HERBST
Handelnde Personen:
Pedro
- Bäcker
Antonio
- Freund und Anwalt
Kurt Ploer - der Bäckerlehrling
Thomas
- ein DJ
Rad-Botenfahrer
Vorsitzender im Gerichtssaal
Eilig legt Antonio alle Blätter in seine Aktentasche. Wie die Herbstblätter im Wind, so liegen
die Dokumente im Zimmer auf Tisch und Boden verstreut. In 30 Minuten beginnt die
Verhandlung und diese Dokumente sollen seinen Klienten, der als Beschuldigter vorgeladen
wurde, entlasten. Im Sitzungssaal würde Antonio noch genug Zeit haben die Blätter zu
sortieren. Bus, Taxi, oder zu Fuß? Die Straßen sind verstopft, er würde zu spät kommen, solche
Gedanken fallen ihm ein, als er das Stiegenhaus fluchtartig verlässt. Auf der Straße
angekommen stößt er beinahe mit einem Rad-Botenfahrer zusammen. „Hey, pass doch auf,
ich habe es eilig“ ruft er dem Radfahrer zu. Der dreht sich um. „Eilig, dann bin ich gerade der
Richtige für dich. Wohin willst du?“ Antonio zögert. „Ins Gericht mit diesen Papieren! Und du
kannst mir helfen.“ Der Botenfahrer dreht um und kommt die kurze Distanz zurück. „Die
Tasche stecke ich in meinen großen Umhängesack und du läufst dann leicht und unbeschwert
neben mir her.“ So schnell ist Antonio noch nie im Sitzungssaal gewesen. Als er die Türe öffnet
und ganz leise zum Beschuldigten vorgehen will, hört er jedoch den Vorsitzenden: „Die
Schöffen haben einstimmig den Beschuldigten in allen Punkten schuldig gesprochen. Das
Strafausmaß ergeht schriftlich. Damit ist die Verhandlung geschlossen – abführen!“
Wie alles begann: als Bäcker hatte Pedro einen Beruf von dem er auch leben konnte. Die
Arbeitszeit war von drei Uhr früh bis elf Uhr Mittag. Danach ging Pedro seinem Hobby als
Bierbrauer nach. Klein aber fein, das war sein Motto. Um die bestmögliche Qualität zu brauen
pflanzte er den Hopfen selber an. Da genug Platz war, hatte er zusätzlich in der Mitte gut
versteckt einige Hanfpflanzen für den Eigenbedarf gepflanzt. Dass dieses Cannabis sativa Kraut
eine psychedelische Wirkung hatte, wusste er nicht.
Nur seine engsten Freunde bekamen bei den seltenen Verkostungen ein oder zwei Gläser
seines selbstgebrauten Bieres zu trinken. Von der eigenen Hopfenernte sagte Pedro
niemandem ein Wort. Zwei Jahre ging alles gut. An Cannabis dachte Pedro eigentlich nicht.
Aufgrund einer plötzlich eingetretenen Krisensituation die das ganze Land durcheinander
wirbelte, stieg der Bedarf nach den Produkten aus der Bäckerei um mehr als das Doppelte an.
Alle Mitarbeiter mussten eine Stunde früher in die Bäckerei kommen und konnten erst nach
der letzten Schicht, etwa um 14 Uhr nach Hause gehen. Nach zwölf Stunden am Backofen war
an Bierbrauen nicht mehr zu denken. Sein bester Freund, ein Anwalt, könnte aushelfen. Der
war aber so vertieft in seine Arbeit mit Klienten die er vor Gericht verteidigen musste und
hatte daher keine Zeit. „He Antonio“ rief Pedro seinem Freund am Abend in der Kneipe zu.
