Kurzgeschichte
Reise ohne Wiederkehr

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"Ich begab mich auf die Reise, um mich und zu mir selbst zu finden. Was ich dann fand, war etwas viel"
Veröffentlicht am 03. Januar 2021, 14 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Ich begab mich auf die Reise, um mich und zu mir selbst zu finden. Was ich dann fand, war etwas viel

Reise ohne Wiederkehr

Titel

Eine Nacht wollte ich die Gastfreundschaft der netten Leute annehmen und dann meinen Weg fortsetzen. Als ich heute Morgen aus dem Fenster blickte und die weiße Pracht vor dem Fenster sah, fiel mir plötzlich auf, das ich schon den zweiten Winter, bei diesen netten Leute verbringe und schon ziemlich gut ihre Sprache verstehen, so wie sprechen kann. Dabei bin ich Fremdsprachenunbegabt. Nach knapp zehn Jahren Englischunterricht, bin ich immer noch im Level A2. Vor vielen Jahren habe ich damit angefangen zu sparen. Dafür verzichtete

ich auf so ziemlich alles. Vor allem auf Vergnügen und Luxus. Darüber hinaus schrubbte ich so viele Überstunden, wie ich nur konnte. Bis mein Chef dahinter kam. Der alte Geizhals verbot allen Mitarbeiter Überstunden zu machen und zahlte Jedem nur den gesetzlichen Mindestlohn. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er weniger gezahlt. Seinen Geiz sah man auch beim Weihnachts-/ Urlaubsgeld. Ich freute mich daher immer, wenn ein Kollege ausfiel und ich für ihn einspringen durfte, das heißt, zu meinen Stunden zusätzlich noch die Stunden meines Kollegen machen durfte, auch wenn es sich nicht wirklich großartig am

Monatsende auswirkte. Nach Jahren hatte ich genug Geld angespart, um für längere Zeit wegzufahren. Mir standen drei Wochen Urlaub zu. Den hatte ich schon ein Jahr zuvor eingereicht. Sechs Wochen vorher ging ich zum Arzt und ließ mich für sechs Wochen krank schreiben. Auf die Idee hatte mich ein Kollege gebracht, der jedes Jahr um die Gleiche Zeit krank wird und anschließend seinen Urlaub antrat. Ich hatte kein bestimmtes Ziel vor Augen. Zuerst wollte ich den bekannten Pilgerweg gehen, aber der war mir zu überlaufen. Also beschloss ich Richtung Osten zu gehen. Dafür hatte ich mir extra

einen großen Wanderrucksack besorgt, in dem ich nur das Nötigste eingepackt hatte. Niemand wusste von meinen Plänen, weil ich zu Keinem ein Wort gesagt hatte, damit mir niemand meine Pläne vermiesen oder ausreden kann. Ich brauchte die Reise, um zu mir selbst zu finden. Mir fehlte der Sinn in meinem Leben. Seit meiner Jugend hatte ich mit Suizidgedanken zu kämpfen. Mehrfach hatte ich schon versucht, mich umzubringen. Obwohl ich in ärztlicher Behandlung war, hatte ich diese Gedanken immer noch. Fiel immer wieder in tiefe Depressionen. Es grenzt an ein Wunder, das ich es dennoch immer

wieder geschafft habe, meinen Arsch hochzukriegen und wenigstens das Nötigste zu tun, wie auf Arbeit gehen, da ich auch dem Alkohol nicht abgeneigt war. Die Pillen, die mir meine Ärztin jedes Mal verschrieb, schienen bei mir nicht zu wirken. Zumindest bemerkte ich keine Besserung. Und obwohl ich es ihr bei jedem Besuch sagte, verschrieb sie sie mir weiter. Wo ich überall gewesen war, kann ich nicht mehr sagen. Ich habe mir die Orte nicht gemerkt. Viele waren für mich so wie so unaussprechlich. Immer wieder verließ ich meinen Weg. An den Grenzen hatte ich, zum Glück, keine Probleme. Mein Rucksack wurde immer wieder

genauestens unter die Lupe genommen und mich selbst untersuchten sie häufig auch sehr gründlich. Ich fragte nie nach den Grund, sondern ließ es einfach über mich ergehen, damit ich schnellstens meinen Weg fortführen konnte. Irgendwann landete ich in dieser Einöde. Weit und breit war nichts, außer Natur. Bäume, Gras und Tiere. Weit und breit kein Haus und kein Mensch. Wo ich mich befand, wusste ich nicht und es war mir auch egal. Mir ging es einfach nur gut. So gut, das ich mich komplett auszog und mich nackt in die Sonne legte. Ich fühlte mich frei. Um mich herum war grenzenlose Freiheit. Am Tag darauf traf ich auf diese netten

