Mit dem Suzuki fahren sie weiter zum Dockyard. Kurz vor dem Strand parkt Nelson und schaut sich genau um. „Da vorn liegt unser Dinghi.“ „Melinda und Kirsten ihr geht vor. Ich folge mit Katrin.“ Nach wenigen Minuten gehen Nelson und Katrin Händchen haltend wie ein Liebespaar zum Strand. „Ihr wollt mit uns auf ein Segelboot? Meinst Du nicht, die sind mit der Motoryacht in der Lage uns einzuholen?“ „Dazu müssten sie erst einmal wissen, dass wir dahinterstecken.“ „Die haben dich doch gesehen!“ „Ja, aber dann müssen sie mich auch heute Mittag beachtet haben. Das glaube ich aber nicht. Ich hatte ein Cap und eine Sonnenbrille auf. Ich denke
hier sind wir sicher.“ „Dein Wort in Gottes Ohr.“ Kerstin und Melinda haben das Beiboot bereits ins Wasser gezogen und alle steigen schnell ein. Zügig geht es zur `Times Up´. An Bord angekommen schickt Nelson die beiden Frauen in die Kajüte und startet sofort den Motor. Während er warmläuft, zieht er mit der elektrischen Ankerwinsch den Anker ein. Hier auf dem Boot kommen ihm die Geräusche übermäßig laut vor. Der Wind bläst mit ca. fünfzehn, in Böen zwanzig Knoten aus Ost. Hier zwischen den Hügeln schralt er aber immer wieder. Noch kurz vor der Ausfahrt vor Nelsons Dockyard setzt Nelson das Großsegel. Melinda steht am Steuer. Als sie weit
genug vom Land entfernt sind, ruft sie Katrin hoch. „Wir tauschen. übernimm Du, ich bin ein wenig eingerostet. Hier nimm mein Cap.“ Und verschwindet unten. Nelson steht neben ihr im Cockpit. „Los, setz die Fock. Damit wir hier wegkommen.“ Nelson befreit die Reffleine der Rollreffanlage von der Reling und will an der Fockschot ziehen. „Du musst die Klemme lösen, die ganz linke. Ja, genau und jetzt kannst du die Schot ziehen.“ Mit Schwung rollt sich das Segel aus. Schnell lässt Nelson die Schot los, um sich an der ausrauschenden Fockschot nicht zu verletzen. Zum Glück hat jemand ans Ende der Schot einen Knoten gemacht. Trotzdem muss Nelson
jetzt hinterher klettern, um die Leine von der Travellerschiene zurückzuholen. Nachdem er sie auf die Winsch gelegt hat, kann er die Fock dichtholen. „Verdammt, das ist eine große Genua.“ (so heißen große Vorsegel.) Die Times Up stürmt vorwärts und Katrin hat am Steuerrad alle Hände voll zu tun, um den Kurs zu halten. Die ca. vierzehn Meter lange Yacht scheint von Physik nicht viel zu halten, denkt Katrin, die schert sich ja keinen Deut um ihre die theoretische Rumpfgeschwindigkeit. Da aber im Cockpit noch keinerlei Instrumente eingeschaltet sind, kann sie das nur erahnen. „Hast du einen Kurs für mich“, ruft sie Nelson zu, als die erste Welle sie
seitlich trifft und einen kleinen Schauer auf sie beide niederregnen lässt. „Südwest, erst einmal Südwest. Wir haben uns noch nicht entschieden ob an der Küste entlang nach Jolly Harbour oder Saint John.“ „Was ist mit Montserrat?“ „Was soll mit Montserrat sein? Da kommen wir doch nicht weg.“ „Dort gibt es einen Flughafen für die kleinen Insel Hopper. Damit kämen wir schon eine Ecke weiter. Wo wollt ihr uns denn überhaupt hinbringen?“ „Wir wollen schnellstmöglich zurück in die Staaten. Noch einmal Montserrat und dann, ihr scheint euch ja schon Gedanken gemacht zu haben.“ „Von da aus nach Saint Martin. Da gibt es ein paar
Privatjets. Die schaffen es locker nach Miami. Eventuell auch weiter.“ Melinda steht auf dem Niedergang in der Tür und nickt. „Keine schlechte Idee, wann müssen wir das entscheiden?“ „Wenn mir endlich einer Saft auf den Kartenplotter gibt, dann kann ich das ausrechnen.“ „Halt Du mal lieber den Kurs. Ich mach das schon. Hier unten liegt ein IPad. Da ist ein Navigationsprogramm drauf. Den Kompass kannst Du erkennen?“ „Ja, den kann ich ja, direkt vor mir nicht übersehen.“ „Kurs erst einmal zwei vier null.“ „Okay, Zweihundertvierzig liegt an. Wie schnell sind wir eigentlich? Der Kahn geht ja ab wie `ne Rennziege.“ „Knapp elf Knoten. Meiner Meinung
