Beschreibung
"Offensichlich das verwirrte Produkt eines Paranoikers." (Deutscher Bücherinformationsdienst)
Hier auf www.myStorys.de weltexklusiv erstmals veröffentlicht. Es macht am meisten Spaß, alle Teile in der richtigen Reihenfolge zu lesen !
Titelbild: Sicherheitsparkplatz auf dem Autohof Uhrsleben
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On the road
Auf der A2 herrschte die übliche Verkehrsdichte. Nach einigen sehr anstrengenden Überholmanövern hatte Andy einen Platz in der transeuropäischen Blechkarawane gefunden, und so folgten sie jetzt schon seit einer Stunde einem polnischen Lastzug, hinter sich einen leicht betagten Möbelwagen mit berliner Nummernschild.
Der Pizzawagen war bislang ohne Probleme gelaufen. Andy und Nabil hatten anfangs versucht, einige Worte miteinander zu wechseln, sich aber dann Ohrstöpsel aus Papiertaschentüchern gedreht, um den Krach im Auto etwas erträglicher zu machen. Nabil war gerade im Begriff, einen neuen Joint zu drehen, als der Motor mit einem Mal einfach ausging. Andy schaffte es mit einiger Mühe, den Wagen auf den Standstreifen zu bugsieren und lies ihn ausrollen.
Die beiden jungen Frauen in dem VW bemerkten dieses Manöver zu spät, um noch reagieren zu können und nutzten deshalb die nächste Abfahrt , um in der Gegenrichtung zurück zu fahren.
Der Kanadier war noch früher als üblich aufgestanden und beseitigte mit der ihm eigenen Präzision den ganzen Morgen lang jegliche Spuren im Haus. Sorgfältig wischte er alle Flächen ab, die er und sein Kamerad berührt haben konnten, er sammelte alle Abfälle in zwei blauen Plastiksäcken, die er zusammen mit seinem Handgepäck auf der Beifahrerseite des Lieferwagens verstaute. Schliesslich machte er noch einen letzten Kontrollgang durch das Haus und über das gesamte Grundstück und fuhr den Wagen aus der Scheune. Nachdem er auch die Scheune gründlich untersucht und von allen Hinweisen auf ihren Aufenthalt befreit hatte, schloss er auch hier ab, setzte sich in den Lieferwagen und verlies diesen Ort für immer.
Erstaunlicherweise hatte der Pizzawagen ein Warndreieck an Bord, und Nabil hatte einmal gelesen, wie wichtig es auf einer deutschen Autobahn sei, ein liegen gebliebenes Fahrzeug mit einem solchen zu sichern. So war der Wagen für Charly und Sarah recht gut zu finden. Sie fuhren ebenfalls auf den Seitenstreifen. Andy machte noch schnell einen letzten Zug aus der fast runter gerauchten Tüte und flippte den Stummel über die Leitplanke, als er den VW der beiden Studentinnen hinter dem Lieferwagen anhalten sah.
Nabil war in der Zwischenzeit immer nervöser geworden und ging jetzt auf den grünen Kleinwagen zu. Während Charly es vorzog, im Auto zu bleiben, stieg Sarah aus und sprach den Iraker freundlich an.
"Können wir euch helfen ?"
"Yes , me braucht Hilfe, Car ist trouble", sagte Nabil
"Vielleicht", sagte Sarah auf arabisch," kann meine Freundin Ihnen helfen."
Nabil konnte sein Glück nicht fassen, ausgerechnet in dieser Lage jemand zu treffen, der seine Muttersprache verstand und brach sofort in einen gewaltigen Redeschwall aus. Er erzählte, wie wichtig es sei, dass er und seine Maschine heute unbedingt nach Berlin kämen und wie schwer es für ihn in Deutschland sei und wahrscheinlich hätte er seine gesamte Lebens- und Familiengeschichte erzählt, wenn Andy ihn nicht nach einigen Sätzen unterbrochen hätte.
Sarah hatte während dessen den Kopf wieder in ihr Auto gesteckt und Charly überredet, ganz einfach auszusteigen und einen Blick auf den Motor des Pizzawagens zu werfen. Charly, die viel lieber das Radkreuz aus dem Kofferraum geholt hätte um dem verdammten Schwein eine kräftige Portion emotionales Feedback zu verpassen , nahm schliesslich ihre ganze Selbstbeherrschung zusammen und stieg ebenfalls aus.
Glücklicherweise erkannte Andy sie offenbar nicht, denn dann wäre es ganz sicher zu einem zeitungstauglichen Ereignis an der Autobahn gekommen. Er hatte die Motorhaube geöffnet und bemühte sich um einen fachkundigen Gesichtsausdruck. Charly warf einen kurzen Blick auf den Motor und fragte, ohne Andy anzusehen:
"Habt ihr überhaupt noch Sprit im Tank ?"