„He Antonio, magst dir nicht ein paar Flaschen
Bier verdienen? Gerade jetzt wo ich bis zu zwölf
Stunden in der Bäckerei schwitze, steht die Hopfenernte vor der Türe.“ „Lieber Pedro, du
weißt, dir würde ich Tag und Nacht helfen. In knapp zwei Wochen ist mein derzeitiger Prozess
abgeschlossen, ich bin guten Mutes, dass ich wieder einen Freispruch erwirke, dann helfe ich
dir gerne!“ Pedro zuckte mit der Schulter: „Dann ist der Hopfen verdorben, ich werde schon
eine andere Lösung finden“. Wie es der Zufall wollte, der kleine unscheinbare Bäckerlehrling
war auch in der Kneipe und hatte irgendwie mitbekommen, dass Pedro, sein Lehrmeister ein
Problem hatte. Am nächsten Morgen, als wieder alle total geschlaucht von der langen Arbeit
waren, stellte sich der Lehrling in der Dusche neben Pedro. „Brr brr heute ist das Duschwasser
aber kalt eingestellt.“ So wollte der Lehrling Aufmerksamkeit erreichen. „Ach du bist es Kurt,
warst heute wohl nicht so nahe am Backofenfeuer wie ich?“ Im Umkleideraum ergab sich dann
doch ein unbekümmertes Gespräch und beide gingen gemeinsam in Richtung Parkplatz. Der
eine zum Auto, der andere zum Fahrrad. „Herr Meister“ versuchte der Lehrling Pedro kurz
aufzuhalten. „Herr Meister, falls ich Ihnen beim Bierbrauen eine Hilfe sein kann, ich würde
mich sehr über eine so kostbare Flasche Bier freuen.“ Pedro wurde stutzig, fragte, wie er auf
die Idee dazu komme und meinte es geht um die Hopfenernte. Dass der Hopfen auf seinem
Grund wächst, sagte er nicht, war auch nicht notwendig. „Oh, gerne: Hopfen und Malz, Gott
erhalt‘s! Den Spruch kenne ich, da wird die Hopfenernte schon etwas sehr Wichtiges sein.“
„Du kannst ja gleich mitkommen, fahre mir einfach nach, den Weg bis zum Hopfen kann ich
langsamer fahren.“ Vom Auto aus rief Pedro
seinen Freund an und erzählte ihm freudig, dass
er einen Helfer engagiert hatte. Antonio war gerade am Weg vom Gericht nach Hause und
konnte ein Gespräch zur Ablenkung gut gebrauchen. „Dein Helfer soll sich halt an den
Brennnesseln nicht die Finger verbrennen“ scherzte Antonio.
Im Hopfengarten angekommen, zeigte Pedro wie der Hopfen geerntet werden sollte und
beide machten sich an die Arbeit. Der Lehrling kam irgendwie auch in die Mitte und wunderte
sich, dass der Hopfen verändert aussah. Zuerst klaubte er den vermeintlich mutierten Hopfen
in den Korb, dann steckte er die komischen Blätter in seine Hosentasche. „Fertig!“ rief Pedro
„wir haben genug ich danke dir. Von dieser Tranche bekommst du drei Flaschen. Du warst mir
ja doch eine große Hilfe.“
Zu Hause fuhr der Lehrling seinen PC hoch, er wollte doch wissen was dieses komische Kraut
im Hopfengarten verloren hat. Kurt suchte unter Hopfen und ähnliche Pflanzen, Mutationen,
Veränderungen, irgendwie kam Google auch auf Metamorphose. Unter allen gezeigten
Pflanzen konnte er seine Blätter nicht finden. Also ließ er sie einfach am Tisch liegen und wollte
an einem anderen Tag weiter forschen.
Pedro setzte sich an seinen Arbeitstisch, öffnete die untere linke Schublade, behutsam entnahm er das oberste Blatt. Seit Beginn vor zwei Jahren hatte er genau mit Datum Qualität und
Menge alle Ernten aufgezeichnet. Heute kam noch der Vermerk – mein Lehrling hat
ausgeholfen – dazu. Papier zurück, Schublade zu, Augen zu und schlafen, denn um ein Uhr
heißt es wieder Tagwache!
An späten Nachmittagen geht Pedro gerne den Park entlang. Heute war eine Party im Tanzlokal, er hörte „Satisfaction“ von den Rolling Stones und blieb stehen. Vor dem Eingang sah er
ein Plakat: Heute Musik der 60er mit DJ Thomas. Da konnte Pedro nicht widerstehen und ging
hinein. Viele seiner Freunde aus der
Berufsschule z.T. mit Freundinnen waren im Lokal,
sitzend, tanzend, trinkend, plaudernd. Er stellte sich an die Theke. „Ein Glas Whisky pur bitte.“
Eines der leicht bekleideten Mädchen stellte sich neben ihn und meinte: „Hey Pedro, das ist
ja toll, Whisky mit Eis nehme ich öfter aber Whisky pur, bitte Herr Ober für mich auch ein
Glas.“ Da wanderte eine Hand schon auch einmal über Hüfte und Po, Pedro bezahlte ja auch
die weiteren Gläser. Unvermittelt stellte sich ein Schulkamerad dazu. „Cola Rum bitte“ meinte
er zum Ober. „Hey Pedro wie geht es mit deiner Bierbraukunst, ich habe gehört du beschäftigst
dich auch mit Drogen, da könnten wir handelseinig werden.“ Pedro verschlug es die Rede:
„Was sagst du, ich und Drogen, wie soll denn das mit meiner Bierbrauerei zusammenpassen?“
Sein Schulfreund zeigt ihm die Cannabisblätter und erklärte ihm, dass er das Blatt bei seinem
jüngeren Bruder, der in der gleichen Bäckerei wie Pedro als Lehrling beschäftigt ist, gefunden
hat. Pedro war außer sich und verstand die Welt nicht mehr. Bald waren an die fünf, sechs
Burschen um Antonio und verlangten von ihm Drogen. Die Beteuerungen, dass er nur Bier
braue und dem Kraut in seinem Hopfengarten keine Bedeutung beigemessen hat, glaubte ihm
niemand. Die Stimmung wurde immer unangenehmer und als der DJ nach einer kleinen Pause
„Hey Jude“ von den Beatles auflegte, bedrängten sie Pedro derart, dass er verzweifelt um sich
schlug. Nun eskalierte die Situation, es wurde hin und her gestoßen, Pedro viel zu Boden, hielt
sich im Fallen bei seinem Schulkameraden am Hemd an und riss auch diesen mit. Am Boden
lag ein Aschenbecher aus Metall und ein
Sandwich noch in Papier eingehüllt. Pedro fiel mit
seinem Gesicht auf das Papier und verschmierte mit dem Sandwich sein Gesicht. Sein Kollege
schlug mit dem Kopf hart auf den Metallascher auf und erlitt eine schwere Kopfverletzung.
Beide blieben am Boden liegen bis ein anwesender Sanitäter Erste Hilfe leistete und die
Rettung verständigte. Im Krankenhaus attestierte man bei Pedro Prellungen und ein blaues
Auge. Nach einer Beobachtungsnacht konnte Pedro das Krankenhaus wieder verlassen. Sein
Schulkollege wurde in einen künstlichen Tiefschlaf versetzt. Nach drei Tagen versagten seine
Organe und alle Maschinen wurden abgeschaltet. Der Schock war den Bekannten und
Freunden noch lange anzumerken. Pedro war 10
Tage in Krankenstand und wurde danach von
der Polizei verhört. Er konnte nicht wissen, dass alle im Lokal anwesenden Personen bereits
befragt wurden und die direkt beteiligten Burschen sich abgesprochen hatten. Es wurde
ausgesagt, dass Pedro den Streit begonnen hatte und mit gezielten Fausthieben den Kollegen
zu Boden geschlagen und mit den Füßen gegen den Kopf getreten hatte. Pedro wurde wegen
Verdacht auf Körperverletzung mit Todesfolge in U-Haft genommen.
Der Lehrling, der alles ausgelöst hatte wurde nie befragt, er verhielt sich einfach still. Nach
vier Monaten kam es zum Prozess. Es wurde ein Pflichtverteidiger bestimmt, der jedoch an
den Aussagen von Pedro Zweifel hatte und ihn in 1. und 2. Instanz schlecht vertrat. Pedro
konnte seinen Freund Antonio nicht erreichen, da er längere Zeit im Ausland ein
Berufspraktikum absolvierte. Als Antonio
wieder zurück kam hörte er vom Prozess seines
Freundes und setzte sich sofort mit ihm in Verbindung. Antonio erkannte sofort das falsche
Spiel der Zeugen und übernahm die Verteidigung. Es war nur mehr eine Verhandlung
angesagt. Pedro sagte Antonio, dass er in seinem Arbeitszimmer in einer Schublade die
Aufzeichnungen der Hopfenernte abgelegt hatte und damit der Beweis geführt werden
könnte, dass er wirklich nur Bier gebraut hatte und das Cannabiskraut unbeachtet geblieben
war.
