Zu früh
Der Wecker rasselt in meine Träume hinein. Unwillig (ich hatte gerade von einem dunkelhaarigen attraktiven Mann, der mich im Supermarkt anlächelte, geträumt) taste ich nach dem Ausschalter und schiele zum Fenster. Alles grau in grau. So richtig ein Wetter zum Weiterschlafen.
Aber nein, ich hatte ja den Termin beim Orthopäden. Den durfte ich natürlich nicht verpassen. Man bekommt ja heute so schlecht Termine . Wartezeiten bis zu einem halben Jahr ----------.
Gut, dass ich alleine lebe, denn der herzzereißende Seufzer, der sich meiner Kehle entringt, würde doch so manchen Mitbewohner zum Lachen reizen.
Aber vielleicht wäre es ja gerade das, was ich jetzt bräuchte.
Ich öffne die Balkontür. Der kühle, nasse Wind, der mir entgegen weht, macht mich frösteln. Ja, nun hat sich der Herbst wohl wirklich eingestellt. Der Gedanke an die darauf folgende Jahreszeit macht mich auch nicht gerade fröhlicher. Ich hasse den Winter mit seinen trüben, nassen und kalten Tagen, denn hier im Norden Deutschlands sind Schnee und Sonne eher
selten.
Ich stelle das Radio laut , damit sich die gute Laune beim Mitsingen unter der Dusche einstellt. Im Radio bringen sie gerade jemanden ein Ständchen. Sie haben wirklich unserer lieben Oma gesagt.-----------Meine Enkel würden nie auf eine so tolle Idee kommen.
Aber dabei fällt mir ein, Klaus hat ja heute auch Geburtstag. Klaus ist der Lebensgefährte meiner Tochter.
Ich bin stolz auf mich, dass mir das gerade noch eingefallen ist. Ich hatte den Geburtstag versehentlich auf den 7.10. in meinen Kalender eingetragen. Gut, dass ich Gabi noch einmal gefragt hatte. Das hätte peinlich werden können.
Nun bin ich aber durch das Duschen und Singen endgültig munter geworden und trete wohlgemut den Weg in die Küche an um mir mein Frühstück zu bereiten.
Der Kaffee duftet und die Zeitung ist auch schon da. Nun kann der Tag nur noch schön werden, ------ wenn mir der Orthopäde nichts Negatives berichtet. Jetzt schnell noch mal ins Bad und das Gesicht etwas renovieren. So ein bisschen Schminke macht in meinem Alter doch schon ganz viel aus. Und man fühlt sich dann auch viel besser. Nicht, dass man mir unterstellen will, dass ich den Arzt anmachen will. Ich kenne den ja noch gar nicht.
Dabei fällt mir meine Tante Käki ein, die ich einmal zum Arzt begleitet habe. Die zog sich immer einen blütenweißen Spitzenunterrock an und wenn sie dem Arzt gegenüber saß, zog sie den Rock immer so hoch, dass man die Spitze sah. Mir war das damals immer sehr peinlich. Nein, so möchte ich nun doch nicht werden. Zufrieden schaue ich in den Spiegel. Na also, geht doch!
Ich liege gut in der Zeit. Meine Bahn fährt in einer halben Stunde. So kann ich doch noch schnell den Klaus anrufen und ihm gratulieren.
Ich erreiche ihn auf dem Handy. Dann schmettere ich los : „Glück und Segen,
Fried' und Freude wünschen wir dir alle heute, einen Himmel hell und klar und ein gutes neues Jahr.“ Ein helles Gelächter schallt mir entgegen. Wie schön, dass Menschen sich noch so freuen können.
„Das hast du ja ganz toll gesungen, Brigitte, aber es ist leider etwas zu früh. Das musst du morgen nun noch einmal wiederholen. Heute ist erst der 7.10. Aber ich könnte es ja auch so sehen, dass du die Erste warst, die mir gratuliert.“.
Wie vom Donner gerührt, stehe ich nun da. Wie konnte mir das nur passieren. Und Gabi hat mir doch auch extra gesagt, dass der Geburtstag am 8.10. ist. Dann ist ja alles andere auch hinfällig
geworden. Der Arzttermin steht ja auch am 8.10. in meinem Kalender drin. Ich habe also einen ganzen Tag übersprungen.
Und was mache ich nun? Wo ich doch jetzt so gut aussehe.
Ich beschließe, den nächsten Supermarkt aufzusuchen. Vielleicht ist ja der nette tolle Mann, der mich im Traum so angelächelt hat, zugegen. Vielleicht lächelt er mich ja auch an.
Dann hätte sich der ganze Aufwand wenigstens gelohnt.