"Die Tankuhr stand auf halb.", sagte Andy
"Soso", sagte Charly, zog einen Schraubenzieher aus der Tasche und löste mit ein paar Schraubendrehungen die Schelle, die den Kraftstoffschlauch mit der Einspritzpumpe verband. Sie zog den Schlauch mit einem kräftigen Ruck ab und drückte ihn dabei mit Daumen und Zeigefinger zusammen. Dann hielt sie den Schlauch nach unten und lockerte den Griff. Aus dem Schlauch floß kein einziger Tropfen.
Sie schraubte den Schlauch wieder fest, öffnete die Fahrertür des Lieferwagens und warf einen Blick auf die immer noch in Mittelstellung verharrende Tankanzeige. Nach einem kräftigen Klopfer mit dem Schraubenziehergriff sank die verhakte Anzeigenadel erwartungsgemäß auf den Nullpunkt.
Charly nahm die auf dem Fahrersitz liegende Jacke, ging zum Fahrzeugheck und legte die Jacke auf den Asphalt. Dann kniete sie sich auf der Jacke hin und klopfte, während sie ein Ohr an die Karosserie legte und sich das andere zuhielt, mit dem Schraubenzieher von unten gegen den Tank. Sie stand wieder auf, warf Andys Jacke mit einer achtlosen Bewegung zurück auf den Fahrersitz und steckte den Schraubenzieher wieder ein.
"Der Sprit ist alle.", sagte sie.
"Das Problem ?", fragte Nabil.
"Allerdings", sagte Charlie. "Wenn es kein Diesel wäre, könnte man den Wagen einfach nachtanken, aber so muss die Kraftstoffanlage komplett entlüftet werden."
Nabil und Andy wechselten einen kurzen Blick. Dann sprach Nabil Sarah auf arabisch an.
"Könnt ihr uns nicht helfen ? Wir müssen wirklich dringend nach Berlin, absolut heute noch. Meine Zukunft hängt daran und das Glück meiner Kinder."
Sarah machte eine beschwichtigende Geste in seine Richtung und folgte ihrer Freundin, die sich wieder in den Kleinwagen gesetzt hatte.
"Ist das wirklich so ein Problem ?", fragte sie Charly
"Ach was, aber das wissen die beiden Trottel nicht", sagte Charlie. "Und ich werde es ihnen bestimmt nicht sagen."
"Aber die Gelegenheit ist doch supergünstig",sagte Sarah. "Der Kerl hat dich nicht erkannt und der andere Typ redet ohne Punkt und Komma. Lass uns die beiden mitnehmen."
"Und dann ? Fahren wir dann kurz vor Potsdam auf einen Parkplatz, ziehen unsere Pistolen mit Schalldämpfern raus und knallen die beiden Ärsche einfach ab ?", fragte Charly.
Sarah kicherte. Dann wurde sie etwas ernster.
"Uns fällt bestimmt was ein.", sagte sie.
Widerwillig stimmte Charly zu. Die beiden stiegen wieder aus dem Auto.
"Wir nehmen euch bis Berlin mit", sagte Sarah.
"Aber vorher muss das Auto hier weg.", ergänzte Charly. "Wenn ich richtig sehe, ist ein Stück weiter vorne eine Behelfsabfahrt. Da können wir den Wagen hinschieben."
Sarah und Nabil luden die Maschine und die restlichen Sachen der beiden Männer in den Kleinwagen, wobei speziell die sachgerechte Unterbringung der Maschine auf erhebliche Platzprobleme in Sarahs Kofferraum stiess.
Charly übernahm das Steuerhorn des Pizzawagens und Andy musste schieben. Nachdem sich Charly unauffällig davon überzeugt hatte, daß die Bremslichter des Wagen ebenfalls defekt waren, nutzte sie diesen Umstand weidlich aus, um es dem sich kräftig mühenden Autoschieber so schwer wie nur irgend möglich zu machen.
Nach wenigen hundert Metern war Andy schweissgebadet, während Charly immer bessere Laune bekam. Sie hatte den Innenspiegel ein wenig umgestellt, um den Jungen bei der Arbeit etwas näher anzusehen.
"Das geschieht Dir nur recht", dachte sie, "und das ist erst der Anfang, mein Freund."
Für Charlys Geschmack kam die Abfahrt viel zu früh. Sie stellten den Wagen hinter einem alten Schuppen ab, der offenbar gelegentlich von der Autobahnmeisterei genutzt wurde. Von der Fahrbahn aus war der Wagen nicht zu sehen. Sarah und Nabil hatte alles verstaut und warteten auf dem Standstreifen an der Abfahrt.
Offenbar hatte sich Nabil Hoffnungen gemacht, er könne es sich auf dem Beifahrersitz bequem machen, lies aber von diesem Ansinnen ab, als er Charlys Blick bemerkte. Die beiden Männer zwängen sich in den Fond des Zweitürers, Nabil bekam den einigermassen bequemen Platz hinter Sarah, während sich Andy mit dem anderen Sitz begnügen musste. Charlly stieg zuletzt ein und schob ihren Sitz mit einem kräftigen Ruck ganz nach hinten, was der junge Mann mit einem hörbaren Atemzug quittierte.
Sarah fädelte sich in den laufenden Verkehr ein und schon waren sie wieder auf dem Weg in die Hauptstadt.