Jetzt sind wir wieder am Anfang des Romans. Antonio geht in Pedro‘s Wohnung aber niemand
ist zu Hause. Verzweifelt fragt er bei den Nachbarn, aber niemand kann sagen wo die Mutter
von Pedro ist. Er läuft in die Bäckerei und sucht dort in Antonios Spind vergeblich einen
Wohnungsschlüssel. Schließlich eilt er wieder
zurück, klettert über die Dachrinne und den
Balkon in den ersten Stock. Dort schlägt er eine Scheibe ein und gelangt schließlich in das
Arbeitszimmer. Er öffnet eine Schublade nach der anderen, nimmt die Blätter heraus und
sucht. In der ersten Lade sind Backrezepte, in der zweiten Lade Reiseunterlagen. Er legt sie
alle auf den Tisch. Die nächste Lade ist voll von Unterlagen der Berufsschule, dann noch
Aufzeichnungen von Bierbrauereien. Endlich findet er die gesuchten Blätter. Rasch auf den
Tisch gelegt, hält er nach einer geeigneten Tasche Ausschau. Dazu muss er in das
Nebenzimmer. Als er die Tür öffnet kommt es zu einem Luftzug und alle Blätter fliegen wie
Laub im Wind auf den Boden. Eine Tasche kann Antonio finden, aber Zeit zum neuerlichen
Sortieren, die hat er nicht mehr. Daher nimmt er einfach alle Blätter, stopft sie in die Tasche,
hetzt das Stiegenhaus hinunter, öffnet das Fenster in der Haustüre, klettert durch und läuft
auf die Straße.
„Die Schöffen haben einstimmig Pedro in allen Punkten für schuldig gesprochen. Das
Strafausmaß ergeht schriftlich. Damit ist die Verhandlung geschlossen – abführen!“ Antonio
kam zu spät, nach zwei Stunden wurde das Urteil verkündet, 10 Jahre Haft!
Herbstzeit
10 Jahre Haft? Antonio konnte nur mehr sehen wie sein Freund kreidebleich abgeführt wurde.
Das Urteil war rechtskräftig. Zerknirscht ging Antonio nach Hause und sortierte die Blätter.
Dann entsann er sich an den Vortrag des Commissario der anderen Art, wie war doch sein
Name, ach ja, der italienische Commissario Brunetti! Schnell suchte Antonio unter den
Unterlagen diesen Vortrag. Er hatte sich den Schluss gemerkt, der war schon für so einen
Richter- und Verteidigerkongress eigenartig. Da steht es ja auch im Skript: „Und wenn du
meinst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her!“ Brunetti hatte Antonio
seine Visitenkarte mit den Worten gegeben: „Wenn Sie einen aussichtslosen für Sie emotional
wichtigen aber zu schweren Fall haben, rufen sie mich an. So etwas mache ich noch. Normale
Verteidigungen sind mir zu langweilig.“
Oha, Antonio kratzte sich seinen nicht vorhandenen Bart. Jetzt hatte er so einen Fall.
Schwierig: ja. Wichtig: ja. Mit Emotionen: ja. Aussichtslos: ja. Also nichts wie anrufen:
„Hallo
Herr Commissario, hier spricht Antonio, Sie haben mir vorige Woche beim Kongress Ihre
Visitenkarte gegeben. Mein Problem trifft genau auf die Beschreibung der von Ihnen noch zu
vertretenden Fälle zu.“ „Gut“ meinte Brunetti, „Senden sie mir Ihre Unterlagen, das
Gerichtsurteil und Ihre Meinung dazu an die angeführte E-Mail-Adresse. Wenn es so ist wie
sie es mir gesagt haben, dann melde ich mich.“ Antonio klaubte alles zusammen, sein Scanner
lief heiß vor lauter Gerichtsakten und Aufzeichnungen, aber dann konnte er alles per E-Mail
absenden. Es war Freitag der 13. um 21:13 als Antonio die Taste „SENDEN“ drückte. Jetzt
konnte er nichts mehr machen. Er holte sich ein Glas, öffnete den Getränkeschrank und
entnahm eine Flasche Rioja Jahrgang 1987.
