden Büschen, bis er schließlich vor mir steht. Er sagt weder „Guten Tag“, noch „Hallo Lilo“. Stattdessen blickt er auf das Gras vor sich; kummervoll. Wortlos schaukele ich weiter. Abwechselnd schwinge ich weg von ihm, um dann zu seinem traurigen Gesicht zurück zu kehren. Ich schaukele,
Edwin fixiert den Rasen.
Dann geschieht etwas Ungewöhnliches: Edwin nimmt seinen Bauhelm ab. Er seufzt, klemmt ihn sich unter den Arm und geht zu meinem Gartentrampolin. Dort klettert er die kleine Leiter hoch, öffnet das Netz und krabbelt an das hintere Ende des Trampolins. Er setzt sich im Schneidersitz hin, legt die lindgrüne Schachtel zusammen mit dem Bauhelm vor sich und schließt die Augen.
Meine Neugier ist geweckt.
Ich beende mein Hin-und-Herschwingen,
springe von der Schaukel und gehe zum Trampolin. Edwin hat mich gehört, denn er öffnet die Augen und sieht mich unglücklich an. Ich klettere zu ihm.
„Was ist los?“, frage ich und setze mich ihm gegenüber; auch im Schneidersitz.
„Sie liebt einen anderen!“, schnieft er.
„Wer?“
„Elly.“
„Wer ist Elly?“
„Die Neue in meiner Wohngruppe. Alle haben sich in sie verliebt. Sie hat so wunderschöne Haare.“
„Und was hast du da in der Schachtel?“
„Pralinen! Für Elly. Wollt ich ihr schenken.“
„Wollt ich?“
„Elly hat Stefan geküsst. Die beiden sind jetzt zusammen.“
„Oh!“
Wir schweigen.
„Und was machst du jetzt mit den Pralinen?“
„Weiß nicht. Wegwerfen!“
„Hmmmm, was hältst du davon, dass wir sie essen? Das Wetter ist schön, die Pralinen sehen lecker aus und Elly kann dich mal.“
Lange sieht Edwin mich an. Er scheint zu überlegen. Schließlich grinst er.
Andächtig öffnet er die Schachtel. Als
ihm der Duft von Schokolade in die Nase steigt, macht er ein schnurrendes Geräusch.
Was Edwin schließlich aus der Schachtel holt, sieht aus wie normale Pralinen. Allerdings sind diese hier nichtbraun; sie sind grün. Er reicht mir eine dieser Pralinen. Ich schiebe sie mir vorsichtig in den Mund.
Wow! Was für eine Geschmacksexplosion! Edwin bemerkt mein Entzücken und lächelt. „Hat sich ´nen Vegarier ausgedacht“, sagt er. „Das Grün kommt von `ner Mischung aus Zitronen- … , äh, Zitronen- … dings und Rucala.“
Ich finde, diese Pralinen sind beinahe so zauberhaft wie das Schaukeln auf einer Riesenschaukel. Schweigend sitzen wir uns gegenüber und genießen die köstlichen, grünen Pralinen.
Schließlich ist die Schachtel leer.
„Du Lilo, wenn ich Pralinen essen will, muss ich dann eigentlich unglücklich sein?“
„Nö! Stell dir vor, du begegnest zwei Leuten. Der Erste isst nur dann Pralinen, wenn er unglücklich ist. Der Zweite isst
Pralinen auch dann, wenn er sich und seine Lieben verwöhnen will. Wen würdest Du näher kennen lernen wollen?“