Kurzgeschichte
Der Engel, der Teufel und ich

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"Der Engel, der Teufel und ich"
Veröffentlicht am 22. Februar 2022, 12 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Der Engel, der Teufel und ich

Der Engel, der Teufel und ich

Der Engel, der Teufel und Ich

Ich kann nicht sagen, dass mein Leben so verlaufen ist, wie ich es mir ausgemalt habe. Letztlich verändern sich die Träume mit der Zeit – einige erreicht man, andere sind zu unrealistisch und schließlich wird alles zu einem dichten Nebel, dem man nicht mehr folgen mag, oder auch nicht mehr folgen kann.


Mein Leben nahm viele schicksalhafte Wendungen, aber schließlich habe ich einen Job gefunden, der mich ernähren konnte, wenn er mich auch nicht ausfüllte. Mit jedem Tag auf Arbeit wurde es schwerer dorthin zu gehen. Die Kollegen, so lieb oder nett sie auch waren, sind nur bedingt eine Hilfe.


Ich weiß, dass ich an dem Tag, als mir meine Kollegin eine schwierige Frage stellte, ziemlich abgekämpft war. Ich saß an meinem

Arbeitsplatz, konnte kaum meine Gedanken sammeln, konnte kaum nachdenken über meine Arbeit, sondern habe nur sehr mechanisch funktioniert. Es ist ein abarbeiten der Sachen, die man machen muss. Keine Kreativität, keine Herausforderung, nur ein Abarbeiten. Ich kann mir nicht helfen, die langweile übermannt mich in solchen Situationen immer. Aus diesem Loch der Antriebslosigkeit und Einfallslosigkeit wieder herauszukommen mag für einige Menschen eine Stärke sein – ich ergebe mich diesem Gefühl. In einigen Fällen nimmt mein Körper diese Probleme auf, dann dreht sich die ganze Welt um mich und es erscheint mir ein neuer Blickwinkel.


Eine drehende Welt lässt einen die eigene Verletzlichkeit spüren. Außerdem vergegenwärtigt man sich, dass man ständig in Bewegung ist, egal, was auch passiert. Wie sehr man ruht, es gibt doch immer die mitreißende

Erdbewegung, welche einen nie zur Ruhe kommen lässt.


In Gedanken versunken und bei dem Versuch geschäftig zu wirken, ohne es wirklich zu sein, drang eine Frage an mein Ohr. Die schwarzhaarige Kollegin hatte sie mir gestellt. Einfach so hat sie die Frage in dem Raum geworfen, als würden wir täglich über alles reden und könnten uns die intimsten Fragen stellen. Ich konnte sie gut leiden, ihr Gesicht verriet schließlich immer ihren Gemütszustand. Sie musste die Gefühle immer rauslassen, wie ein brodelnder Vulkan kurz vor dem nächsten Ausbruch – dabei zeigte sich eine Schönheit und Verletzlichkeit, aber auch Stärke, welche man heute nur bei den wenigsten Frauen sieht.


Ihr Gesicht schien keinen wirklichen Ausdruck bei der Frage zu zeigen. Normalerweise lächelt sie, falls sie was fragt. Wenn es um Arbeit geht,

zeigt sie meist keinen Ausdruck, aber es ging nicht um die Arbeit. Als ich sie länger ansah, nachdem sie es ausgesprochen hatte, wirkte sie verlegen.


Bist du religiös? Das war die Frage, welche mich ein wenig aus der Fassung gebracht hatte. Ich wusste nicht, was geantwortet werden sollte, daher musste ich Zeit schinden. Ich gab zurück, dass es auf die Definition ankam. Sie gab mir recht, sie hätte es präzisieren sollen. Das reichte mir aber schon an Zeit, um nachzudenken. Daher brach ich ihre Überlegungen ab und begann ihr von meinen Vorstellungen zu berichten.