nach bringt der Motor jetzt auch nichts mehr.“ Melinda macht von innen den Motor aus. Sofort ändert sich die Geräuschkulisse in der Kajüte. Nur noch ein auf und abschwellendes Rauschen ist zu hören. Draußen hat Katrin den Motor sowieso nicht mehr gehört seitdem die Genua das Schiff, wie ein wildgewordenes Pferdegespann nach vorne zieht. Auch ohne Motor ändert sich das Tempo nicht. Hier draußen ist der Wind allerdings auch auf fünfundzwanzig Knoten aufgebrist, wie Katrin von Kirsten erfährt. Die Windrichtung hat sich stabil auf Südost eingependelt. In den Böen auf Süd-Südost. Unten hat Melinda mittlerweile den Übersegler der
Karibik bis Florida auf dem Salontisch ausgerollt. Nelson kommt dazu und beide überlegen, was das Beste ist. Melindas Telefon brummt. „Ja, ich höre.“ Harolds Stimme klingt gezwungen ruhig aus dem Telefon. „Ich habe alles jetzt noch mehrmals durchgespielt. Wir müssen auf jeden Fall einen Untergang des Tankers verhindern!“ „Ganz ruhig Herold, was hast Du herausgefunden?“ „Die Ölpest wird uns voll treffen!“ „Wie meinst du das? Wir wissen doch, dass die Strömung dafür sorgt das die USA verschont bleiben.“ „Genau das haben wir fälschlicherweise angenommen.“ „Jetzt lass dir doch nicht jede Auskunft einzeln aus der Nase ziehen.“ „Wir haben ein
ausgeprägtes `El Ninò´ Jahr. Dadurch werden die Strömungsverhältnisse verändert. Der Ölteppich wird bis hinauf nach San Francisco alles verseuchen.“ „Was zum Teufel hätte denn jemand davon.“ „Terror braucht nicht immer einen zusätzlichen Grund. Die wollen uns zeigen, dass wir verwundbar sind.“ „Nun lass einmal die Kirche im Dorf. Ob das Terror oder ein normales Verbrechen ist, das werden wir noch herausfinden.“ „Was ist an einem Verbrechen schon normal. Ich wollte euch nur auf dem Laufenden halten. Was sind das für Geräusche im Hintergrund. Wo seid ihr?“ „Wir segeln vor Antigua.“ „Wir schlagen uns hier die Nacht um die Ohren und die
Herrschaften gehen segeln. Das sollte sich unsereins einmal erlauben.“ „Komm wieder runter Herold, wir haben die Frauen bei uns und versuchen die beiden mit einem Flieger in die Staaten zu bringen.“ „Ok, wie ist der Plan?“ „Entweder über Saint John, hier auf Antigua ausfliegen oder rüber nach Montserrat und dann über Saint Martin nach Hause. Wir müssen uns innerhalb der nächsten halben Stunde entscheiden.“ „Ist klar, ich überprüfe das und melde mich gleich wieder.“ Kirstin schaut die beiden fragend an. „Jetzt ist es langsam Zeit, dass ihr uns erzählt was hier los ist. Was ist mit meinem Vater?“ „Das wissen wir nicht.“ „Ihr habt dieses Foto von
unserem Schiff, wie kommt das auf den Frachter? Was hat euch veranlasst uns zu suchen?“ „Der Frachter ist ein riesiger Tanker. Wir haben Informationen bekommen, dass ein Anschlag geplant ist.“ Kirsten wird langsam sauer. „Verdammt noch mal, lasst euch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen. Ich will endlich wissen was hier los ist.“ „Wir haben selbst noch kein klares Bild vor Augen, aber alles deutet darauf hin, dass wir einen Terroranschlag zu erwarten haben. Und dein Vater steckt da mittendrin.“ „Ihr spinnt ja total.“ Wütend kann sie ihre Tränen nicht unterdrücken. „Mein Vater ist doch kein Terrorist,“ schreit sie Nelson an. „Das haben wir