Menschen. Ich war geschafft von meiner Wanderung und durchnässt vom prasselnden Regen. Mein Anblick muss wohl eine Art Mitgefühl bei ihnen ausgelöst haben. Dankbar nahm ich ihre Gastfreundschaft an. Sie nahmen mich mit in ihr Haus und halfen mir aus meinen nassen Klamotten. Es war mir peinlich gewesen, weil sie verlangten, das ich komplett alles auszog, was ich am Leibe trug. Dann gaben sie mir etwas zum Abtrocknen und Kleider. Hinterher luden sie mich zu einem Mahl ein. Es kostete mich Überwindung, Fleisch zu essen. Seit Jahren lebte ich vegan aus Überzeugung. Aber ich hatte Hunger und ich wollte nicht als undankbar

erscheinen. Zu guter Letzt gaben sie mir ein Nachtlager. Die Jüngste machte es mir zurecht und lächelte mich dabei freundlich an. Ich schätzte sie auf Anfang zwanzig. Sie hatte Kurven und dennoch...Da lag etwas in ihren Augen. Die halbe Nacht lang lag ich einfach nur da und dachte darüber nach. Am Morgen fühlte ich mich gerädert, aber gleichzeitig glücklich. Denn das erste, was ich an diesem Morgen zu Gesicht bekam, war sie. „Natascha.“, sagte sie und legte dabei ihre Hand auf ihre Brust. „Chris.“, antwortete ich und erwiderte ihr

Lächeln. Nach dem Frühstück wollte ich meinen Weg fortführen, doch Natascha hielt mich fest. Nahm meine Hand und legte sie auf ihre Brust. Dann nahm sie meine andere Hand und legte sie auf meine Brust. Ich wusste nicht, was es bedeutete; konnte es nur erahnen. Ich nickte leicht. Sie führte mich zurück ins Haus, zu ihrer Familie. Was sie ihnen mitteilte, wusste ich nicht. Wahrscheinlich, das ich noch ein wenig länger bleibe. Ihre Familie schien nichts dagegen zu haben. Um mich irgendwie erkenntlich zu zeigen, versuchte ich klar zu machen, das ich mithelfen will. Natascha führte mich

zu der Ziege und zeigte mir, wie man melkt. Ich zeigte mich sehr begriffsstutzig, was sie zum Lachen brachte. Hinterher jäteten wir Unkraut im Garten. Natascha blieb stets in meiner Nähe und sah mich immer wieder mit diesem Blick an, den ich erst spät zu deuten wusste. Es war eine anstrengende Arbeit, die mich ins Schwitzen brachte. Um meinen Durst zu stillen, bekam ich Ziegenmilch. Die war sehr Gewöhnungsbedürftig. Als ich mich müde und erschöpft ins Bett legte, kroch sie kurzerhand unter meine Decke und kuschelte sich an mich. Zärtlich legte ich meine Arme um sie und schlief glücklich

ein. Nach dem Frühstück packte ich meine Sachen. Natascha sah mich an und schüttelte mit dem Kopf. Ich hielt in meinem Tun inne und dachte an die vergangene Nacht. Wollte ich wirklich gehen? Wir gingen gemeinsam vors Haus. Sie molk die Ziege und ich schaute ihr dabei zu. Dann tranken wir gemeinsam Milch aus einem Napf. Ich schaute mich um. Weit und breit war kein weiteres Haus zu sehen. Auch kein angrenzendes Feld. Wir waren abgeschottet von der Außenwelt. Kein fließendes Wasser, das aus der Leitung kam, kein Strom, kein Internet. Seltsamerweise fehlte mir nichts von

alldem. Die Tage vergingen rasch. Tagsüber half ich der Familie bei der Arbeit, nachts schlief ich mit Natascha in einem Bett. Ein Tag war wie der andere und doch anders. Die Arbeit war abwechslungsreich. Und jeden Tag lernte ich ein bisschen ihre Sprache. Es fiel mir sogar relativ leicht. Ich glaube, es lag daran, das ich unbedingt die Sprache lernen wollte, um mich mit Natascha und ihrer Familie unterhalten zu können. Um zu erfahren, wie sie über mich denken und was sie von mir halten. Ob mich irgendwer vermisst; an mich denkt? Wahrscheinlich nicht. Meine Ärztin wird vielleicht glauben, das ich

mir was angetan habe. Dabei habe ich, seit dem ich hier bin, keinen Gedanken daran verschwendet. Kein einziges Mal hatte ich daran gedacht, mich umzubringen. Es gibt keinen Ort, an dem ich lieber wäre. Hier ist mein Zu Hause und ich will hier nie mehr weg. Ich begab mich auf die Reise um mich selbst zu finden und fand das Glück. Es liegt hier bei mir und nebenan. Liegt da draußen, unter einer Decke aus Schnee.

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