Ich wurde von meinen Eltern christlich erzogen. Trotzdem war mir die Kirche nur bedingt wichtig. Kirchen selbst sehe ich als Kunstwerke an, die für einen Gott gebaut wurden. Sie können unheimlich schön sein. Aber nur in

einer Institution wie der Kirche zu sein, bedeutet für mich nicht religiös zu sein. Trotzdem würde ich mich als religiös bezeichnen. Ich glaube zwar nicht an alles aus der Bibel, aber ich glaube schon, dass es ein Wesen gibt, was größer ist als der Mensch. Ob das Wesen an unserem Leben Anteil nimmt, ist grundsätzlich egal. Ob uns das Wesen erhört, ist ebenfalls nicht von Belang. Es gibt aber ein Wesen, was mächtiger ist als der Mensch. Vielleicht hat es eine lenkende Macht – beweisen kann man es nie – die Frage ist nur, ob der Zufall dann wirklich etwas zusammenbringt?


Die Kollegin sagte mir, dass sie es ziemlich ähnlich sieht und nicht auf etwas hofft, nur weil sie ein redliches Leben geführt hat. Sie sagte mir auch, dass sie mit den meisten Menschen nicht viel darüber reden kann und nur wenige kenne, welche religiös sind. Als ich sie fragte,

wie sie darauf komme, meinte sie nur, sie habe auf einer Anzeige, Klang und Stille gelesen. Das habe sie auf die Frage gebracht.


Komisch war jedoch, dass sie ihr Gesicht vor der Antwort schnell nach rechts gedreht hatte, sodass ich ihr Gesicht kaum sehen konnte. Sie blickte anscheinend krampfhaft nach rechts unten auf einen Bildschirm, dort wo normalerweise die Uhr zu sehen ist. Ich sah ein leichtes Lächeln auf ihrem Gesicht, was ich nicht zuordnen konnte. Das schwache Licht des Abends, welches durch das Fenster hereinkam, vor dem sie saß, sorgte für ein leichtes Funkeln in ihren Augen und traf auf den Ohrring ihr linkes Ohr – sie wirkte wie ein kleiner Engel, der sich besonders klein gemacht hat, um nicht erkannt zu werden.


So ging der Freitagnachmittag dahin. Irgendwann war der Arbeitstag um und ich

konnte wohlverdient nach Hause zurückkehren. Eine neue Wochenendwelt erwartete mich mit einem schönen Whiskey, seichtem Jazz und einem Bett.


Am nächsten Morgen wollte ich früh raus. Ich hatte eine Wanderung von knapp 60 Kilometern geplant und wollte dafür den ganzen Tag Zeit haben. Ich ging also los, über Stock und über Stein. Die Wanderwege waren gut – es hatte die letzten Tage nicht geregnet. Morgens war noch kaum jemand unterwegs und so schaffte ich sehr gut, sehr viele Kilometer.


Nach einigen Stunden kam ich zu einer kleinen Dorfkirche. An der Kirche stand etwas von der Kirchengemeinde Hönow. Die Kirche war offen und ich trat ein. Sie war klein, klein aber fein. Schmucklos, aber schön. Hell und elegant. So mag ich evangelische Kirchen. Ich ließ mich nieder, um inne zu halten. Ich wollte danken für

den guten Weg, mein Leben und auch meine Arbeit – die ich zwar nicht sonderlich mochte, aber dennoch ging ich jeden Tag hin. Es musste also etwas Gutes geben. Ich saß dort und auf einmal übermannte mich ein Gedanke. Bist du religiös? Das war die schwierigste Frage, die mir gestern nebenbei gestellt wurde. Es war die Gretchenfrage. Wie hältst du es mit der Religion? Die Frage musste schon der Dr. Faust beantworten. Meine Kollegin hatte mir die Frage mit der gleichen Tragweite gestellt und ich hatte es nicht einmal erkannt. Wie konnte ich nur so dumm sein.