auch nicht gesagt. Aber ihr macht hier Ferien mit Leuten, denen wir eine, wenn auch entfernte, Verbindung mit Terror nachgewiesen haben. Und dadurch, dass ihr so bereitwillig mitgekommen seid, habt ihr uns bewiesen, so ganz verkehrt kann unsere These nicht sein.“ „Jetzt sind auch meine Mutter und ich Terroristen? Du hast ja den Schuss nicht gehört.“ „Nein, so war das doch nicht gemeint,“versucht Melinda zu schlichten. „Wir denken, ihr habt einen Grund von Antigua und den Typen um euch herum zu verschwinden. Den würde ich gerne von euch erfahren.“ „Ja, mittlerweile frage ich mich auch, ob wir nicht überreagiert haben und besser
dageblieben wären.“ Katrin steht im Niedergang. „Ich würde euch gerne weiter zuhören aber die Selbststeueranlage schafft das hier nicht. Der Wind hat zugenommen und ich brauche jetzt ein Ziel!“ Wie auf Befehl ertönt `I am sailing´. „Harold, also wo sollen wir hin?“ „Montserrat ist bei den momentanen Wetterverhältnissen die eindeutig bessere Wahl. Der Wind bleibt auf Südost und der Weg ist der kürzere. Lauft in die Little Bay ein. Ich organisiere von hier einen Shuttle zum Airport.“ „Okay, wir melden uns, wenn wir da sind.“ Melinda schaut zu Katrin hoch, aber die steht schon wieder am Steuer. „Ich muss an die Luft“, meint
Nelson. „Lass Mum auf Zwei-vier–sieben abfallen. Und, denke bloß nicht, wir sind mit unserem Gespräch fertig.“ Kirstin schaut ihn mit blitzenden Augen an. Aber Nelson hat gerade mit sich selbst genug zu tun und keinen Gedanken frei für eine Diskussion. Oben angekommen stürmt er zur Reling. „Die andere Seite“, ruft Katrin noch gerade rechtzeitig und Nelson verflucht die scharfe Soße, die er beim Barbecue ausgiebig genossen hat. „Ich dachte in eurem Verein sind nur die knallharten Typen, da fällt mir ein, ich weiß ja überhaupt nicht welchem Verein ihr angehört.“ Sie hält ihm ein zerknülltes Papiertaschentuch hin, welchen sie aus ihrer Hosentasche
gezogen hat. „Mundwinkel, rechts. Gar nicht sexy.“ Katrin grinst und zieht ganz schnell den Kopf ein. Eine Welle explodiert am Steuerbordbug und ergießt sich über beide. Nelson ist klatschnass. Vom Taschentuch klebt nur noch ein Fetzen zwischen seinen Fingern. „Auch eine Art wieder sauber zu werden.“ Trotz der Umstände sieht man, dass Katrin es genießt zu segeln. „War das Absicht?“ „Nein, aber hätte ich gewusst was für ein dummes Gesicht sie machen können, ich hätte es absichtlich getan.“ Nelson muss auch lachen. Seine Übelkeit ist schlagartig vorbei. „Danke für die Blumen. Ich bin Nelson. In unserer Situation reicht es, wenn wir unsere
Vornamen benutzen. Wir Amerikaner können mit eurem Sie sowieso nichts anfangen.“ „Dann lass uns jetzt wieder auf unsere Ausgangsfrage zurückkommen. Wer seid ihr? Wie seid ihr auf uns gekommen und was wollt ihr von uns?“„Nelson schaut sie direkt an. „Melinda, meine Partnerin und ich, sind von der NSA.“ Er lässt die Worte wirken und beobachtet genau Katrins Gesicht. Er erwartet eine Reaktion. Aber die kommt nicht. „Ja, und weiter?“ Normalerweise ist immer eine Reaktion erfolgt, wenn er dieAgency beim Namen nennt. „Wir hatten den Eindruck, ihr braucht unsere Hilfe.“ Mittlerweile wird Katrin ungeduldig und wütend. „Verdammt noch
mal, dass ihr diesen Eindruck hattet, ist uns klar. Aber wie seid ihr darauf gekommen. So ein Verein wie der Eure reist doch nicht ohne Grund durch die Welt und rettet hilflose Jungfrauen in Nöten. Was hat es mit dem Bild unserer Yacht auf dem Tanker auf sich? Was ist mit meinem Mann?“ Wieder läuft eine große Welle unter der Yacht hindurch. Gekonnt fährt Katrin die Welle in einem flachen Winkel hinab. Das Rauschen der See übertönt Nelsons Worte. Als er das merkt, hält er den Mund. Eine weitere, noch größere Welle hebt das Heck von Backbord (links) an und versucht, die Times Up umzudrehen. Katrin leistet Schwerstarbeit am Rad und fängt sie ein,