Als er die blutrote Flüssigkeit sah, erschrak er. Sein Freund war kreidebleich und er sollte so
einen Wein trinken, nein, er stellte die Flasche zurück und nahm einen Schluck Bourbon
Whiskey einfach so aus der Flasche. Dann
schlief er sehr schnell ein.
Der Wecker Riss Antonio aus seinem Schlaf. Er hatte ja heute den Termin mit seinem neuen
Klienten im Café Langwirt am anderen Ende der Stadt. Schnell schlüpfte er in die Kleider, goss
sich einen abgestandenen Kaffee in ein Trinkglas, etwas Milch und ohne Zucker war das
Kaffeehäferl mit ein paar Schlückchen geleert. Ab und in das Auto zum Termin. Am größten
Kreisverkehr, mit den meisten Autos und blöden Situationen, - es kann ja nur dort sein –
klingelte das Handy. Eine unbekannte Nummer, die kann ja warten. Der Verkehr stockte und
Antonio musste stehen bleiben. Da nutzte er dann wohl die Situation und wischte über das
Display um die Verbindung herzustellen. „Hallo“ sagte Antonio. „Hier Brunetti“ tönte es aus
dem Lautsprecher. Ihr Fall ist sonderbar, er ist
für mich eine Herausforderung, ich brauche
aber noch eine wichtige Information. Wer ist der Beschuldigte, woher kennen sie diese
Person?“ Antonio blieb bei der nächsten Ausweiche stehen. „Es ist Pedro, ein alter
Jugendfreund, wir haben zusammen gefischt, haben uns die erste Liebe geteilt, und waren
öfters gemeinsam „Pferde stehlen“ (das ist so eine Redewendung). „Na, wenn das so ist, und
sie haben diese Emotion dann ist das mein Fall. Ich bin morgen um 9:24 bei Ihnen am Bahnhof,
wenn der Zug keine Verspätung hat. Sollte etwas dazwischen kommen melde ich mich, dann
komme ich mit dem nächsten Zug 2 Stunden später.“ Das Gespräch dauerte einige Minuten,
hinter Antonio hupte der Städtische Bus, aber den sah und hörte er nicht. Langsam betätigte
er den Blinker, drehte im Kreisverkehr um und fuhr nach Hause. Den Termin sagte er ab und
fügte hinzu, er könne diesen Fall nicht mehr übernehmen. Zuhause ging er ganz benommen
zum Getränkeschrank, öffnete den Rioja Jahrgang 1987 und genoss einen Schluck nach dem
anderen.
„So, dass ist ihr Arbeitsraum, jetzt ist es die Schaltzentrale des wichtigsten Falles seit meiner
Pension. Hier die Fakten: wir glauben Ihrem Freund, daher können wir sagen, die Zeugen
haben sich abgesprochen und gelogen. Des Weiteren wurde der Hauptbeteiligte Lehrling nie
befragt und die Ernteunterlagen hatten die Geschworenen ja auch nicht gesehen. Resümee:
Es handelt sich um einen Verfahrensmangel, der auch im Falle eines abgeschlossenen
Prozesses bei dem es keinen Einspruch mehr gibt, lt. Paragraph 1.234 staatliches Gesetzbuch
aus 1833, wieder aufgerollt werden muss. Der Hauptpunkt meines, nein unseres Einspruches
ist der Verfahrensmangel, da der Nachweis, woher die Cannabispflanzen waren nie im
Prozesses hinterfragt wurde.
Donnerstag der 19. des Monats.
Der Gerichtssaal war überfüllt, Journalisten aus der ganzen Welt waren versammelt, ein
Prozess in einer Provinzstadt mit dem Starverteidiger Brunetti, das bringt Einschaltquoten.
