Wandern ... erster Versuch
Es war in den 80er Jahren, da beschlossen mein Mann und ich, aus heiterem Himmel, „Wandervögel“ zu werden.
Wir, die beide in der Großstadt aufgewachsen sind, mit wandern noch nie was am Hut hatten, begannen plötzlich die Natur zu „entdecken“.
Freilich, als Kinder sind wir mit den Eltern oft in der näheren Umgebung spazieren gegangen, aber wandern? Nein, so weit ging die Liebe
nun auch wieder nicht.
Jedenfalls, da es bei uns keine halben Sachen gibt, kauften wir als erstes Wander-Klamotten! Kniebundhosen, Janker, Wanderschuhe und was man halt so braucht. Für mich dann noch einen Rucksack (!). Aber keinen so "neckischen" wie sie später in Mode kamen, sondern einen richtig großen aus Leder. Himmel, was wollte ich mit
diesem Riesending eigentlich transportieren? Einen Rehbock?
Ja und als Krönung von dem Ganzen bekam ich noch einen rustikalen, aus Holz geschnitzten Spazierstock, der unten mit einer Metallspitze versehen war. Aber wehe, man kam damit auf einen gepflasterten Weg, dann hörte es sich an, als käme Kapitän Ahab (aus Mobby Dick) mit seinem Holzbein daher ...
Anmerkung - lt. Wikipedia:
Nordic Walking Stöcke gab es damals noch nicht. Sie wurden erst 1997 produziert, hießen damals noch „Gehstöcke“ und bekamen ihren Namen „Nordic Walking“ erst 1999.
Derart ausgerüstet, starteten wir unsere erste "Wanderung" gleich mal in der "Eng", am
"Großen Ahornboden" im Karwendelgebirge.
Eine wunderschöne Landschaft mit sogar im Sommer verschneiten Bergspitzen. Kühe und Ziegen weideten auf saftigen Wiesen. Es gab einen kleinen Gasthof und ein Alm-Dorf mit acht oder zehn Hütten. Eine eindrucksvolle
Idylle zwischen 1000 und 1400 Metern, wie
man sie selten findet.
Heute? Heute ist es dort dermaßen überlaufen, dass die Gemeinde überlegt, ob man überhaupt mit dem Auto noch hierher fahren darf.
Jedenfalls, nachdem wir die Maut bezahlt hatten, durften wir weiterfahren und kamen nach kurzer Zeit zum „Großen Ahornboden“, einem Naturereignis im größten Nationalpark Österreichs. Denn nur dort wachsen in dieser Höhe Ahornbäume!
Ein einzigartiges Erlebnis.
Himmel, jetzt bin ich doch direkt ganz vom wandern abgekommen – aber jetzt ...
Wir setzten uns kurz auf eine Bank, bissen herzhaft in unsere mitgebrachten Wurstbrote und genossen den grandiosen Ausblick.
Dann schulterte ich meinen Rucksack, nahm
den Spazierstock zur Hand – und los ging`s.
Der Weg, den wir uns ausgesucht hatten sah recht harmlos aus. Wir waren ja jung und würden alles auch ohne „Training“ meistern.
Ja von wegen.
Eine Weile ging ja alles gut. Es ging leicht bergauf durch einen schattigen Wald und wir hatten ab und zu einen wunderschönen Blick
auf die vielen Ahornbäume drunten im Tal.
Aber dann, der Weg wurde immer steiler und steiniger. Wir kletterten über kleinere Felsen, wobei mein Spazierstock eher hinderlich war. Und ich fragte mich ein ums andere Mal, wozu ich denn eigentlich diesen riesigen Rucksack mit mir herumschleppte?
Schließlich kamen wir an einen Punkt, da half uns auch der Humor nicht mehr weiter und
mein Mann ließ seinen Lieblingsspruch los:
„Mei Liaba i moan oiwei, da san ma neitretn“ (Übersetzung in etwa: „ ich meine immer, da haben wir aber Pech gehabt“).
Ja Herrschaftszeiten, wir wollten doch nur wandern und kein „Überlebenstraining“ absolvieren …
Mein Mann ging keinen Schritt mehr weiter
und hockte sich auf einen Stein.
„Jetzt stell dich nicht so an!“ maulte ich und stieg noch ein Stück weiter. Aber dann war
auch für mich Schluss – wir kehrten um.
Dass man sich bergab viel schlechter geht, als bergauf ist ja bekannt und so stolperten wir mehr oder weniger wieder Richtung Tal. Fix
und fertig kamen wir endlich unten an. Mein Gott, wir waren aber auch garnix gewöhnt …
Wir kehrten in einer kleinen bewirtschafteten
Hütte ein und ließen uns Buttermilch, Speck
und Käse schmecken. Es war köstlich und entschädigte uns für alle „Strapazen“ …
Nach dieser Brotzeit bekam mein Rucksack endlich seine „Daseinsberechtigung“, denn wir füllten ihn mit Speck, Käse, je zwei Gläsern Honig und Marillen (Aprikosen)-Marmelade.
Jetzt hatte er wenigstens für seine Größe das richtige Gewicht. Tragen musste ihn halt jetzt mein Mann ...
Frage, hätten wir das nicht eigentlich alles in München kaufen können? Und bestimmt auch billiger - aber was soll`s.
Die Sonne war fast schon am untergehen, als wir den Heimweg antraten und an den Almen
vorbei Richtung Auto gingen. Es herrschte eine ganz besondere Stille am „Großen Ahornboden“. Wir konnten uns dieser Stimmung einfach nicht entziehen. Und so setzten wir uns nochmals auf eine Bank und genossen die Ruhe.
Auf einmal hörten wir, zuerst leise, dann immer
lauter, das Geläut von Kuhglocken. Und dann sahen wir sie auch schon. Nur ein paar Meter von uns entfernt, trotteten – angeführt von der Leitkuh – an die zwanzig, dreißig Kühe (die Ochsen blieben auf der Weide) in Reih und Glied einträchtig hintereinander, zu ihren heimatlichen Ställen um gemolken zu werden.
Nach etwa einer halben Stunde war alles vorbei.
Wir ließen diesen letzten Eindruck on der "Eng" noch eine Zeitlang auf uns wirken und nahmen ihn dann als schöne Erinnerung - bis heute - mit nach Hause.
Resümee: eigentlich sind wir mehr"gesessen", als gewandert, aber das hat sich im Laufe der Zeit geändert. Davon zeugen die Plaketten auf meinem Spazierstock.
Außerdem haben wir schon bald darauf bei einer "Wander-Ralley" den zweiten Platz belegt.
© Text Gertraud Widmann
Bilder Helmut Widmann
31.8.2020