bevor sie unkontrolliert anluven (in die Richtung, aus der der Wind kommt fahren) kann. „Was ist hier los, wo kommen diese Wellen her,“ ruft Melinda aus der Tür und starrt nach hinten auf den nächsten Brecher. Aus ihrem Blickwinkel im Niedergang sieht es aus, als würde die Welle Katrin verschlingen wollen. Unten ist es mittlerweile auch laut geworden. Kirsten zieht Melinda vom Niedergang weg und schließt die Tür. „Besser als die volle Ladung hier drin zu haben. Wir sind aus der Landabdeckung raus und die Wellen kommen vom Atlantik. Hier laufen sie noch etwas konfus, durch die Inseln. Das wird aber bald gleichmäßiger.“
„Hoffentlich, sonst geht es mir gleich wie Nelson.“ „Merkst du schon etwas?“ „Nein, mir geht es gut.“ „Dann mach dir keine Gedanken. Oder besser gesagt, denke nicht einmal daran. Seekrankheit kann jeden erwischen. Selbst den erfahrensten Seemann. Ich habe mir soeben den Wetterbericht angesehen. Schlimmer wird es nicht. Und, wie gesagt, bald werden die Wellen gleichmäßiger.“ Das Schiff legt sich schwer über. Melinda wird auf die Steuerbord Sitzbank geworfen. Schnell klettert Kirsten auf die Treppe und steckt den Kopf aus der Luke und ruft „Mum, willst Du reffen (die Segel kleiner machen)?“ „Nein, ich will nur schnell
aus diesem konfusen Seegang heraus. Der Kahn läuft prächtig. Ich hätte nur gerne jetzt die Armaturen hier an. Wir sind weit genug vom Land entfernt. Hier sieht uns keiner mehr.“ „Auch den Kartenplotter?“ „Ja, das Teil kenne ich von der Messe. Das schaltet automatisch auf den Nachtmodus.“ Kirsten muss sich mit beiden Händen am Lukenrand festhalten. Langsam lässt sie sich runter und setzt sich erst einmal auf die Treppe. Mit einem sicheren Griff und einer gekonnten Drehung landet sie auf dem Sitz vor dem Kartentisch. Von hier aus kann sie die Instrumente überwachen und sie auf dem außenliegenden Steuerstand einschalten. Bleiches Licht erscheint auf
Katrins Gesicht. Sofort greift sie den Regler auf der Steuersäule und regelt die Beleuchtung soweit herunter, wie sie es braucht. Durch die Windmessanlage auf der Mastspitze kann sie jetzt erkennen, dass sich der Wind auf ca. achtundzwanzig Knoten eingependelt hat. Eindeutig zu viel für die riesige Genua da die Böen teilweise noch weitere fünf bis sieben Knoten stärker sind. „Nelson, wir werden die Genua etwas reffen.“ Nelson, der sich krampfhaft an der Großschot festhält, schaut sie fragend an. „Was soll ich tun?“ „Nimm die Leine, die du als erste gelöst hast. Ja, genau die, und lege sie über die vordere Winsch. Jetzt hol sie Dicht bist Du
Widerstand spürst.“ Schnell zieht Nelson an der Leine. „Weiter geht nicht,“ ruft er nach hinten als sie eine weitere Welle heruntersurfen. „OK jetzt steck die Winschkurbel rein.“ Nelson versucht, mit der Kurbel die Leine einzuholen. „Nein warte, ich gehe noch etwas vor den Wind. Aber zuerst lass bitte ganz vorsichtig die Fockschot noch etwas nach.“ Langsam nimmt Nelson die Schot aus Nut der anderen Winsch. Eine weitere Böe kommt gleichzeitig mit einer hohen Welle und droht das Boot umzuwerfen. Katrin hält mit dem Steuer dagegen und in dem Moment kommt die volle Kraft des Windes in die Fock. Nelson kann die Schot nicht halten und
sie rauscht voll aus. Laut knattert das Segel unkontrolliert im Wind. Geistesgegenwärtig hat Nelson das Ende der Schot, noch bevor es die Winsch komplett verlassen hat, festgehalten. Er versucht sie wieder einzuholen, aber schon nach dem ersten Meter ist ein starker Widerstand zu spüren. „Ich kann sie nicht einholen. Irgendetwas blockiert die Leine.“ „Leg sie oben in die Nut der Winsch. Kannst du sehen, wo sie festhängt?“ Nelson hat sich aufgestellt und hält sich an der Sprayhood fest. „Vorne am Anker, sie hängt am Anker fest.“ Kirsten hat das ohrenbetäubende Knattern des Segels natürlich mitbekommen und taucht im Niedergang