„Der Beschuldigte möge hereingeführt werden.“ Abgemagert, verzweifelt und müde kam
Pedro in den Saal und wurde in den Beschuldigtenbereich gebracht. „Wir rufen den Zeugen
Kurt Ploer in den Zeugenstand. Schwören Sie, dass Sie die Wahrheit sagen und nichts als die
Wahrheit.“ Ploer zögerlich: „Ich schwöre“. „Herr Ploer, Sie sind Lehrling in der Bäckerei des
Beschuldigten der auch Ihr Lehrherr ist!“ „Ja“
schon etwas kräftiger. Unser Lehrling schilderte
den Hergang von der gemeinsamen Dusche bis zur Suche in Google. Dann meinte er, am
nächsten Tag waren seine Pflanzen nicht mehr am Tisch und er konnte nicht weiter googeln
um zu wissen was für Gewächs dies wohl sei. Dabei hätte er gerne gewusst was dieses Kraut
mit der Metamorphose zu tun hat, ob das vielleicht eine Pflanze wie Morphium ist? Da er
seinen älteren Bruder in Verdacht hatte, kontrollierte er dessen Rocktasche und fand ein
geknicktes Blatt seiner Pflanze. Er getraute sich jedoch nicht, seinen älteren Bruder nach dem
Verbleib „dieses Krauts“ zu fragen. Abschließend kann er jedoch gerne bestätigen, die
Pflanzen waren nur auf einem ganz kleinen Platz, zu klein um damit Drogen her zu stellen er
hatte einige wenige Pflanzen ausgerissen, die
ihm dann sein Bruder entwendet hat.
Dann kam der Auftritt von Brunetti. Zuerst bedankte er sich bei den Geschworenen, dass sie
alle vollzählig erschienen sind und beim Vorsitzenden, dass er einen so schnellen Termin
ermöglicht hatte. Mit dem vorigen Verteidiger ging er hart ins Gericht. Er erklärte, dass er
bereits gestern beim Oberlandesgericht den Antrag eingebracht hatte, so einem Versager die
Zulassung als Verteidiger zu entziehen. Einen unschuldigen Mann mit derart offensichtlichen
Verfahrensmängeln an den Galgen zu bringen ist ungehörig. Daraufhin verließ der nur mehr
als Gast anwesende Altverteidiger den Sitzungssaal.
„Meine Damen und Herren Geschworenen, einen redlichen Staatsbürger mit einem sehr
interessanten Hobby der Bierbrauerei so zu beschuldigen, dass hätten die Geschworenen als
abgekartetes Spiel der vorigen Zeugen bemerken können. Wie sie ja wissen, wurden alle
Zeugen gestern wegen Absprache und falscher Zeugenaussage zu drei Jahren unbedingter
Haft und zur Bezahlung von € 1.000,- je Hafttag des Beschuldigten an diesen zur Wiedergutmachung, verurteilt. (bei sechs Zeugen und neun Tagen Haft bekommt Antonio € 54.000,--)
Dann erfolgte die Auflistung der Hopfenernten mit einer genauen Zeitberechnung für Ernte,
Vorbereitung zur Maische, und die Brautätigkeit, ebenfalls wurden die Aufzeichnungen der
Arbeitszeit aus der Bäckerei beglaubigt vorgelegt. Daraus ergab sich eindeutig und schlüssig,
Pedro konnte daneben beim besten Willen nicht zusätzlich Drogen aufbereitet haben. Nach
Abschluss seiner Ausführungen sagte Commissario Brunetti zu Pedro, er habe schon
viele
schwere Fälle gelöst, aber einen Fall wie diesen noch nie. „Als Vorsitzender der
Juristenvereinigung des Bundesstaates darf ich hiermit verkünden, dass ich zur
Wiedergutmachung dieses Unrechtes, Pedro und seinen Freund Antonio für einen Monat auf
meinen Landsitz einlade. Ich freue mich schon sehr, etwas mehr von dem Geheimnis der
Bierbraukunst zu erfahren und wenn Pedro will kann er gerne die eine oder andere
Backspezialität zubereiten.“ Daraufhin erhoben sich alle im Saal anwesenden Besucher. Was
noch nie der Fall war wurde zur Schlagzeile des Jahres. Anstatt sich zu beraten standen alle
Geschworenen auf, hielten ihre Hände nach oben zum Zeichen der Zustimmung und der
Sprecher rief mit lauter Stimme: „Einstimmiger Beschluss - der Beschuldigte wird für
unschuldig erklärt.“