Kurzgeschichte
Holst mich ab

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"Gleich und Gleich gesellt sich gern. Wir sind, wie wir sind und bleiben so."
Veröffentlicht am 13. August 2021, 12 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Gleich und Gleich gesellt sich gern. Wir sind, wie wir sind und bleiben so.

Holst mich ab

Titel

Wir haben doch einiges gemein. Zum Beispiel sind wir beide eher einzelgängerisch. Es hat sich so ergeben. Irgendwann hat man es eben satt, das einem andauernd Vorschriften gemacht werden oder gesagt wird ‚ändere das an dir‘. Immer wieder vertrauten wir Menschen und wurden hinterher bitter enttäuscht. Ebenso stehen wir beide nicht so auf Familie. Er hatte Jahre gebraucht, um endlich selbstständig zu sein, weil seine Familie sich immer und immer wieder in seine Entscheidungen und sein Leben reingehängt haben. Vor allem seine Großmutter. Bis er eines Tages

eines Break machte und sich voll und ganz von seiner Familie distanzierte. Der Tod, einer Person, kann manchmal sehr hilfreich sein. Bei mir war es so ähnlich. Ehrlich gesagt, waren es bei mir andere Gründe, warum ich den Kontakt zu meiner Familie abbrach. Über die möchte ich aber nicht reden. Auch er kennt die genauen Gründe dafür nicht. Er akzeptiert die Tatsache, das es so ist und hakt nicht nach. Dies ist eines der Dinge, die ich so sehr an ihn mag. Wenn ich ihm sage, das ich etwas nicht möchte, dann akzeptiert er es und lässt mich damit in Ruhe. Vor vielen Jahren hatte ich einmal eine

beste Freundin. Zumindest dachte ich, sie wäre meine beste Freundin. Bis sich herausstellte, das sie sich nur mit mir sehen ließ, damit sie noch besser aussah, als sie eh schon ausgesehen hatte. Kontrast, zwischen mir und ihr, ist mehr als deutlich sichtbar. Sie hat eine weibliche Figur und ordentlich Holz vor der Hütte. Ich hingegen habe eher eine Knabenhafte Figur und nichts zu bieten. Da, wo andere Brüste haben, ist es bei mir Flachland. Meine Haare sind so schrecklich, das ich sie kurz halte. Damit sehe ich noch mehr wie ein Junge aus. Damals hatte ich extreme Komplexe deswegen, weil ich auch keinen Freund abbekam. Irgendwann kam der Punkt, wo

ich mich dafür entschied, mich unters Messer zu legen und mir Silikon einpflanzen zu lassen. Doch dann sah ich diese Reportagen, mit den missglückten Operationen und auslaufenden Silikonkissen. Katja K hatte es in ihrer Bitchbibel beschrieben, wie ihre Brust OP danebenging. Das hatte mich abgeschreckt. Heute kann ich damit ganz gut leben. Meine Therapeutin hatte mir dabei mächtig gut geholfen, die Komplexe abzubauen. Vor ein paar Jahren traf ich ihn. Er hatte mir nachgestiert. Wenn ich mich nicht zufällig umgedreht hätte, weil ich das Gefühl hatte, gerade etwas fallengelassen zu haben, wäre mir das entgangen.

Starrst du mich an, hatte ich ihn gefragt, während er einen Automaten sauber machte. Er zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. Einer seiner Kollegen ging an uns vorbei und sagte irgendwas. Worauf er erwiderte: „Ich bin ne Sau und steh dazu.“ Dann sah er zu mir und sagte: „Ich habe viertel vor halb elf Feierabend. Holst mich ab? Ich will auch mal abgeholt werden.“ Ich schüttelte mit dem Kopf und ging. Punkt 22 Uhr 15 stand ich vor der Tür. Von ihm keine Spur. Aber ich sah, das noch Licht brannte und sich Gestalten bewegten. Kurz nach halb elf ging die Tür auf. Sein überraschtes Gesicht werde ich nimmer vergessen. Es währte nur