auf. „Wartet, ich kümmere mich darum.“ Mit Schwimmweste und Lifebelt kommt sie ins Cockpit. Nelson schaut sie an. „Soll ich nicht lieber“ ruft er. „Lass niemals einen Mann ran, wenn eine Frau das kann. Ich denke ich bin besser qualifiziert als du.“ Vom Steuerstand gibt ihre Mutter ein Daumen hoch. „Sofort wenn ich die Leine befreit habe holst Du erst die Leine der Rollfock ein und dann, auf Kommando meiner Mutter, die Fockschot. Vergiss, um Gottes Willen nicht die Klemme runter zu machen.“ „Welche Klemme?“„Kirsten verdreht die Augen und greift an Nelson vorbei. Die Klemme der Reffleine steht immer noch oben. Mit einem Griff drückt sie diese
herunter. „Unten lassen und nur noch ziehen. Verstanden?“ Das Rauschen der Wellen lässt sie immer noch laut rufen. Kirsten hakt sich in die Sicherungsleine an Deck auf der Luvseite ein. Gebückt läuft sie nach vorne. In Höhe des Mastes angekommen legt sich die Times Up erneut schwer über und sie hält sich an den Wanten fest. Auf dem Höhepunkt der nächsten Welle ist sie mit drei schnellen Schritten an der Ankerwinsch und will die Schlaufe herunternehmen. Leider steht die Schot gerade unter Spannung und Kirsten dreht sich nach hinten um. Schnell erkennt sie, dass Katrin das Problem nicht sieht. In dem Moment wird die Yacht von hinten wieder angehoben
und rauscht immer schneller dem Wellenberg voraus. Die Schot kommt lose und Kirsten wirft sie frei. Im selben Moment sieht sie, dass sie sich gleich in die vordere Welle bohren werden, und will sich mit beiden Händen am Bugkorb festhalten. Nelson holt derweil die Reffleine ein und will, während sie mit dem Bug in der Welle sind, an der Fockschot ziehen. Kirsten merkt noch, wie Druck auf die Schot kommt und, dass sie diese unter dem Arm hat. Innerhalb derselben Sekunde verliert sie den Halt und der Bug taucht tief in die Welle. Durch den Druck verneigt sich Times Up tief und Kirsten wird erst vom Wasser nach hinten geworfen und dann durch die
Reling über Bord gespült. Katrin klammert sich an der Steuersäule fest und Nelson fliegt von seinem Platz an der hinteren Winsch bis zum Niedergang, wo er auf dem Rücken liegenbleibt. Die Yacht schüttelt das Wasser ab und Katrin bringt sie wieder in die Spur. Sofort registriert sie, dass ihre Tochter nicht mehr auf dem Vordeck ist. „Nelson, Lass Dir von Melinda eine Schwimmweste herausgeben und sie soll auch sofort rauf kommen!“ Panik macht sich bei ihr breit. Jetzt nur die Ruhe bewahren. Sie atmet tief durch. Kirsten war doch angeleint. Der Sicherungsgurt ist straff gespannt. Durch die Wölbung des Rumpfes kann sie aber die vordere Bordwand nicht
sehen. „Schnell“, schreit sie Nelson an, der sie fragend anschaut. Melinda war durch die plötzliche Bewegung des Schiffes auf den Boden geschleudert worden und rafft sich gerade auf, als sie Nelsons Gesicht in der Luke auftauchen sieht. Sofort reicht sie ihm die Weste mit Gurt und zieht ihre unter Deck noch an. Nelsonversucht seine Leine in den Decksgurt einzuhängen, kommt aber mit den Karabinerhaken nicht unter den flachen Gurt. „Du musst in Lee nach vorne. Nimm die andere Seite. Beeile dich doch.“ Mittlerweile kann Katrin Kirstens Hand kurz sehen. Sie holt tief Luft und konzentriert sich. Auf dem Vordeck angekommen sieht Nelson
