Marie und das Martinsfest
©Schnief
Der Herbst ist da, wenn der Wind kräftig und böig über die Stoppelfelder fegt, während dieser Zeit wird in den Kindergärten und Grundschulen mit dem Basteln der Martinslaternen begonnen.
Seinerzeit, als Marie ihr erstes Martinsfest im zarten Alter von zweidreiviertel Jahren erlebte, wurde ihr die Martinsgeschichte von ihrer Mutter erzählt:
„Es war einmal ein Soldat, sein Name war Martin. Martin lebte vor vielen
Jahren in dem römischen Reich. In einer bitterkalten Novembernacht ritt er durch die Felder, dort traf Martin auf einen sehr armen Mann. Der arme Mann saß am Rand des Weges und hatte noch nicht einmal eine Jacke an und man konnte sehen, wie er vor Kälte bibberte. Martin hatte aber weder Geld noch etwas zu essen eigesteckt, als er sich auf den Weg machte. Kurz überlegte Martin, wie er dem frierenden Mann helfen könnte. Martin dagegen hatte einen kuschelig warmen Mantel an und unter seiner Soldatenrüstung war so warm, dass er den Mantel eigentlich nicht brauchte, aber sicher der arme Mann. Martin hielt sein Pferd an und stieg ab, dann nahm er
sein Schwert, teilte den Mantel in der Mitte durch und schenkte dem Mann eine Hälfte des Mantels. Der arme Mann wollte sich noch bedanken, aber Martin stieg schnell auf sein Pferd und ritt im Galopp davon.
In der nächsten Nacht hatte Martin einen Traum, indem er jemanden sah, der den halben Mantel trug, welchem er dem Bettler gegeben hatte. Dieser Jemand dankte Martin für diese gute Tat.
Seit dieser Nacht und diesem Traum war nichts mehr wie zuvor, Martin glaubte nun an Gott und ließ sich taufen. Dann trat Martin aus dem Militär aus, um Priester zu werden. Er lebte fortan ganz alleine und betete viel. Es war ihm egal,
dass sein Zuhause nicht mit schönen Möbeln ausgestattet war oder dass er nichts besaß – das alles brauchte er nicht mehr. Wenig später gründete er zwei Klöster. Dort traf er viele Menschen, die auch so leben wollten wie er. Auch sie wollten ein einfaches Leben im Gebet und ohne Besitztümer haben. Viele Leute fragten Martin nun um Rat, wenn sie Probleme hatten.
Einige Jahre später brauchte die Stadt, in der Martin lebte, einen neuen Bischof. Die Menschen waren sich schnell einig, dass Martin der neue Bischof von werden sollte. Alle kannten und bewunderten ihn. Martin aber mochte sein Leben in der Einsamkeit, außerdem war er sich
nicht sicher, ob er ein guter Bischof sein könnte. Deshalb versteckte er sich in einem Gänsestall vor den Menschen, die ihn zum Bischof machen wollten. Aber die Gänse schnatterten so laut, dass sie Martin am Ende verrieten. So wurde er doch gefunden und zum Bischof geweiht.“
Marie lauschte den Worten ihrer Mutter begeistert.
Damals lebten sie in einer Kleinstadt mit verschiedenen Ortsteilen, so wurde der Martinszug wurde von der Dorfgemeinschaft für den Kindergarten und der ansässigen Grundschule organisiert.
In der Woche vor dem Martinszug bastelte Marie gemeinsam mit ihrer Mutter eine kleine Laterne, dabei wiederholte die Mutter die Geschichte und Marie stellte viele Fragen.
Die Martinsfeier begann mit einem Gottesdienst in der Kirche und die Schüler der Grundschule spielten die Geschichte von St.Martin während des Gottesdienstes vor.
Mit weit aufgerissen Augen und einer offenen Mund verfolgte Marie das Spiel. Kurz vor Ende des Gottesdienstes trat St. Martin mit einem roten Mantel, einem goldenen Helm und einem Schwert hinein und die kleinen Kinder staunten genau wie Marie. Durch die offene Kirchentür
hörte man schnatternde Gänse.
Verwundert und mit roten Wangen schaute Marie ihre Mutter mit großen Augen an. Danach sprach der Pastor noch einige Worte und alle verließen die die Kirche. Auf dem Platz vor der Kirche versammelten sie sich.
„Mama, wo ist das Pferd von St. Martin?“, fragte Marie aufgeregt.
„Da hinten, er besteigt gerade sein Pferd“, antwortete die Mutter ihr und zeigte mit der Hand in eine Richtung.
„Ich kann St. Martin aber nicht sehen“, maulte nun Marie herum. Daraufhin nahm die Mutter sie auf den Arm.
Keine zwei Minuten später drängten die Menschen sich etwas zusammen, um eine
Gasse zu bilden, damit der reitende St. Martin sich an die Spitze des Festzuges setzen konnte. Rasch reihten sich der Kindergarten und eine Musikgruppe hinter dem reitenden St. Martin, doch da begann Marie auf dem Arm der Mutter zu zappeln. Sie hatte die Gänse auf einem Bollerwagen erblickt.
„Ich will die Gänse streicheln“, schrie Marie ihrer Mutter ins Ohr.
„Nach dem Umzug darfst du zu den Gänsen“, antwortete die Mutter und stellte Marie auf das Kopfsteinpflaster, doch die Mutter ließ aber Hand nicht los, so sehr sie sich auch zerrte.
Die Musik setzte ein und der Zug setzte sich in Bewegung. Mit lauter
hingebungsvoller Stimme sang Marie wie alle Kinder „St. Martin, St. Martin, ritt durch Schnee ... " und hielt voller Stolz ihre selbst gebastelte Laterne.
Einige Zeit später scherten die Gänse aus dem Laternenzug aus. Als Marie mit der Mutter dort vorbeikamen, gingen beide dort hin und Marie durfte die Gänse streicheln. Da es inzwischen doch recht spät geworden war, machten sich Marie mit ihrer Mutter auf den Heimweg.
Die anderen Kinder mit den Laternen waren inzwischen weiter zum Martinfeuer gezogen. Nachdem die Kinder dort noch das Martinfeuer
bewundert und einige Lieder gesungen hatten, teilte der Martin, der dafür extra von seinem Pferd gestiegen war, jedem Kind einen Martinsweck. Die größeren Kinder machten sich auf dem Heimweg, doch bei jedem Haus an dem sie vorbeigingen, klingelten sie, sangen ein Martinslied und erhielten Bonbons, Mandarinen oder Äpfel.