SOMMER
Handelnde Personen:
Hans Blüm - ein Wohnungssuchender
Erika
- Hausmeisterin und "Putze"
Polizei, Nachbar, Rettungsleute, Oberinspektor
Es war die Zeit der Wohnungssuche. Nach dem Motto: „Alles neu macht
der Mai“ studierte Hans Blüm die Wohnungsinserate und wurde fündig.
Am nächsten Tag machte er sich auf den Weg und begutachtete das Haus
einmal von außen. Dann setzte er sich in das gegenüberliegende Cafe mit
Rundblick und sondierte die Umgebung. Alles war passend, es gab keinen Grund mehr die
Wohnung nicht auch von innen zu erforschen. Die Klingel an der Haustüre war ohne Namen,
dafür stand am Eingang ein Schild mit der Telefonnummer. Nach erfolgreicher Kommunikation
öffnete sich die Haustüre und Herr Blüm betrat das Stiegenhaus. Alles war sehr gepflegt und
die Stiegen in den 2. Stock mit einem Teppich belegt. Die Wohnungstüre war bereits offen und
eine seriös wirkende ältere Dame begrüßte Herrn Blüm. Die Führung durch die 3-Zimmer
Wohnung war professionell und zufriedenstellend. In einem Abstellraum bemerkte Hans Blüm
einen Behälter mit Desinfektionsmittel. „Wofür wurde so eine große Menge gebraucht?“
fragte er. Die Antwort war zögerlich und nicht schlüssig. Herr Blüm unterschrieb einen
Vorvertrag und sicherte sich damit die Wohnung für drei Wochen.
Im Parterre angekommen, öffnete sich gerade eine Türe und mit Besen und Kübel in der Hand
kam die Hausmeisterin heraus. Herr Blüm grüßte freundlich und machte der „Putze“ ein
Kompliment bezüglich des sauberen Stiegenhauses. „Ja so was, jetzt putze ich schon viele
Jahre das Stiegenhaus, aber sie sind der Erste dem dies auch auffällt.“ Sie stellte Kübel und
Besen in den Türrahmen, richtete ihre Arbeitskleidung etwas zu recht und – da sie gerne
plauderte – verwickelte sie Hans Blüm in ein Gespräch. Damit konnte er so einiges über die
von ihm reservierte Wohnung erfahren und nahm sich die Zeit dafür. „Wollen Sie mit mir eine
Schale Tee trinken, er steht noch ganz frisch in der Küche.“ Er nahm diese Aufforderung gerne
an, hatte ja noch einige Fragen.
„Ja, ja das Desinfektionsmittel! Es wurde vor nunmehr vier
Wochen und drei Tagen gebraucht, da wurde die Wohnung damit desinfiziert. Jetzt wird
laufend gelüftet und mit Raumspray wieder besichtigungsreif gemacht.“
Die Hausmeisterin brachte den Tee der nach Jasmin duftete. Hans Blüm
musste seine Überraschung unterdrücken, war es doch eine Schale mit dem
gleichen Design wie auf der Teekanne in obiger Wohnung. Nach einigen
Höflichkeiten wurde es spannend. An besagtem Tag gab es einen Knall und
im ganzen Haus gingen die Lichter aus. Später kam Rettung und Polizei, die
nahm drei Personen aus der Wohnung mit. Die Rettung benötigte eine Trage um die vierte
Person, offensichtlich schwer verletzt, hinauszutragen. Dann wurde täglich desinfiziert. Herr
Blüm hörte sich das alles an, wurde aber von dem, im Eifer des Gespräches sich etwas
öffnenden Arbeitsmantel abgelenkt, aber der Wundertee hatte auch eine sinnesbetäubende
metamorphose Wirkung. Unter dem Putzmantel blitzte weiße Haut hervor die sich mit einer
unabsichtlich wirkenden Armbewegung berühren ließe. Da es damals noch kein Corona Virus
gab und sich ein Gleichklang der Gefühle aufbaute, kam es wie es kommen musste. Ein gutes
Verhältnis mit einer Hausmeisterin – noch dazu mit einer sehr attraktiven – kann nie schaden.
Dankend und etwas verwirrt verabschiedete sich Herr Blüm.
Zu Hause – das heißt, im nur mehr für zwei Wochen vertraglich gesicherten Zuhause –
klemmte sich Herr Blüm hinter seinen PC und versank im Internet. Viel konnte er über die
besichtigte Wohnung nicht erfahren, aber ein interner Bericht der Gemeinde ließ ihn
aufhorchen. Es geht um eine Abgängigkeitsanzeige von vor vier Wochen. Ein Geschäftsmann
Mitte 30, sportlich durchtrainiert und 1,79 m groß, dunkle Haare mit guter akzentfreier
Sprache wird von seiner Schwester vermisst. Das passt genau auf besagten Mann auf der
Tragbahre. Lange hielt Herr Blüm es nicht mehr aus, schon am nächsten Tag zur Kaffeezeit
klingelte er bei der Hausmeisterin. „Ha, ha, mein lieber Teetrinker, willst du noch eine zweite
Tasse mit mir trinken?“ Voll Freude öffnete die Hausmeisterin – er war ja eigentlich mit Erika
schon per „Du“ – die Haustüre und schubste ihn auch gleich in ihre Wohnung. Hans Blüm
zeigte ihr den ausgedruckten Gemeindetext und wollte darüber mehr wissen. „Mein lieber
Hans, ich werde dir jetzt wohl die ganze Geschichte erzählen müssen. Mit dem Bewohner in
der Wohnung im 2. Stock hatte ich ein Verhältnis. Am besagten Tag war ich bei ihm und wir
tranken gemeinsam Tee aus dieser Tasse. Plötzlich hörte ich wie die Wohnungstüre
aufgesperrt wurde und Männer meinen Freund anbrüllten. Ich war zum Glück gerade mit der
Teetasse in der Hand am Balkon. Schnell duckte ich mich und wurde auch nicht bemerkt. Mit
brutaler Gewalt wurde mein Freund niedergeschlagen, bis er am Boden liegend
zusammenbrach. Soweit ich es hören konnte verließen dann alle wieder die Wohnung und ich
nutzte dies um unbemerkt - noch immer mit der Teetasse in der Hand - über das Stiegenhaus
in meine Wohnung zu kommen. Dort wollte ich die Rettung anrufen als ich bereits durch den
Türschlitz sah, dass mein Freund von zwei Rettungsmännern auf einer Tragbahre liegend
hinuntergebracht wurde.“ Jetzt musste Erika
verschnaufen, sie war den Tränen nahe und
räusperte sich. „Aber wohin wurde er gebracht, warum die Vermisstenanzeige?“ fragte Herr
Blüm leise. Aber darauf gab es keine Antwort, das wusste Erika nicht. Erika erzählte weiter,
dass sie einige Tage danach von einem Oberinspektor befragt wurde. Ihr Liebesverhältnis
wurde vom Bewohner im ersten Stock vermutet und der Polizei gemeldet. Ja, ja geleugnet hat
sie es nicht, aber sie hat die Männer ja nicht gesehen. Täglich um 16:10 Uhr läutete der
Oberinspektor bei Erika und stellte ihr 22 Tage lang immer die gleichen Fragen. Auch ob sie
seit dieser Zeit irgendeine Veränderung bemerken konnte? Aus lauter Verzweiflung meinte
Erika am 22. Tag, dass an der Straße gegenüber dem Haus vor einigen Tagen ein neuer Baum
gepflanzt wurde. Da in der Straße eine ganze Reihe Bäume stehen, kann dies ja keine
Bedeutung haben. Der Herr Oberinspektor hatte endlich eine Aussage und seit damals
klingelte er nicht mehr um 16:10 Uhr. Herr Blüm schaute sich den Baum am Nachhauseweg
genauer an und bemerkte sofort, dieser Baum wurde erst unlängst eingepflanzt. Hat sich der
Vermisste wie in den „Metamorphosen des Ovid“ vom Menschen in einen Baum verwandelt?
Ovid, Buch I: Metamorphosen – Apollo und Daphne
Zerstöre die Gestalt, in der ich allzu sehr Gefallen erregt habe, durch eine Verwandlung. Kaum
ist die Bitte ausgesprochen, befällt eine schwere Starre die Glieder, die weiche Brust wird von
zartem Bast umschlungen, die Haare werden zu Laub, die Arme zu Zweigen, der eben noch so
flinke Fuß bleibt in zähen Wurzeln stecken, das Gesicht trägt einen Baumwipfel: Es bleibt ihr
als letzter Rest von Schönheit.
So etwas kann auch nur einem Büchernarr einfallen. Aber Herr Blüm machte sich
den Spaß und schrieb unter der Rubrik „Bitte um Hinweise“ an die Gemeinde
seine Inspiration. Wer in der Gemeinde diesen Artikel gelesen hat und der
Gärtnerei den Auftrag gab den Baum wieder zu entfernen ist nicht bekannt.
Sicher war nur, die Anzahl der Bäume in dieser Straße waren fix geplant und
dieser Baum wurde NICHT vom Gemeindegärtner genehmigt. Es kam wie es (im Film) kommen
musste (zum 2. Mal!!!). Herr Blüm war gerade wieder zu Besuch bei Erika und beide ärgerten
sich über den Lärm auf der Straße. Dann hörten sie laute Schreie und öffneten das Fenster.
