Brubeckfan Hallo Roger, ja es könnte doch so einfach sein: Man glaube was einem gut tut, streng oder schwach oder gar nichts, und lasse die anderen in Ruhe. Doch manche brauchen immer wieder diese Erzählungen über die bösen Feinde, keine Ahnung warum. Die Gerüchte der QOnanierer heutzutage wiederholen ja auch uralte Beschuldigungen aus antisemitischer Tradition. Und natürlich ist eine Kritik gegen Merkel, Putin, Netanjahu kein Verdammen DER Deutschen, Russen oder Juden. Gruslig wird es andererseits, wenn man für Kritik am Expansionsdrang Orthodoxer ("dort liegen nämlich unsere Ahnen begraben") um die Ohren gehauen bekommt, man wolle wieder die Verbrennungsöfen. Daß jüdische Einrichtungen des Polizeischutzes, der Zäune und Sicherheitszonen bedürfen, ist verständlich aber oberpeinlich. Wie schön, daß wir immer mal demokratisch auf die Lage von Minderheiten anderswo weisen können, nicht? Ach, wir sind immer noch bei der Analyse. Wie kommen wir weiter? Wohl nur durch menschliche Begegnung. Wertvoller Text jedenfalls. Viele Grüße, Gerd |
cassandra2010 Tendenziell gebe ich dir recht, 1000 Jahre Judentum auf deutschem Boden sind zwar eine beeindruckend lange Zeit, aber diese war in vielen Jahren geprägt durch Hass auf die jüdischen Mitmenschen, Vorurteile, etwa, die Juden äßen Kinder und andere Idiotien mehr. Harry Heine, der große deutsche Dichter des 19. Jahrhunderts, der sich als Kosmopoliten empfand und im französischen Exil dennoch Sehnsucht nach der deutschen Sprache verspürte, wäre seiner Mutter zufolge am besten katholischer Theologe geworden. Heine hat sich 1825 protestantisch taufen lassen, um in den Staatsdienst treten zu können. Er bemühte sich gerade um eine Professur an der Münchner Universität, als ein Lustspiel seines Feindes Platen erschien, in dem dieser Heine u.a. bezeichnete als „den herrlichen Petrark des Lauberhüttenfestes“ (Heines Freund Immermann hatte Heine in einer Rezension mit Petrarca verglichen), zudem unterstellte er ihm „Synagogenstolz“ und dichtete ihm, antisemitische Klischees bedienend, „Knoblauchsgeruch“ an. Deutschland war im 19. wie 20 Jahrhundert keine wahre Heimat für Deutsche jüdischen Glaubens, der Antisemitismus war meilenweit von dem entfernt, was Lessing in seinem Ideendrama „Nathan der Weise“ diesen in der berühmten Ringparabel schlussfolgern lässt:„Wohlan! Es eifre jeder seiner unbestochnen von Vorurteilen freien Liebe nach!“ An dieser erweist sich für den Aufklärer Lessing nämlich der Wert der drei monotheistischen Religionen und die Größe des menschlichen Herzens.. Aber der humanistische Kerngedanke fiel und fällt gerade in unserem Lande nicht bzw. zu oft nicht auf fruchtbaren Boden... Shalom Cassy PS: In einer offiziellen Würdigung zu seinem 100. Todestag am 17. Februar 1956 verlautbarte die Bundesregierung: "Dieser Mann hat so vieles geschrieben, was man, von welchem Standpunkt auch immer, unmöglich billigen kann, dass es in der Tat Schwierigkeiten bereitet, vor den Augen der uns gerade jetzt ironisch aufmerksam betrachtenden Welt das allzu Abscheuliche taktvoll zu übersehen und das Großartige und Schöne um so lauter zu loben." Der Mief der Adenauer-Ära zeigt sich, dass A. als Chef des Kanzleramtes einen Globke zuließ, immerhin Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassegesetze. Im Wilhelmstraßen-Prozess sagte er als Zeuge der Anklage gegen den dort angeklagten Stuckart aus und erklärte in diesem Zusammenhang, gewusst zu haben, „dass die Juden massenweise umgebracht wurden.“ Er habe „zu jener Zeit“ gewusst, dass „die Ausrottung der Juden systematisch betrieben wurde“, wenngleich, gab er einschränkend an, „nicht, dass sie sich auf alle Juden bezog.“ |
