Türen knallten, Tränen rollten, das Geschrei war meilenweit zu hören. So extrem hatten wir uns zuvor noch nie gestritten. Aber welcher Vater würde nicht aus der Haus fahren, wenn seine fünfzehnjährige Tochter zu ihm kommt und ihm gesteht, das sie schwanger ist. Der Regen fiel in Strömen. Leicht begleitet joggte ich durch die Nacht. Keine zehn Meter, war ich nass, bis auf die Haut. Ich fluchte vor mich hin. Verfluchte Gott, weil er meine Frau zu früh zu sich geholt hatte und es zugelassen hatte, das irgendein Vollproll meine kleine Tochter schwängert.
Verfluchte mich, weil ich gedankenlos gehandelt hatte. Ich war, wie meine Eltern gewesen. Meckern, motzen, maulen, anstatt sich in Ruhe hinzusetzen und darüber zu reden. Ich war heilfroh, das ich wenigsten meine Hände unter Kontrolle gehabt hatte. Meine Eltern hatten schnell mal zugehauen. Die Erinnerungen daran lösten langsam meinen Zorn in Rauch auf. Zumindest, was meine Tochter anging. Dafür verfluchte ich meine Eltern, weil sie so waren, wie sie waren; Aufbrausend. Oft erhielt ich eine Ohrfeige und wusste nicht wofür. Dann wurde ich auf mein Zimmer geschickt, wo ich dann darüber nachdenken sollte. Über was? Was hatte
ich falsch gemacht. Oder hatte ich was falsches gesagt? Ich lag dann auf meinem Bett, weinte vor Schmerz und Unwissenheit. Meist schlief ich dabei ein. Damals durften Eltern ihren Kindern noch einen Klaps geben. Es gab keine Gesetze, die das verboten. Und meine Eltern hatten es von ihren Eltern nicht anders gelernt. Völlig durchnässt und aus der Puste, schlüpfte ich aus meinen Klamotten, direkt unter die Dusche. Das heiße Wasser vertrieb die Gedanken an meine Eltern und deren überholten Erziehungsmethoden. Frisch geduscht und in mein Bademantel
gehüllt, schlich ich mich ans Zimmer meiner Tochter. Ich horchte an der Tür und vernahm ein leises winseln. Leise klopfte ich an und fragte, ob ich hereinkommen dürfte, um mit ihr, in Ruhe und vernünftig über die Sache zu reden. Eine lange Pause entstand. Als ich schon glaubte, das sie sich nicht rühren wird und ich mich zurückziehen wollte, öffnete sie zögernd die Tür. „Wirst du wieder schreien?“, fragte sie kaum hörbar. „Ich war gerade joggen. Mein Zorn ist verraucht.“, versicherte ich ihr. Ein paar Minuten später saßen wir gemeinsam in der Küche und tranken
Kaffee. „Warum habt ihr nicht verhütet?“, war meine erste Frage. „Die Pille vertrag ich nicht. Wir haben ein Kondom benutzt. Es kann sein, das wir es beim Auspacken beschädigt haben. Wir waren erregt und haben die Packung quasi brutal aufgerissen.“ Wir redeten lange und ausführlich darüber. Riefen sogar ihren Freund an, der an der Misere mit Schuld hatte. Zu meinem Erstaunen stand er dafür gerade. Dann sprach ich noch kurz mit seinen Eltern darüber, die zwar nicht glücklich darüber waren, aber voll zu und hinter ihrem Sohn standen. Mir blieb nichts anderes übrig, als am gleichen Strick zu
ziehen. Ich liebte meine Tochter und sie ihren Freund. Beide dachten nicht ans Abtreiben, obwohl die meisten Argumente dafür sprachen. Jetzt sitze ich hier und lese meinem Enkel eine Geschichte vor. Aufmerksam verfolgt er meinen Finger, der unter den Zeilen hin und her wandert. Er sieht wirklich süß aus. Ganz die Mama. Besonders wenn er lächelt. Er ist ein Geschenk und macht mich glücklich. Auch wenn ich mich seinetwegen alt fühle. Ich bewundere seine Eltern, wie sie alles im Griff haben. Wie sie Job, Bildung und Erziehung unter einem Hut kriegen. Sie sind zum Elternsein geboren. Uns
Großeltern brauchen sie quasi gar nicht. Wir müssen sie regelrecht dazu zwingen, das sie sich ohne Kind amüsieren gehen.
Nächstes Jahr wollen sie heiraten. Meinen Segen haben sie.