Ich bin ein Jedi-Ritter
Als ich letztens von meiner regelmäßigen Physiotherapiestunde auf einer spätwinterlich leicht unterkühlten Straße nach Hause fuhr, just in diesem Augenblick, da passierte es...
Plötzlich wurde mir bewusst, wie stark ich eigentlich wirklich war, wenngleich ich doch ansonsten nur ein kleiner und ziemlich unbedeutender Rollstuhlfahrer bin. Aber ich wusste es schon immer. Ich war etwas ganz Besonderes. Und das, obwohl jede nicht abgesenkte
Bordsteinkante für mich im Sekundenbruchteil sofort zu einer schier unüberwindlichen Größe vom Kaliber Hoover Damm mutiert. Wenn ich aber im Auto sitze, mit meinem Rolli im Heck, dann bin ich ein ganz gewöhnlicher Autofahrer, wie jeder andere auch. Da rege ich mich auch genauso über diejenigen dünnbrettbohrenden Verkehrsteilnehmer auf, die scheinbar der Mikrobe der menschlichen Dummheit anheimgefallen gefallen waren oder aber in ihrer frühesten Jugend einfach mal zu oft mit dem Klammerbeutel gepudert worden sind.
Wie auch immer, wenn ich nicht das Rollstuhlfahrer-Zeichen an der Hecktür
zu kleben hätte, würde ich mich gewiss nicht sehr wesentlich von den vielen anderen Automobilisten um mich herum unterscheiden.
Auf dem Heimweg geschah es also, dass plötzlich vor mir ein dick eingemummelter Mann mit einem übergestülpten, uralten Wehrmachtshelm, auf einem vergammelten Moped mit lautem Geknatter und einer ebenso gigantischen, wie grauenhaft stinkenden Abgasfahne gemütlich vor mir her dümpelte. Das alles natürlich auf einer sogenannten Hauptverkehrsstraße, die diesen Namen eigentlich gar nicht mehr verdiente. Denn man hatte diese ehemals ziemlich breite, zweispurige Straße
schon vor geraumer Zeit zugunsten der Radfahrer auf eine einzige Fahrspur reduziert, die sich dummerweise der steuerzahlende Autofahrer nun auch noch mit der Klingel (ortsübliche Bezeichnung für eine Straßenbahn) und diversen grusligen Nachkriegsmodellen von stark die Umwelt schädigenden Töff-Töff's teilen musste.
Besagter Mopedfahrer also, der dieses grauenhaft stinkende Vehikel allerdings mehr schleichend, als vorwärts bewegte, befuhr aus mir völlig unerklärlichen Gründen selbstverständlich punktgenau die Mitte der verbliebenen kläglichen Reste jener verstümmelten Berliner Hauptverkehrsstraße.
Dieser mickrige, selbsternannte König der Landstraße tat gerade so, als hielte er Hof auf eigenem Grund und Boden.
Sightseeing-Tours mit 25 Kilometern pro Stunde auf zwei Rädern á la 1946. Nun war guter Rat teuer, denn die Straße war zu allem Übel auch noch mit einer durchgehenden weißen Mittellinie gekennzeichnet. Somit war ein Überholmanöver dieses unverschämten Gartenzwerges, wegen des permanenten Gegenverkehrs nicht nur äußerst gefährlich, ja es war unter den gegebenen Bedingungen nicht einmal gestattet. Und ich hatte zudem noch nicht einmal das Recht, diese renitente
Schlafmütze von einer Nachtjacke einfach anzuhupen, denn selbst die akustische Signalabgabe im deutschen Straßenverkehr ist nur in einem Gefahrenfall erlaubt und der lag im Moment nicht vor. Leider.
Plötzlich entdeckte ich einen Silberstreif am Horizont, denn es hatte sich durch eine in der Ferne betätigte Fußgängerampel ein kleines Zeitfenster ergeben, welches ich geschickt zu meinen Gunsten auszunutzen gedachte. Reichlich genervt beschloss ich trotz alledem, zugegebenermaßen sogar rechtswidrig, die weiße Linie zu überfahren, um somit unseren
schlummernden Helden auf seiner eklig stinkenden Möhre einfach zu überholen.
Nun wissen zumindest die älteren unter den Lesern, dass es im Leben nicht immer ganz ungefährlich ist, so mir nichts dir nichts, einfach mal eine weiße Linie zu überqueren. Das wussten natürlich auch schon die US- amerikanischen Sherman-Panzerfahrer-Boys, als sie damals im Hochsommer 1961 in der Berliner Friedrichstraße mit wippenden Kanonenrohren vor einer weißen Linie, die Berlin Ost und Berlin West voneinander trennte, stehenblieben. Bestimmt aber auch mit einem fetten Grinsen im Gesicht, weil sie sich ziemlich sicher waren, dass der bleiche
Mann da drüben hinter jener weißen Linie, in der grünen Ostberliner Polizeiuniform, just in diesem Moment in der Tat einen massiven Kupferbolzen in seine Unterhosen abgesetzt hatte...
Trotz dieser geschichtsträchtigen Episode im Hinterkopf entschloss ich mich aber dennoch zu einem verkehrsrechtswidrigen Handeln, überfuhr die weiße Linie und überholte zügig diesen stinkenden Widerling vor mir. In einer Entfernung von gut einem halben Meter zog ich locker an Etepetete vorbei, um hernach wieder über die weiße Linie auf meine Seite der Fahrbahn zurückzukehren.
Eigentlich sollte es das gewesen sein.
Als aber 'Entennasen-Gaston' bemerkte, dass ihm jemand auf "seiner Straße" ein ganz böses Schnippchen geschlagen hatte, drosch er mehrmals wutentbrannt auf den Knopf seiner grässlich quäkenden Hupe ein und machte anschließend mit einem permanenten Dauerhupen auf diesem disharmonischen Instrument seinem Unmut Luft. Urplötzlich verstummte aber dieser qualvolle Ton und im Rückspiegel konnte ich erkennen, dass ihm die Quetsche von Krachmacher von seiner Mähre abgefallen war und nun nur noch an einer Stippe baumelnd, lautstark gegen seinen Tank schepperte.
Das allerdings machte die Sache nur
noch schlimmer, denn nun schien der kampfbereite Krieger endgültig in Indianer-Joe erwacht zu sein und der gab seinem lahmenden Hengst jetzt heftig die Sporen. Mit wütendem Geknatter brüllte der brutal geschundene Ein-Zylinder-Zweitaktmotor aus deutscher Nachkriegsproduktion auf und zugleich stieg eine gewaltige weiße Rauchwolke in den spätwinterlichen Himmel Berlins, gerade so als hätten die Amis auf'm Cape Canaveral in Florida in einem gigantischen Comeback, die Booster eines ihrer Shuttles gezündet...
Da ich an der nächsten Ampel wegen einer Rot-Phase anhalten musste, gewann Conan, der Umwelt-Zerstörer enorm an
Boden und kam auf seinem feuerspuckenden Hengst urplötzlich rechts neben mir zum Stehen.
In einer unsäglich eloquenten Schimpf-Kanonade, von denen das lauthals gebrüllte Wort, „...Arschloch...“, noch die harmloseste aller verwendeten geistigen Entgleisungen war, die ich hier aber im Einzelnen auch nicht weiter ausführen möchte, entblößte dieser rachesüchtige Neandertaler seine komplett fehlende humanistische Bildung. Ob ich »blöde F…« denn nicht wisse, dass ich nicht unter eineinhalb Meter an ihm vorbeifahren dürfe…
Da ich selber aber nicht aussteigen
konnte, um ihn meine Sichtweise seines Verhaltens darzulegen, hielt ich es für angebrachter ihn stattdessen besser mit Dieter Hildebrandt zu konfrontieren, indem ich ihn freundlich lächelnd den „Scheibenwischer“ gab.
Der Gipfel der Konfrontation schien erreicht, als der Gift und Galle spuckende Kampfzwerg, mitten in sein wütendes Angriffsgeschrei hinein, nun brutal nach meiner rechten Türklinke grabschte und die Beifahrertür meines Autos aufzureißen versuchte.
Zu dumm für ihn, dass mein Renault bereits nach dem Anfahren automatisch die Türverriegelung aktiviert und damit ziemlich wirkungsvoll die Verlagerung
seiner ungeschmälerten Angriffswut in meinen Fahrgast-Innenraum radikal unterband. Während ich unbeirrt gelassen blieb und ihn weiterhin mit einem „Scheibenwischer“ irritierte, hatte er offensichtlich in der Tiefe seiner Kehle eine überaus respektable Menge von zähschleimigen Speichel versammelt, die dieser widerwärtige Pimpus nun äußerst dreist gegen meine metallicblaue Karosse spuckte.
Das war aber nun wahrlich zu viel, der despektierlichen Gemeinheiten dieses Gnoms und ich schloss konzentriert meine Augen. Plötzlich sah ich, wie sich das wütende Rumpelstilzchen zusammen mit seiner räudigen Karre allmählich
etwa einen Meter in die Luft erhob und er, in dieser für ihn ungewohnten Höhe, bereits zappelnd nach Atem rang. Während der röchelnde Giftzwerg da oben fast zu ersticken drohte, vernahm ich die befehlsgewohnte Stimme des Generals der imperialen Streitkräfte,
»Lassen Sie ihn los, Lord Vader, er hat genug...«
Erschrocken riss ich die Augen auf und die Kanaille plumpste samt seiner knatternden Dreckschleuder so heftig auf die unterkühlte Fahrbahn zurück, dass die Federn seiner Stoßdämpfer krachend bis auf den Asphalt durchschlugen. Während dieses Vorgangs setzte nun ein mächtiges Hupkonzert von anderen
aufgebrachten Autofahrern ein, die durch dieses sensationelle Spektakulum am Weiterfahren gehindert wurden. Völlig verdattert warf der Halunke nun wieder seinen beim Rücksturz zur Erde verstummten Motor an, wobei ihn nun auch noch vollends der kümmerliche Rest seiner Hupe abriss und laut scheppernd über den Boden kullerte. Erschrocken fuhr er seinen Klepper mit einem rasanten Hochstart an und passierte die Kreuzung in der nächsten Ampelphase sogar bei Rot... Einem bei Grün in die Hauptverkehrsstraße einbiegenden Kleintransporter konnte er nur mit Mühe in einem gewaltigen Schlenker ausweichen. Wieweil er während seiner
hektischen Weiterfahrt seinen total verrutschten Nazi-Helm wieder einigermaßen zurechtgerückt hatte, zeigte er mir noch aus der Entfernung seinen „Effenberg-Finger“ bevor er endgültig im dunstigen Nebel seiner stinkenden Auspuffgase verschwand…
Ich atmete auf, möge die Macht doch immer mit mir sein…
***
Impressum
Cover: selfARTwork
Text: Bleistift
© by Louis 2014/3 last Update: 2021/11