RogerWright Anekdotische Beispiele gibt es genug. Die Zeit der Jahrhundertwende zum 19.Jh ist da sehr dicht. Bis 1806 eine Vielzahl offener jüdischer Häuser (Levin, Herz, Levy,...) und ab der napoleonischen Eroberung mit Fichte der erstarkende Deutschnationalismus, der von vornherein antijüdisch war. Heine, der mal äußerte, dass die Taufe zum Christentum das "Eintrittsbillet" in die deutsche Gesellschaft sei, hatte damit im Ergebnis Unrecht, was Vielen später schmerzlich klar wurde. |
cassandra2010 ... wobei ich meinen Harry gut genug kenne, um den Sarkasmus des Begriffes Entreebillet in seinem Sinne zu verstehen. |
Poesiefluegel Hallo Roger, ich finde auch es ist ein wichtiges Thema. Allerdings sehe ich dies bezüglich aller Minderheiten. In jedem Glauben, in jedem Menschen gibt es Gutes und Schlechtes. Aus deinen Zeilen lese ich besonders viel Schmerz und stellenweise Wut. Wut auf die Christen. Wut auf Deutschland. Das ist nicht gut. Ich bin nicht religiös. Daher denke ich, dass ich distanziert auf das Ganze blicken kann. Vielen ist der Unterschied zwischen Moschee und Synagoge nicht bekannt bzw den Religionen. Das macht es komplizierter für den deutschen Juden. Allerdings denke ich auch, dass Absperrungen, Stacheldraht etc...eher provozierend wirken. Jeder sollte , so lange er friedvoll ist, seinem Glauben nachgehen können. Gruß Grit |
RogerWright Danke für den Kommentar, auf den ich kurz eingehen möchte. 1. Ja, da ist auch Wut dabei, aber wie sollte man denn nicht auch in der aktuellen Situation durchaus sauer sein? Es geht hier nicht um Wut auf Christen oder Deutschland. Auf Letzteres kann man ja nicht wütend sein. Und unsere Gesellschaft besteht ja nicht nur aus Christen. Aber in den historischen Beispielen sind es in Mitteleuropa nun einmal Christen, die gegen Juden vorgingen. 2. Ich denke nicht, dass du den Betroffenen vorwerfen willst, dass die sich gegenüber einer feindlichen Umwelt absichern. Dass es erforderlich ist, zeigen u.a. verschiedene Anschläge auf Synagogen in den letzten Jahren. Und es gibt auch Initiativen, die für Begegnungen sorgen wie "Meet a Jew". 3. Man muss nicht religiös sein um beispielsweise zu verstehen, dass man einen Juden in Deutschland nicht vorwerfen kann, was ein Politiker in Israel macht. Ebensowenig muss man schwarz sein, um zu verstehen, dass man das N-Wort nicht benutzen darf. Viele Grüße |
DoktorSeltsam Ein kluger Text, dem ich ohne Einschränkungen zustimme. Das im Jahre 2021 nach Christi Geburt immer noch Menschen, insbesondere aber deutsche Menschen, ihre antisemitischen Narrative pflegen, ist schier unglaublich. Und dass es Bundesländer gibt, in denen eine offen rassistische Partei um die 20 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen erhält, ist mehr, als ich jemals befürchtet hatte. Beste Grüße, Dok |
Gast Danke für das Lob. Dass es so ist verwundert leider nicht so sehr, wenn man sich die Entwicklungen der letzten Jahre betrachtet. Und selbst wenn die AfD weg ist, geht das Problem nicht weg. Zeitgemäßes Gedenken wird da auch noch wichtig werden, gerade weil die letzten Zeitzeugen des Holocaust in absehbarer Zeit verstorben sein werden. |