Kirsten am Gurt bis zum Hals im Wasser hängen. Trotz der aufgeblasenen Schwimmweste wird ihr Gesicht immer wieder von der Bugwelle überspült. Sie klammert sich mit beiden Händen an den Gurt und versucht, so über Wasser zu bleiben. Ihre Kraft reicht aber nicht mehr, um hochzukommen. Nelson reicht ihr seine Hand, aber sie sieht ihn nicht, da sie ihre Augen fest geschlossen hält. Als er ihr Handgelenk umfasst, starrt sie ihn kurz an und greift zu. Mit aller Kraft versucht er sie hochzuziehen aber, als er sie mit den Händen an der Bordkante hat, reißt eine Welle sie ihm wieder aus der Hand. Schlagartig wird ihm klar, das schafft er so nicht. Er schaut sich um und
sieht die Fockschot, die lose auf dieser Seite des Schiffes durchhängt. Schnell verknotet er die vordere Seite der Schot mit der höchsten Stelle des Bugkorbes und versucht dann, eine Schlaufe durch den Karabinerhaken des Lifebelt zu ziehen. Dabei hängt er selbst weit unter der Reling durch. Kirsten starrt ihn mit riesigen angstgeweiteten Augen an. Nach unzähligen Versuchen klappt es endlich und er macht einen dicken Knoten in die Schlaufe. So kann die Leine nicht mehr herausrutschen. „Zieht die Fockschot dicht,“ schreit er nach hinten. Katrin hat ihn nicht aus den Augen gelassen undahnt was er vorhat. „Melinda Kurbel die Schot dicht. Schnell.“ Melinda greift
die Schot und zieht die ersten Meter mit der Hand. Dann mit der Kurbel und die ersten Zentimeter gehen auch. Dann wird es schwer. „Ich schaff das nicht. Es geht nicht.“ Nelson sieht, wie die Leine dicht kommt und sich spannt. Kirstin wird immer wieder vor den Bug geschleudert. Zum Glück dämpft die Schwimmweste den Aufprall. Eine weitere Welle läuft unter der Yacht durch. Kirstin luvt an, fährt in die Welle und schreit „Kurbeln, jetzt schnell.“ Melinda rutscht an der jetzt auf einmal leicht drehenden Kurbel ab und schlägt auf der Winsch auf. „Ziehen, verdammt hol dicht.“ Melinda lässt sich mit aller Kraft in die Schot fallen und diese gib soweit nach, dass sie
auf der gegenüberliegenden Sitzbank landet. „Kurbeln, jetzt Kurbeln,“ Katrins Stimme überschlägt sich vor Verzweiflung, dennoch lässt sie das Schiff wieder abfallen in die ursprüngliche Richtung. Nelson erkennt was Katrin vor hat und bringt sich in eine gute Position. Als Kirsten durch die Welle hochgedrückt wird umfasst er sie durch die oberen Relingsdrähte und drückt sie weiter nach oben. Kirstin kann über den oberen Draht greifen und sich dann an Nelsons Rücken über die Reling ziehen. Dicht am Draht bleibt sie hängen da sich der Lifebelt nun um die Reling gewickelt hat. Schnell löst Nelson die Karabinerhaken und befreit Kirsten aus
ihren Fesseln. Sie ist zu schwach, um sich zu rühren. Dann nimmt Nelson das freie Ende seiner eigenen Lifeline und hakt es bei Kirsten an der Weste ein. Erst jetzt lässt er sich selbst einige Sekunden Ausruhen. Eine weitere Welle läuft unter dem Schiff durch. Schon deutlich länger und ruhiger als noch vor wenigen Minuten. Kirsten öffnet ihre Augen und schaut Nelson dankbar an. „Wir sollten die Fockschot noch klarieren“ ist das Erste, was sie sagt, als Nelson mit ihr zurück ins Cockpit will. Immer noch hängt der Lifebelt über ihnen an der am Bug festgeknoteten Schot. Melinda sieht, wie Nelson ihr ein Zeichen gibt, und löst die Schot von der Winsch. „Schaffst du
es allein?“ Kirstin nickt und kriecht, auf allen vieren, langsam nach hinten.
Enya2853 Spannend geschrieben. Ich nehme an, es ist eine Fortsetzungsgeschichte. Es ist etwas schwierig, alles nachzuvollziehen, wenn man den Anfang nicht kennt. Hast du das auch hier veröffentlicht? Vor allem beeindruckend die sehr fundierten Kenntnisse über Segeln und Seefahrt. Es geht sicher noch weiter, oder? Liebe Grüße Enya |