Kurzgeschichte
Erinnerungen - Brief eines 2. Offiziers auf einem Frachtschiff

0
"Erinnerungen - Brief eines 2. Offiziers auf einem Frachtschiff"
Veröffentlicht am 02. November 2020, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Melinda Nagy - Fotolia.com
http://www.mystorys.de
Erinnerungen - Brief eines 2. Offiziers auf einem Frachtschiff

Erinnerungen - Brief eines 2. Offiziers auf einem Frachtschiff

Erinnerungen Heute habe ich mal in Erinnerungen geschwelgt, alte Liebesbriefe gelesen und da ist mir doch ein Brief in die Hände gefallen, in dem ich so viel Gemeinsames mit unserem heutigen Problem, was hier das Brett bevölkert entdeckte, dass ich dachte, dass ich das euch nicht vorenthalten kann. Der Schreiber wird es mir verzeihen, da er immer ein sehr weltoffener und humaner Mensch war und es hoffentlich noch ist. Persönliche Passagen werde ich natürlich auslassen, aber das Wichtigste wird euch sicher interessieren .Der Brief stammt

übrigens aus dem Jahre 1989 und wurde von einem 2. Offizier geschrieben, der auf einem Frachter nach Südostasien fuhr. Meine geliebte Frau Heute muss ich mir ganz schnell einfach mal was von der Seele schreiben. Schatz, ich hatte eben meine normale Seewache, fast Windstille, kaum Schiffe, also Kaiserwetter. Nun sind wir auf dem Weg von Singapore nach Hongkong. Die Reise führt in ca. 100 Seemeilen an der vietnamesischen Küste vorbei. Gegen 10.45 sichtete ich ein kleines Fischerboot, das mit ca 10 bis 15 Personen besetzt war. Hier gibt es zwar

Fischer in der Gegend, aber nur auf großen, seetüchtigen Booten mit 4 -5 Mann Besatzung. Es handelte sich also um Boatpeople. Die hielten auf uns zu und winkten. Nun muss ich in solchen Fällen den Kapitän informieren , was ich dann auch tat. Der kam auf die Brücke, murmelte „Fischer“ und „fahrn ja noch“ und fuhr weiter !!!! Wir haben diese armen Schweine ihrem höchst ungewissen Schicksal überlassen, indem wir an ihnen vorbei fuhren. Schatz, ich war völlig mit den Nerven fertig. Bei diesem Wetter wäre ein an Bord nehmen dieser Leute völlig risikolos und unsere menschliche Pflicht gewesen.

Ein so menschenverachtendes und skrupelloses Verhalten habe ich ihm nicht zugetraut und ich kann ihn jetzt nur noch verachten. Ich war den Tränen nahe, und du weißt, dass das sehr selten bei mir ist, und habe eine absolute und uneingeschränkte Ohnmacht empfunden, dass ich nichts dagegen tun kann. Ich habe nur noch gebetet, dass diese Menschen nie wieder solchen wie uns begegnen. Gott möge sie vor uns Ignoranten und seelenlosen Wesen schützen. Ich habe eine derartige Unmenschlichkeit auf einem deutschen Schiff, auf dem das Abgeben in einem neutralen Hafen dieser Menschen völlig problemlos ist, einfach

nicht für möglich gehalten. Nun stehe ich vor einer Wahrheit, die ich nicht begreife. Es tut zwar gut, dir das alles zu schreiben, aber eine Rechtfertigung gibt es nicht. Ich bin nur froh, dass du mir zuhörst und mitfühlst, denn du kennst mich am besten und wirst versuchen, diese Bürde von mir zu nehmen. Aber das wird nicht gehen. Denn dieses Erlebnis hat sich so tief eingebrannt, dass ich in Hamburg abmustern werde oder um eine Ablösung für dieses Schiff bitten werde. …................. Mich hat dieser Brief heute wie damals ziemlich aufgewühlt. Diese Episode kann

man natürlich nicht mit dem heutigen Problem vergleichen, doch ich wollte, dass ihr euch mal an die damalige Zeit zurück erinnert. Da war dieses Problem auch ganz aktuell.

