Kurzgeschichte
Darf ich bitten

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"Zug, Schritt, Zigarette"
Veröffentlicht am 03. Oktober 2020, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Zug, Schritt, Zigarette

Darf ich bitten

Darf ich bitten?

Schon wieder einmal hat die Bahn Verspätung. Mein Gesicht spiegelt sich

in den Scheiben, draußen ist es bereits dunkel. Ich sehe die Menschen

auf der anderen Seite des Ganges. Einige lesen, andere schlafen. Ein

Pärchen küsst sich hingebungsvoll. Der Zug fährt in die Haltestelle ein.

Leute steigen aus, neue ein. Ein Mann mit akkurat sitzender Frisur, sein

dunkles Haar ist silbern durchwoben und glänzend, spricht den Zugführer

an. Ich verstehe nicht worüber sie reden. Der Mann zündet sich nervös

eine Zigarette an. Schützend hält er die linke Hand vor die Flamme. Er

stößt kleine weiße Ringe aus seinem Mund und wieder zieht er an dem

Stängel. Auf ein Zeichen des Zugführers hin lässt er die Kippe fallen,

rutscht ein paar Mal mit dem Fuß darüber, dann betritt er den Zug.

Ich kenne ihn. Es ist Jahre her. Er trägt noch immer einen Anzug, doch

heute wirkt er schäbig. Seine Ausstrahlung ist trotzdem elegant wie eh

und je. Ich sehe ihn noch vor mir.

Vor, vor, Wiegeschritt.

Schwarze Hochglanz polierte Schuhe.

Rück, Seit`, Schluss. Lang, lang, kurz, kurz, lang.

So habe ich seine Stimme noch im Ohr. Damals hatte er keine

Bartstoppeln. Ich vergötterte ihn, hätte was dafür gegeben nur einmal in

seinen Armen zu liegen.

Slow, linker Fuß geknickt, slow, Haltung nach vorn, Valentino.

Ja, Valentino benannt nach der Positur. Seine tiefschwarzen, fordernden

Augen wirken heute nervös.

Trotzdem sein Gesicht ist nach wie vor geradezu aristokratisch.

Quick, quick, slow.

Du siehst müde aus. Damals war das anders. Sie, die blonde Schönheit,

wenn sie den Raum betrat, brachte sie das Feuer in deinen Augen zum

Lodern. Ich sehe es noch vor mir. Sie kam mit einem eleganten

Hüftschwung, ihr Kopf mit dem Haarknoten am Hinterkopf bog sich

herausfordernd nach hinten. Die Geige ertönte, schön und einfühlsam und

dennoch in einem harten Takt.

Schwungvoll schleuderst du dein Jackett in die Ecke. Dein Hemd ist weit

geöffnet, einige Brusthaare sind sichtbar. Sie hebt die Arme und winkelt

ein Bein an, fast wie zum Sprung. Der Schlitz in Ihrem roten Kleid ist

gewaltig, atemberaubend. Ihr Fuß sinkt zurück auf den Boden, sie dreht

sich schnell einige Male um sich selbst um dann in deine Arme zu

gleiten. Zwei kurze Schritte, einer langsam. Beide geht ihr in die Knie

mit einem langgestreckten Bein. Deine Hand liegt auf ihrem Rücken. Eine

Locke fällt dir in die Stirn. Sachte, eng aneinander geschmiegt richtet

ihr euch auf, entfernt euch durch einige Drehungen. Mit exakten

hüftdrehenden Bewegungen nähert ihr euch. Eine Hand der Schönen liegt

auf deiner Brust, du reißt ihren Körper an dich, ihr Bein schlingt sich

um deinen Körper. Ihr seht euch in die Augen. Ihre Hüfte dreht sich

auffordern hin und her während ihr Bein locker und dennoch absolut

korrekt im Takt schwingt. Der Geiger setzt den Bogen auf die Saiten,

behände zieht er ihn darüber.

Regen klatscht gegen die Zugfenster. Die dicken Tropfen rollen herunter.

Haltestelle. Aussteigen, einsteigen. Du wirkst nervös, nestelst an

deiner Zigarettenpackung. Die Türen schließen. Die Regentropfen fliehen.

Quick, quick, slow.

Fast bilde ich mir ein meine Füße klopften den Takt.

Der Kragen deines Hemdes ist ausgefranst, es hat wohl schon bessere Tage

gesehen. Die Hände versinken tief in deinen Taschen. Mit gesenktem Kopf

bist du lässig an die Abteilwand gelehnt. Es scheint fast du schläfst.

Eins, zwei Wiegeschritt. Blick in die Augen, Kopf nach rechts, Wangen

dicht aneinander.

Das monotone Geräusch des Zuges ermüdet auch mich. Damals hielt mich die

Eifersucht wach. Unbegründet. Wir hatten nichts gemeinsam. Du hast mich

nicht einmal gesehen. Verständlich. Ein Lächeln huscht über meine

Lippen, bei der Vorstellung ich wäre an ihrer statt gewesen. Ein

scharfer Ton zieht durch das Abteil. Die Bremsen quietschen. Der Zug

fährt in den Bahnhof ein. Es regnet nicht mehr, nur ein paar einsame

Tropfen bahnen sich ihren Weg über die

Scheibe. Die Räder drehen

langsamer, der Zug kommt zum Stehen.

Menschen drängen sich zur Tür, auch du. Schon längst steckt wieder eine

Zigarette zwischen deinen Lippen.

Quick, quick, slow.

Ich weiß nicht woher ich den Mut nehme, doch ich sage einfach:

„Entschuldigung, darf ich bitten? Könnten Sie mir helfen? Mein Rollstuhl

passt so schlecht über die Stufe.“

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IDee2000

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Brubeckfan Sehr gut beschrieben!
Tja, wer in seinem Körper zu Hause ist und mit seinen Gliedmaßen so umgehen kann...
Viele Sonntagsgrüße,
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
Gast 
"Darf ich bitten..."
Selbst ich als professioneller Rollifahrer
schreibe an leidenschaftlich gelebten Tanzgeschichten...
Die deine hat mir indes gut gefallen... ...smile*
Leider kann ich im Moment nur ein virtuelles ♥ vergeben... ...smile*
Aber sollte Dich meine Tanzgeschichte interessieren,
dann empfehle ich Dir diese hier... ...smile*
https://www.bookrix.de/_ebook-louis-bleistift-die-stillschweigende-tangotaenzerin/

LG
Louis :-)
Vor langer Zeit - Antworten
IDee2000 Danke für Deinen Kommentar. Auf Deine Tanzgeschichten bin ich gespannt.
Beste Grüße
IDee
Vor langer Zeit - Antworten
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