Kapitel 2.2
Er betrat die Kabine und sah zu seiner Verwunderung, dass die Dame tatsächlich einen der Pullover trug und sich ausgiebig im Spiegel betrachtete.
„Sieht das gut aus? Was sagen Sie?“
In seinem Kopf formierten sich die Worte „extrem sexy“, doch sein Mund war schneller und brachte nur „Den können Sie tragen“ hervor.
„Ja, aber noch mal den anderen zum Vergleich!“, flötete der Bot und hatte den Pullover bereits über den Kopf gezogen.
Johanns Körper reagierte in diesem Moment erschreckend vernünftig, da er reflexartig die Augenlider schloss.
„Sie können die Augen wieder aufmachen, ich hab den Pulli an“, forderte sie ihn belustigt auf.
Er öffnete die Augen und sah, dass das der engere Pullover sein musste, da er extrem an ihrer Oberweite spannte und deshalb auch knapp unter dem Bauchnabel schon endete.
„Zu klein, oder?“, fragte sie und zog tatsächlich noch ein wenig an dem Kleidungsstück herum, als ob das irgendetwas bringen würde.
Das war es, er war so gut wie verloren. Blutstau am falschen Körperende und die schlecht belüftete kleine Kabine würden ihn gleich K.O. setzen. Die Situation
musste sofort beendet werden, wenn es kein Fiasko werden sollte.
„Ja, definitiv. Ich…ich muss dann…“
„Ich nehme einfach beide, warten Sie noch vor der Kabine, damit nicht irgendwer reinkommt? Das wäre mir sehr peinlich, wenn mich jemand so sehen würde“, sprach sie mit leichter Erotik in der Stimme und es war klar, dass das Gesagte mit der Realität nicht übereinstimmen würde.
Trotzdem war Johann heilfroh herauszukommen und vor der Kabine atmete er erst einmal mehrmals tief durch. Eine Frau im Umkleidbereich blickte ihn böse an. Was die wohl von ihm dachte, was er da drinnen
veranstaltet hatte?
„Hey, was ist da los? Was macht der Bot?“, fragte Dr. Usen, was ihn schlagartig in die Realität zurückholte.
„Sie…sie zieht sich an…äh…um! Sie zieht sich um. Nicht was Sie jetzt denken…“
„Ruhig Brauner, ruhig! Das machen Sie perfekt. Bleiben Sie dran, laden Sie den Bot zum Kaffee ein, lassen Sie sie nicht entkommen.“
Winter blickte sich um. Die böse dreinblickende Frau war mittlerweile in einer anderen Kabine verschwunden. „Und wie soll ich das anstellen? Ich glaube sie hält mich für einen Angestellten…“
Müller meldete sich wieder, hörbar angetrunken. „Quatsch mit Sauce, Herbst! Das ist eine hochentwickelte, selbstlernende KI. Die weiß wahrscheinlich schon alle Namen von den Mitarbeitern aller Filialen, die weiß, dass du kein Mitarbeiter bist. Also, bleib dran und denk dran, erst flach legen und dann umlegen!“
„Sie sind so ein ekelhafter…“
„Verdammt! Jetzt seid mal ruhig!“, sagte er etwas zu laut zu sich selbst.
„Wer soll denn ruhig sein?“, fragte der Bot, der plötzlich mit den Pullovern über dem Arm neben ihm stand.
„Äh…äh nichts. Ich hatte nur
versehentlich gerade einen Anruf angenommen…Head-Set, du verstehst…“
„Klar, richtig nervig der Kram.“
Sie lächelte ihn an und fuhr ihm sanft über eine Wange. Dann nahm sie ihm das kleine Head-Set aus dem Ohr.
„Das brauchst du doch jetzt nicht, oder? Komm, lass uns in ein Café gehen und was trinken.“
Sie ließ das kleine Teil in seine Jackentasche gleiten. Das war alles so schnell gegangen, dass er sich nicht wehren konnte und ehrlich gesagt, das musste er sich auch eingestehen, wollte er sich auch gar nicht wehren.
„Ja aber, was wäre denn, wenn ich jetzt noch arbeiten
müsste…“
Jessica blickte ihn verschwörerisch an. „Hier arbeiten nur Frauen als Verkäuferinnen und der einzige Mann hinten im Lager. Also bist du hier kein Verkäufer und dein Head-Set trägt auch keine Verkäuferin. Für den Filialleiter siehst du nicht entsprechend angezogen aus, also bist du nur ein Kunde, der merkwürdigerweise offensichtlich keine Freundin in einem Modeladen dabei hat. Also bist du ein merkwürdiger Typ, der aber irgendwie ganz nett wirkt.“
Er fühlte sich ertappt. „Ja, aber…wieso hab ich denn keine Freundin dabei?“
„Naja, wenn du eine Freundin dabei hättest, wärst du wahrscheinlich nicht an
mich herangetreten und wenn doch, hätte sie dich ganz schnell wegezogen von mir. Übrigens, ich bin Jessi“, meinte sie vollkommen beiläufig hielt ihm ihre Hand hin. Er ergriff sie und sagte nur kurz „Johann, freut mich.“