In der Kirche sitzend, stieg die Wut in mir hoch. Ich kochte innerlich. Mir vielen in Sekundentag Gespräche und Gesprächsfetzen mit der Kollegin ein. Sie wusste, dass ich religiös bin – wir hatten uns zu Ostern unterhalten und da meinte ich, dass der Feiertag mir wichtig ist. Ich konnte die Wut kaum

verbergen in meinen Gedanken. Sie hatte ihr Gesicht abgewendet, damit ich nicht sehe, dass sie lügt. Die Frage war lange geplant und kam gar nicht spontan. Wie wurde ich nur vorgeführt! Diese kleine charmante und unscheinbare Person, hat mir unbarmherzig die schwierigste Frage der Literaturgeschichte gestellt. Deswegen das Lächeln – sie hatte mich reingelegt. Die kleine listige Hexe treibt garantiert Unzucht mit dem Teufel in solchen Kirchen. Angewidert und ruhig verließ ich die Kirche.


Ich setzte meine Reise fort. Die Wut nahm ich mit, auch wenn sie sich legte. Ich war eigentlich nicht wütend auf sie, sondern wütend auf mich. Immerhin hatte ich mich reinlegen lassen. Das verstand ich in den folgenden Stunden und stand irgendwann in der Kirche von Altlandsberg. Die Schritte vergingen im Flug, es gab viel zu bedenken. In der Kirche

war ich die Ruhe in Person. Ich muss gestehen, dass wenn es eine Weltmeisterschaft im Stellen von schwerwiegenden Fragen auf eine einfache Art geben würde, sie garantiert spielend unter die besten Drei kommen würde. Meine Wut wandelte sich in Begeisterung, auch wenn ich nicht begriff, wie sie mich so einlullen konnte.


Auf dem Rückweg dachte ich lange nach. Ich war einem Engel begegnet, der mir den Teufel schickte und mich doppelt in Versuchung führte. Ich wusste nicht mehr, was ich glauben soll. Ist so etwas echt? Das ist das Leben? Ich ging weiter und dachte mir eigentlich, dass ich nächsten Montag ihr ein Kompliment aussprechen müsste – immerhin ist sie eine charmante und listige Person – Engel und Teufel zu gleichen Teilen - eine explosive Mischung, mit der es garantiert nicht langweilig wird.

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Wandersmann

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Nereus Jeder Mensch, so ist meine gebastelte Meinung, ist je zur Hälfte mit einem GÖTTLICHEN FUNKEN und einem TEUFLISCHEN PLAN ausgestattet.
Es liegt an mir welchen ich folgen will.
Deine Gedankenoffenbarung ist mir wert.
dankend lieben Gruß
markus
Vor langer Zeit - Antworten
Wandersmann Das ist eine interessante Theorie - habe vielen Dank für den Kommentar, ich werde darüber nachdenken müssen.
Vor langer Zeit - Antworten
Kornblume Bist Du verliebt in sie, lieber Wandersmann ? Versteckst Du Dich und die Schmetterlinge in Deinem Bauch hinter dem Kreuz mit der leidenden Jesusfigur?
Warum? Überprüfe Deinen Weg und wenn Du an die nächste Gabelung kommst, entscheide Dich nicht sofort für den glatten und geraden Weg. Überlege lange bis Du weißt, was Dir wichtig ist und welches Ziel Du erreichen möchtest.
Lächelnde Grüße schickt die Kornblume
PS Deinen Arbeitsplatz sollest Du auf keinen Fall aufgeben. Nette Kollegen sind viel wert.
Vor langer Zeit - Antworten
Wandersmann Vielen Dank für die Gedanken Kornblume,
Liebe ist immer so ein schweres Wort. Sie sollte voller Leichtigkeit sein, kann aber auch lähmen.

Ich gehe meinen Weg jederzeit und überprüfe ihn immer wieder. Die nächste Gabelung wähle ich wie immer mit bedacht. Ich weiß genau, welches Ziel ich erreichen möchte, wie das am besten geht, ist aber schwierig zu sagen. Es bleibt spannend in meinem Leben.
Vor langer Zeit - Antworten
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