Sie fror. Nicht weil die Nacht so kalt war. Die Kälte kam von innen. Sie war nicht mal mehr imstande zu weinen. Es kam ihr vor, als ob sie seit Ewigkeiten hier an diesem stillen, dunklen See sitzen würde. Als ob die Uhren aufgehört hätten zu ticken. Ihre Zukunft dehnte sich vor ihr aus, wie eine ungeteerte Wüstenpiste ins Nichts.
Gestern Abend hatte Lucie ihren Freund samt Klamotten aus ihrer Wohnung geworfen. Hinterher war sie wie eine Verrückte durch die Stadt gefahren. Die leere Wohnung und ihr leeres Herz hatten sie aus dem Haus getrieben. Im Auto hatte sie laut und verzweifelt seinen Namen gebrüllt. Sie kam
sich vor, wie Marie Antoinette auf dem Weg zum Schafott. Was hatte sie nur getan. Er hatte sich doch gefreut, als sie ihm sagte, dass sie schwanger ist. Aber später gab er klare Signale, dass es für ihn doch zu viel Verantwortung wäre und Familie konnte er sich gar nicht vorstellen. Da wurde Lucie alles klar. Die Entscheidung lag mal wieder nur bei ihr. Sie konnte nicht länger einen Fixstern lieben, der sich immer nur um sich selber dreht. Wie in einem Rausch hatte sie ihm alles vorgeworfen, was sich in den letzten paar Monaten an Bitternis angesammelt hatte.
Ihre letzten Worte an ihn waren
"Pack deine Sachen und verschwinde."
Das hatte er getan.
Hinter ihr im Gebüsch raschelte es. Dann bewegte sich eine Gestalt langsam auf sie zu. Lucie verhielt sich mucksmäuschenstill. Ihre Nackenhaare richteten sich auf.
Der Schatten, der dunkler als die Nacht war kam näher. Lucie hielt den Atem an. Es war zu dunkel, um zu erkennen, was auf sie zukam.
Das Licht des Mondes kletterte hinter den Wolken hervor und saugte sich an dem Schatten fest.
Es war ein Hund. Lucie hätte sich vor Erleichterung fast in die Hose gemacht.
Er kam nahe heran und schnupperte.
"Was machst du denn hier mitten in der Nacht", fragte sie ihn - und in Gedanken sich selbst auch.
Der Hund kam so nahe, dass sie ihn streicheln konnte. Ich muss verrückt sein, dachte Lucie. Sitz ich mitten in der Nacht an einem einsamen Waldsee und streichle einen fremden Hund. Aber es war so gut, nicht allein zu sein.
"Wie heißt du denn", fragte sie.
Bin ich bescheuert, seit wann können Hunde reden. Natürlich gab er ihr keine Antwort, sah sie nur mit traurigen Augen an. Sein Fell fühlte sich ungepflegt und struppig an - genau wie mein Auto dachte Lucie.
In diesem Augenblick fühlte sie es. Ein Abschnitt ihres Lebens ging zu Ende.
Na und! - begann eben ein neuer!
Sie zündete sich eine Zigarette an. Lucie wusste, dass es in ihrem Zustand nicht gut
war. Aber alles andere war auch nicht besonders.
Als sie sich steifbeinig erhob, wedelte der Hund erwartungsvoll mit dem Schwanz. Woher nimmt er nur soviel Vertrauen - dachte Lucie, sein Fell zeugt von anderen Erfahrungen.
Sie öffnete ihm die Beifahrertür und er sprang mit einem Satz auf den Sitz.
Als sie den Motor anließ, wedelte der Hund, den sie insgeheim schon Blacky nannte, erwartungsvoll mit dem Schwanz. Einen unechten Freund verloren, dafür einen treuen Begleiter gefunden - dachte Lucie.
Und so war es.
@Feedre
Cover von Edith Plazotta