Vorwort:
Für die Schreibparty 85 heißt das Thema Königreich, in der Epoche des Mittelalters. Alles, was das Königreich anschneidet, kann thematisiert werden. Ob es sich z.B. um den Hofnarren dreht, einer Prinzessin, einem gemeinen Attentat, einem "Robin Hood" oder sonst noch was, das in diese Richtung geht. Passend zu dieser Thematik werden 9 Worte vorgegeben, die sinnvoll in die Beiträge eingebaut werden können (dann werden sie bei der Beurteilung honoriert), aber nicht müssen.
Die Vorgabewörter: Adel, Pest, Vasall, Glöckner, Burg, Tautropfen, Habseligkeit, Hoffnungsschimmer, Narr.
Im nachfolgenden Beitrag „Der alte Ritter“ sind - um der Jury das Nachzählen zu erleichtern - diese 9 Worte kursiv hervorgehoben.
Der alternde Ritter will’s noch einmal wissen,
es lenzt und die Frühlingsgefühle sind da.
Wie gern würde er jene Maid nochmals küssen,
die er schon seit ewiger Zeit nicht mehr sah.
Zur Herrin des Herzens hat er sie erkoren,
und sie ihn als Zeichen der Liebe geküsst.
Doch bald hat er sie aus den Augen verloren,
nicht ahnend, wie sehr er sie später vermisst.
Er ist zwar nur Ritter von niedrigem Adel
und Burgherr in einem verfall'nen Kastell.
Als Rittersmann blieb er jedoch ohne Tadel
und drückte sich niemals vor einem Duell.
Er geht in den Keller, die Rüstung zu suchen,
in ihr war er einstmals ein strahlender Held.
Sein Suchen geht über in gottloses Fluchen,
die Rüstung ist nämlich voll Rost und zerdellt.
.
Das lederne Wams ist zerfressen von Mäusen,
was übrig ist, modert und duftet recht streng.
Doch nichtsdestotrotz quält er sich in das Eisen,
Dies zeigt sich jedoch überall als zu eng.
Energisch und mannhaft negiert er die Schmerzen,
es drängt ihn, die Jungfer bald wiederzuseh’n.
Er trägt noch ihr seliges Lächeln im Herzen:
Voll argloser Unschuld und engelsgleich schön.
Nun ruft er nach Sancho, dem steinalten Diener,
jahrzehntelang war er sein treuer Vasall
(als Glöckner zu alt, hütet er jetzt die Hühner).
Ihn schickt nun der Ritter geschwind in den Stall.
Dort sattelt er Rosi, die klapprige Mähre,
die hier schon seit Jahren ihr Gnadenbrot frisst.
In Hinblick auf Ritters gewaltige Schwere
hilft er ihm aufs Pferd, dem bereits bange ist.
.
Kaum sitzt der im Sattel, beginnt das Schlamassel:
Er gibt ihr die Sporen auf Schritt und auf Tritt,
die Rüstung stimmt ein mit Gequietsch und Gerassel,
der Gaul jedoch kommt permanent aus dem Schritt.
Mit Habseligkeiten schon schwerbepackt reitet
Freund Sancho treu hinter dem Ritter einher.
Da sieht er wie der sich zum Kampf vorbereitet:
Ihm ahnt, dies wird wieder ein arges Malheur.
„Du Narr, willst Du wieder mit Windmühlen streiten?“
ruft Sancho dem tapferen Rittersmann zu,
der kontert: „Halt's Maul und beschränk Dich aufs Reiten!
Der Feldherr bin ich und der Hanswurst bist Du.“
Die Windmühlen war'n ihm schon immer ein Grauen,
er schasste und hasste sie mehr als die Pest.
Er wurde von ihnen schon öfters verhauen,
doch heute will er auf das Siegerpodest
.
Als ewige Null hat er kein Hoffnungsschimmer
dereinst im „Himmel der Helden“ zu sein.
Im Gegenteil: Jedesmal wird's immer schlimmer,
denn Häme und Spott sorgt für Schande und Pein.
Drum will er heut unter den Windmühlen wüten,
mit Sancho im Zangengefecht attackier’n.
Doch zwangsläufig endet der Feldzug in Frieden,
denn Rosi kann schlechtweg nicht mehr galoppier’n.
Zudem reiten sie ja im Dienste der Minne,
für weitere Händel bleibt keinerlei Zeit.
Die Liebe beansprucht des Kavaliers Sinne,
zur Herzallerliebsten ist’s nun nicht mehr weit.
* * *
Sie hört schon von fern ein horrendes Geschepper,
als näherte sich ein gewaltiges Heer.
Dann sieht sie, da lärmt nur ein einziger Klepper,
und schließlich erkennt sie, wer kommt: Es ist ER.
.
Der Ritter, nach dem sie sich jahrelang sehnte,
der damals ihr Herz und den Brautkuss errang,
an den sie stets glaubte im Lauf der Jahrzehnte,
für den sie sich aufhob - welch Wunder, wie lang!
Sie rafft ihre Röcke und läuft ihm entgegen,
mit strahlenden Augen und jauchzend vor Glück.
Dies Bild heller Freude schürt Ritters Erregen
und bringt ihm die Sturmflut- und Drangzeit zurück.
Voll Heißblut will er auf sie zu galoppieren,
euphorisch voll Liebes- und Kampfleidenschaft.
Er gibt seiner Mähre die Sporen zu spüren,
doch Rosi ist völlig am Ende der Kraft.
Sie hopst ein paar Schritte, dann bricht sie zusammen
und bringt ihren wackeren Reiter zu Fall.
So endet der Ritt mit Geschepper und Schrammen,
mit Kratzern und Blutungen allüberall.
.
Nun liegt er im Staub mit gebrochenen Rippen,
doch nicht nur sein Leib, auch die Seele ist wund.
Da fühlt er zwei herzwarme, samtweiche Lippen
liebkosend und zart auf dem sprachlosen Mund.
Er öffnet die Augen und sieht sein Vielliebchen -
gealtert, doch immer noch märchenhaft schön.
Ihr Lächeln mit diesen zwei reizenden Grübchen
lässt wundersam all seine Schmerzen vergeh’n.
WieTautropfen, die sanft zu Tränen zerfließen,
so unbewusst weint sie aus Glückseligkeit.
Wie gern würde er sie durch Küsse versüßen,
doch regungslos ahnt er das End' seiner Zeit.
Und dennoch beherrscht Glücksgefühl seine Sinne,
ihr Kuss mundet köstlich, wie Honig so süß.
Beseelt und letztendlich am Ziel seiner Minne
entschwebt er geradewegs ins Paradies.
So endet durch tragische Fügung sein Leben -
zwar traurig, doch ihn hat sein Los nicht gereut.
Im Dienst hoher Minne sein Leben zu geben
empfand er als Krönung der Ritterlichkeit.
* * *
* * *
Er lebte - so lehrt die Moral der Geschichte -
beherzt seinen Traum, als er selig entschlief,
und machte ihn nicht - wie Quichotte - zunichte,
der - Gott sei's geklagt - seinen Traum widerrief.*
Anmerkung:
* Am Ende des 2. Bandes erkrankt Don Quichotte an Fieber. Auf dem Totenbett erkennt er den Unsinn der Ritterromane und beklagt, dass ihm diese Erkenntnis so spät gekommen sei.