„Und wie soll ich das machen, wenn ich sie gefunden habe?“, fragte Johann, während er durch die Fußgängerzone in der Mönckebergstraße in Hamburg lief, nachdem er nach Hamburg gefahren war. Dass er dabei scheinbar mit sich selbst sprach, störte niemanden, denn hier liefen andauernd irgendwie wichtig aussehende Leute herum, die laut sprachen und dabei ein kleines Head-Set in ihrem Ohr stecken hatten. „Sprechen Sie sie einfach an, ganz locker“, riet die weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung. Klar, das hatte er ja in seinem bisherigen Leben
auch so super hinbekommen. Vor einem Geschäft der Modekette ZARA blieb er stehen, da man ihm anwies, dass sich der Roboter darin befinden sollte. Zum Glück wusste er, wie Jessica Nigri aussah, also konnte er sich das schon einmal ersparen, das mit den anderen abzuklären. Aber war das eigentlich ein Glück? Zeigte das nicht deutlich, was er für ein Typ war, weil er das Aussehen einer international bekannten Cosplayerin kannte, aber sich nicht mehr an den Namen seiner letzten Partnerin erinnern konnte, was aber auch schon mehr als sieben Jahre her war? Er sah sie bei den Pullovern stehen. Offensichtlich
hatte der Bot es geschafft schon vorher etwas einzukaufen, da er, oder sie, bereits eine enge Jeans und eine weit ausgeschnittene Bluse trug nebst einer Jacke, die aber auch nicht richtig schloss, aufgrund der etwas zu großen Oberweite. Ein paar Männer, die offensichtlich von ihren Freundinnen hierher geschleppt worden waren, hatten offensichtlich gerade ein ungesundes Interesse an Frauenkleidung entwickelt. Johann vernahm Sätze wie: „Ja, probiere doch gerne noch ein Teil aus“, was normalerweise keinem durchschnittlichen Mann über die Lippen kam. Der Bot wurde aber nicht angesprochen, sondern alle hielten einen Sicherheitsabstand.
Die Verkäuferinnen waren da keine Ausnahme, weil sie mit gekräuselten Lippen die Kundin beobachteten und die ganze Zeit unablässig giftig tuschelten.
„Zuschlagen, Sommer!“, vernahm Johann, während er die Szenerie noch beobachtete. Es war Müller, der immer wieder Anweisungen brüllte.
„Winter, ich heiße Winter.“
„Einigen wir uns in der Mitte auf Herbst. Und jetzt ran an den Speck!“
Es war ein lautes Schnauben zu hören. „Hören Sie mit den sexistischen Machosprüchen auf, sonst…“ „Ruhe, beide!“, zischte Johann halblaut, sodass erste Schaulustige ihn wahrnahmen.
Seine Füße bewegten sich nun von allein. Was sollte er sagen? Sollte er ihre Haare loben, ihren guten Kleidergeschmack? Nicht auf die Brüste oder den Hintern starren, das galt es auf jeden Fall zu verhindern. Aber wohin dann? Ins Gesicht! Ins Gesicht!
Und während er noch dachte, stand er schon neben dem Bot, der ihm einen der Pullover entgegenhielt. „Danke, ich dachte schon, es kommt gar kein Verkäufer mehr zu mir. Finden Sie, dass ich den in den Größe kaufen sollte, oder lieber nicht?“, fragte der Bot in akzentfreiem Deutsch und hielt sich den Strickpullover an den Körper.
Es gab einen kurzen Moment, eine Nanosekunde, in der sich wahrscheinlich die gesamte Menschheitsgeschichte entscheiden würde. Wo befand sich gerade mehr Blut zum Sauerstofftransport? Oberhalb oder unterhalb seiner Gürtellinie? Gerade noch oberhalb und das war das entscheidende Momentum, bevor er nur „Hammena Hammena“, hätte sabbeln können. „Vielleicht erst einmal anprobieren? Nicht dass er dann zu kurz ist…“ Und die Welt hielt den Atmen an, als die Frau ihn prüfend anblickte. „Ja, da haben Sie recht. Wo sind die Umkleidekabinen?“
Johann zeigte auf den Bereich hinter ihr und alle Zusehenden atmeten mit einmal aus, weil sich die Situation offensichtlich entspannt hatte. Sie reichte ihm zwei Pullover von unterschiedlicher Größe. „Helfen Sie mir tragen?“ Er folgte ihr zu den Umkleiden und einige der herumstehenden Männer raunten ihm aufmunternde und anerkennende Sätze wie: „Gut gemacht, Bro!“, zu.
Vor den Kabinen stand er eine kurze Zeit
einfach nur herum, während Jessica Nigri, also der Bot, der wie sie aussah, die Kleidungsstücke ausprobierte. „Erde an Johann, wie läuft es?“, fragte Dr. Usen. „Sie zieht sich gerade in der Umkleidekabine um.“ „Ausziehen! Ausziehen!“, tönte Müller. „Der Kontakt ist also hergestellt?“ „Ja, und jetzt still…“, zischte er, als der Arm hinter dem Vorhang hervor lugte. „Könnten Sie vielleicht mal herein kommen?“ Er blieb starr stehen. Sollte er, konnte er? „Na los, ich beiße schon nicht“, kam es recht froh gelaunt aus dem Innern der
Umkleidekabine. „Ok, ich…ich komme jetzt rein“, stammelte er.
„Ja, hier drin ist nichts Gefährliches.“
Doch! Nämlich ein intelligenter Sex-Bot! Es dröhnte in seinem Schädel aber er hatte einen Fuß in der Tür bei einer Frau…bei etwas, was wie eine Frau war. Das war mehr, als in den letzten Jahren zusammen genommen, abgesehen von diesem einen Dating-Simulator auf seinem Computer…