eine Sekunde, dann wurde es von einem breiten Lächeln überdeckt. „Du kommst ja wirklich.“, rief er erstaunt. „Das ist nur Zufall. Ich lief hier grad vorbei.“, log ich. Ich weiß nicht, was mich dazu getrieben hatte, ihn von seiner Arbeit abzuholen. Ehrlich gesagt, hatte ich gar kein Interesse an ihm gehabt. Weder als Kumpel, noch als Freund oder Freundschaft plus. Wir gingen ziemlich schweigend zu ihm. Es war ungewohnt, für mich, in jemandes Gesellschaft zu sein und nicht zugequatscht zu werden. Ich genoss es. Seine Wohnung war sehr individuell

eingerichtet. Mir gefiel es. Er führte mich ans Küchenfenster, vor der eine Mörtelwanne mit Tomatenpflanzen stand. „Du darfst dich gern bedienen. Die kleinen, roten haben den besten Geschmack.“ Ich zupfte mir eine Frucht ab und biss rein. Er hatte recht. Nicht zu vergleichen, mit dem, was man üblicherweise im Supermarkt bekam. „Früher sah meine Wohnung anders aus. Alles war vollgestellt. Nur keine Dreckecken entstehen lassen.“, sprach er nachdenklich, verträumt, mit einem angewiderten Ton., „Ungefragt hatte sie sich überall eingemischt und mit ihrem Geld gewunken. - Ihren Worten nach war

ich selbst zum scheißen zu blöd. Nichts hatte sie mir zugetraut. Immer mit ihren anderen Enkel verglichen. Bis zum letzten Tag wollte sie nicht kapieren, das man uns nicht vergleichen kann, da wir zu unterschiedlich sind. Wir haben verschiedene Eltern und IQ’s. Im Gegensatz zu ihm, ging ich in eine normale Schule, mit gehobenem Niveau. - Nach ihrem Tod konnte ich mich frei entfalten und mich von Ballast befreien. Materiellen, so wie sozialen. Ich bin nicht, wie sie und will auch nicht so werden.“ Sein Blick war ins Leere gerichtet. Er hatte direkt hinter mir gestanden. Seine Hände lagen sanft auf meinen Schultern.

Ich wedelte meine Hand vor seinem Gesicht. Keine Regung. Es verging eine ganze Zeit, bis er aus seiner Trance aufwachte. Verwirrt schaute er um sich und dann auf mich. „Willst mal probieren?“, fragte er mich und nickte zu den Tomaten. Es sollte nicht das letzte mal sein, das ich ihn so erlebe. Dadurch erfuhr ich sehr viel über ihn und begann ihn immer mehr zu verstehen. Es war auch der Beginn, ihn Interessant zu finden. Nach dem ich ihn so erlebt hatte, wollte ich mehr über ihn erfahren. Und je öfter wir uns sahen, desto lieber fand ich ihn. Ich weiß, das er immer noch anderen Frauen nachschaut. Wenn uns Eine mit

einem tiefen Ausschnitt entgegenkommt, sehe ich seinen Blick wandern und seine Augen sich weiten. Dafür schaue ich anderen Männern hinterher. Und das uns viele für ein schwules Paar halten, geht uns beiden so was von am Arsch vorbei. Das ich ihn damals, obwohl ich es nicht vorgehabt hatte, von der Arbeit abholte, war die beste Entscheidung gewesen, die ich je gefällt hatte. Ich kann mir ein Leben ohne ihn gar nicht mehr vorstellen. Er akzeptiert mich so, wie ich bin. Versucht nicht, mich zu ändern. Weder äußerlich, noch mein Wesen. Und ich lasse ihn, so, wie er ist. Wir haben beide unsere Macken und Makel; Ecken und Kanten. Aber genauso so wollen wir

uns. Genau so und nicht anders.

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