0

Hörbuch

Über den Autor

Brigitte

Leser-Statistik
7

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
KaraList Es gab einmal eine Zeit in der es ehrenvoll war, Schiffbrüchige bzw. Menschen, die in Seenot geraten waren, zu retten. Die Frage, warum sie in diese Situation geraten sind, wurde erst später gestellt. Das liegt mehr als ein Jahrhundert zurück.
Unannehmlichkeiten mit der Reederei oder den Hafenbehörden gehen die Kapitäne gern aus dem Weg.
Der Brief beschreibt eine bestürzende Situation. Leider ist sie heute viel zu oft Realität.
Danke, dass wir diesen Brief lesen durften, liebe Brigitte.
LG
Kara

PS: Taschengeld darf ich Dir leider noch nicht schenken ... ich schicke Dir ein paar ****Taler
Vor langer Zeit - Antworten
Brigitte Ich danke dir liebe Kara, dass du meine Geschichte gelesen hast. Ich kann mich genau erinnern, wie bestürzt ich damals war, dass dieser Kapitän so gehandelt hatte. aber da ging es schon ums Geld. Längere Liegezeiten und andere Häfen anlaufen das kostete die Reedereien viel und so machte sich damals auch im Seewesen
die Unmenschlichkeit breit. Vielen Dnak für die Taler mit lieben Grüßen Brigitte
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Dazu könnte man viel schreiben. Der Mensch will einfach nicht begreifen und lernt auch durch Kriege nichts dazu. Leider!

Liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
Brigitte Ja liebe Bärbel, du hast recht. der Mensch ist leider so. Und ich habe das Gefühl im Moment, er wird immer schlimmer. ganz lieben Dank für deinen Besuch bei mir mit lieben Grüßen Brigitte

Vor langer Zeit - Antworten
Loraine Die Menschen lernen oder nicht -
das Leben wie die Zeit offenbart Lernlektionen
Danke für Deinen Beitrag ja Teilhabe der die Gefühle wie
Notsituation - Erfahrung und mehr was darin so deutlich berührt
geschrieben steht.
Bleib gesund
Liebe Grüße
Loraine
Vor langer Zeit - Antworten
Brigitte Vielen Dank liebe Loraine, ich habe es aufgegeben zu hoffen, dass der Mensch noch irgendwann auch aus Notsituationen lernt. Das sehen wir gerade jetzt bei dieser bösen Epedemie. LIebe Grüße zu Dir Brigitte
Vor langer Zeit - Antworten
Enya2853 Liebe Brigitte,
damals, als der Ursprung für die Flucht dieser Boatpeople in den Folgen des Vietnamkrieges lag, hat man sich vielleicht nicht ausmalen können, welche schrecklichen Kriege noch folgen werden, die Menschen veranlassen (müssen) aus ihrer Heimat zu fliehen.
Immer sind es solche Ereignisse des Schreckens.
Sehr berührend der Brief, ich kann die Fassungslosigkeit des 2. Offiziers nachempfinden.
Die armen Menschen im Boot sind doppelter Grausamkeit ausgeliefert.
Eigentlich hat sich nichts geändert. Tragisch. Und immer noch sind es Geld- und Machtgier, denen Menschen geopfert werden.

Danke, dass du uns teilhaben lässt an diesem Brief.
Lieben Gruß
Enya
Vor langer Zeit - Antworten
Brigitte Danke liebe Enya für deine lieben Zeilen. Ich kann mich noch genau an diese Zeit erinnern, als wir immer wieder über dieses Problem in den Zeitungen lasen und für uns an Land es eine Selbstverständlichkeit schien, diese Menschen zu retten. Und wie entsetzt ich war, als ich hörte, dass es auf See doch oft anders gesehen wurde. Da ging es um Fahrpläne, Zeiten und Unannehmlichkeiten die mancher Kapitän nicht auf sich nehmen wollte. Ganz liebe Grüße Brigitte
Vor langer Zeit - Antworten
Memory 
Dramatisch!
Alles wiederholt sich irgendwann und irgendwie, liebe Brigitte.
Liebe Grüße
Sabine
Vor langer Zeit - Antworten
Brigitte Ja genauso ist es. Das kam beim Lesen wieder so richtig zum Bewusstsein. Danke liebe Sabine und liebe Grüße zurück Brigitte
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
12
0
Senden

166046
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung