Friedemann Liebe Cassy, wäre ich in Konstanz zur Schule gegangen und hätte einen Aufsatz oder sonst was fertig schreiben müssen, hätte auch ich - so wie Du - Leerstellen übrig gelassen, um im schönen Bodensee baden oder surfen zu gehen. Soll sich doch der Leser die Geschichte fertig denken, was aber einen Haken hat: Je nach seiner Stimmung führt die Kombination der Textsegmente zu einem glücklichen oder tragischen Ende, dazu noch mit einer Unzahl an Zwischenstufen, wie folgende Überlegung beweist: Im ersten Absatz (noch ohne Hausmeister) sind für die Handlung 3 Textsegmente relevant (Schlagworte mit V wie vorher): V1: Hochhaus. V2: Kein Lachen, weil sich Nachbarn nicht kennen. V3: Leichen in den Wohnungen. Im zweiten Absatz (nachdem der Hausmeister mitwirkt) sind 3 Schlagworte von Bedeutung (N wie Nachher): N1: Müll wird vom Hausmeister im Container entsorgt. N2. Kinder lernen Lachen (vom Hausmeister). N3: Kind tot. In der Kombination der Vorher- mit den Nachher-Textsegmenten ergeben sich fast unzählige frohe und tragische Varianten am Ende, von denen einige per Würfelspiel herausgegriffen werden: V2xN2: Dank Hausmeister wird im ganzen Haus – nicht nur von Kindern – gelacht. V1xN3: Kind fiel aus den oberen Stockwerken des Hochhauses vom Balkon oder aus dem Fenster. V3xN1: Kein Gestank mehr im Haus, da der Hausmeister die Leichen im Container entsorgt. Liebe Grüße und herzlichen Dank für Dein ebenso interessantes wie lehrreiches Werk, Friedemann |
cassandra2010 Ui, da hast Du eine feine Analyse geliefert, chapeau! BTW, Konstanzer Schule bedeutet Qualitätsuni, auch Klein Harvard am Bodensee. Aber Du hast natürlich Recht - wir lagen natürlich im Sommersemester sehr oft am See... Danke für Alles Cassy |
Friedemann ….. Euer Lehrmeister ebenso? Dann wäre es natürlich kein Wunder, wenn er aus seiner Not eine Tugend machte und die Leerstelle zur literarischen Innovation erhob. Liebe Grüße, Friedemann |
DoktorSeltsam Jaja, die Konstanzer Schule. Sind wir nicht alle einmal durch die Konstanzer Schule gegangen? Alle? Nein, nicht alle! Der Autor dieser Zeilen ist durch die von Handke und Rühmkorf vielgelobte "Peiner Schule" gegangen. Bedeutet: Wenn wir eine Runde Bier bestellt haben, waren wir uns einig, dass wir erst dann nach Hause gehen, wenn das gottverdammte Fass leergetrunken ist. Ja, goldene Zeiten. Wie geht's dem Peter eigentlich? Leidet er immer noch an akuter Hirnverengung? Egal. Ich lese gerade die "Lieblosen Legenden" von Wolfgang Hildesheimer, und ich muss sagen: Der Mann spricht mir aus der kalten Hose! Was wollte ich hier eigentlich? Ach ja: Liebe Grüße, Wolle Preisendanz |
cassandra2010 Ha, der Wole! Wie schön war es, in seinen alten Jahren als junge Spundin in seine Sprechstunde zu gehen und über die aktuelle BuLi und den Feinkostladen in der Rosgartenstraße zu plaudern... où sont les neiges d'antan? Robbie Jauß dagegen war wenig empathisch, hab deswegen auch meine Staatsarbeit nicht bei ihm, sondern bei Wolle P. geschrieben. Linksversifft und ideologiekritisch. So wie sich das einmal gehörte... Waaaahnsinn! LG Cassy ... äh, die kalte Hose is aber nich seine, gell? |
cassandra2010 Meine zu wissen, dass Wolle P. damals in der Jury saß, die dem wunderbaren Paul Celan 1960 den Büchnerpreis zusprach... vielleicht war es aber auch Fritz Martini, müsste ich mal nachschlagen ~~~ Cassy |
HarryAltona Tja, jeder hat so sein Steckenpferd. Auch wenn ´s gruselt. Hauptsache der Müll ist getrennt. lg... harryaltona |
cassandra2010 So isset, ming Harry! Aber ich muss auch sagen, dass ich immer sehr gelöst bin, wenn ich meine Mülleimer geleert habe und der ganze Siff von den Orange Boys abgeholt wurde~~~ Schönes WE Cassy |
Brubeckfan ? |
cassandra2010 Aspekt meiner deformation professionnelle.. Als Elevin der sogenannten Konstanzer Schule habe ich natürlich literaturtheoretische Modelle aller Arten kennengelernt, u.a. auch das W. Isers: Die Leerstelle als Grundbegriff der Rezeptionsästhetik wurde vom Anglisten Wolfgang Iser in die Literaturtheorie eingeführt. Iser knüpfte damit an das Konzept der Unbestimmtheitsstellen von dem polnischen Philosophen Roman Ingarden an, grenzt sich zugleich aber deutlich von dessen Ansatz ab. „Immer dort, wo Textsegmente unvermittelt aneinanderstoßen, sitzen Leerstellen, die die erwartbare Geordnetheit des Textes unterbrechen.“ (Iser: Der Akt des Lesens, S. 302) An diesen Stellen ist der Leser gefordert, denn er muss die Textsegmente in eine Beziehung zueinander setzen. Sei gegrüsst als impliziter Leser Cassy vom See BTW... wieso gibt es auf dem Handy kein Eszett? |