Ein Baukran hatte den Baum entfernt und dadurch einen Leichnam freigelegt. Sechzehn
Minuten später klingelte der Oberinspektor und
Erika musste den Toten identifizieren. Ja, es
war der Bewohner aus dem 2. Stock. Jetzt begann alles wieder von vorne, die Wohnung wurde
auf den Kopf gestellt, sie wurde versperrt und versiegelt. Die Schwester des Toten fand in
einem gut versteckten Fach einen Brief indem ihr Bruder seinen letzten Willen
niedergeschrieben hatte. Er als Biologe, als Pflanzenkenner und Naturschützer wolle unter
einem Baum begraben sein. Der Oberinspektor war redlich bemüht den Fall aufzuklären gab
dann aber der Schwester nach, die ihrerseits keinen Grund hatte die Echtheit des Schreibens
anzuzweifeln und er schloss den Akt.
Es dauerte noch einige Tage bis Hans Blüm die neue Wohnung beziehen konnte. Für vier Tage
suchte er ein Ersatzquartier und fand es bei Erika. Eine Einladung hatte Erika nicht mehr in den
zweiten Stock bekommen, aber Herr Blüm
brachte bei seiner nächsten Einladung in die
Hausmeisterwohnung die Teekanne mit dem Design der Teetasse als Gastgeschenk mit.
Sommerzeit
Aus der Oper „Daphne“ von Richard Strauss ist die
Metamorphose eine gelungene Metapher für diese
Entwicklung. Ein durchschnittlicher Oberinspektor sucht
nach einer einfachen und verständlichen Lösung und legt den
Akt beiseite. Mit Herrn Blüm hat er nicht gerechnet. Er war
es der die Baumbeseitigung auslöste, er war es, der mit der Schwester des „Verstorbenen“
eine letzte Verfügung fand, aber er ist es auch, der an eine so einfache Lösung nicht glaubte.
Es wurde nie nach dem Grund des Sterbens gefragt.
Jährlich wird im Herbst an einem geheimen Ort in
Great Britain eine Konferenz für die weltweit besten
Detektive abgehalten. Herr Hans Blüm kennt den
Sekretär des Konferenzleiters und wird zu dieser
Konferenz als stiller Beobachter eingeladen. Durch
eine Bemerkung über die Metamorphose vor
seinem Haus, einfach belanglos bei einer
Teetasse mit seinem Freund wurde der danebenstehende Detektiv aufmerksam. „Wie bitte?
Darf ich mich vorstellen, mein Name ist Sherlock Holmes. Einen metamorphosen Fall habe ich
noch nie bearbeitet, kommen Sie morgen in meine Kanzlei, gerne würde ich diesen Fall
aufrollen.“ „Sir, es ist mir eine große Ehre Ihnen von diesem Todesfall zu erzählen, bin ich doch
der Meinung, dass es sich ganz einfach um Mord gehandelt hat.“ Es wurden einige Tage und
mehrere Stunden täglich, Sherlock machte sich unzählige Notizen und fand eine mögliche
Erklärung, die es nun aufzulösen galt. Am Tagungsende reisten beide gemeinsam zum Ort des
Verbrechens. Sherlock wollte natürlich in
besagter Wohnung einquartiert werden, was auch
ermöglicht wurde. Mit seinem Vergrößerungsglas wurde die gesamte Wohnung nach Spuren
abgesucht. Die Recherchen dauerten 2 Monate.
Auch Erika wurde genau unter die Lupe
genommen und konnte zur Überraschung von Sherlock Holmes den wichtigsten Hinweis
liefern. Der spätere Tote experimentierte als
Biologe mit einer neuen Substanz und fiel
dadurch dem mächtigsten Clan der Region auf. Mit der Mafia wollte der Biologe aber keine
gemeinsame Sache machen, daher wurde er durch den Boss persönlich hingerichtet und damit
es keine Leiche gab unter dem Baum verscharrt. Nach längerer Konsultation bei der Behörde
konnte Sherlock Holmes dem Oberinspektor beweisen, dass der letzte Wille des Toten eine
Fälschung der Mafia war. Durch Fingerabdrücke, Fußspuren und Spucke am Boden der
Wohnung, die von einem der Mafiosi stammte, konnten Personengruppen schnell ausfindig
gemacht werden. Alle Beteiligten wurden wegen Mordes zu einer lebenslänglichen Haftstrafe
verurteilt. Nach Aufklärung des Falles wurde Sherlock Holmes Ehrenbürger der Stadt, Herr
Blüm bekam den Stadtorden in Gold und einen Scheck mit einer nicht unerheblichen Summe
Geldes. Diesen Betrag hat Herr Blüm natürlich mit der Hausmeisterin geteilt. Er legte das Geld
auf die Bank, sie ging in das
erste Modegeschäft der Stadt,
zog sich aus und sagte zur
Verkäuferin: „Bitte alles nach
der neuesten Mode für mich, es
darf auch etwas sexy sein.“
Dabei hat sie natürlich auch an Erich gedacht.