“Send´se froh dass Se widda hier sen?”
So oder ähnlich werde ich begrüßt. Von den Menschen hier. Den Nachbarn in unserer Wohnanlage. Dem Sparkassen-Beamten, der bereitwillig meine Kontodaten ändert. Sogar der Postbote weiß nach drei Jahren noch, wer ich bin und wedelt freudig mit dem ersten Päckchen, das ich an meiner Haustür entgegennehme.
Die Antwort kommt mir leicht über die Lippen. „Ja!“ Und wie!, möchte ich hinzufügen, um sofort die schwere Last der letzten Wochen und Monate in Portland loszuwerden. Denn das waren sie. Unendlich schwer und belastend.
Nach drei Jahren bin ich nun also mit meiner
Familie von unserem Auslandsabenteuer in den Staaten zurückgekehrt. Geplant waren vier. Wenn nicht sogar fünf. Wer weiß, ob wir danach nicht noch länger geblieben wären, an diesem Fleckchen Erde, von dem behauptet wird, es sei die große Ausnahme Amerikas. Portland, Oregon ist anders, denkt anders, lebt anders. Neben ihrer alternativen Kulturszene überzeugt die liberale Stadt mit Fahrradwegen und einem gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehrsnetz. Die Stadt tickt auf eine eigenartige Art und Weise, es geht deutlich gemütlicher zu als an der Ostküste und es gibt einen besonderen Lebensgeist. „Keep Portland weird“, steht dort, an einer Häuserwand und genau das ist es, was viele Menschen anzieht.
Um so schlimmer waren die letzten Wochen und Monate. Trumps fiesen Plan miterleben zu müssen, war eine Qual für mich. Äußerst geschickt hat er sich die Black-Lives-Matters-Proteste zu Nutze gemacht: Man nehme einen Ort wie Portland mit einer durch und durch demokratisch-aufmüpfigen Mentalität, schicke plump agierende Regierungstruppen hin und überlasse den Rest den Medien. Schon wird eine wilde, unbeherrschbare Masse von Abtrünnigen daraus, die man „im Griff“ zu behalten habe. Und wie? Natürlich durch die Regierungstruppen. Schon ist der Teufelskreis vollendet.
Allein der Gedanke an diese aufs Einfachste minimierte (Wahlkampf-)Strategie treibt mir die Tränen in die Augen. Tränen der Trauer,
nicht vom Tränengas.
Denn ich stand nicht mit auf den Straßen von Portland. Nicht in der ersten Nacht der Proteste und auch später nicht. Was mich lange beschäftigt hat.
Denn auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt schon drei Jahre in Amerika gelebt, mir einen größtenteils amerikanischen Freundeskreis aufgebaut und den festen Willen gehabt hatte, das Land nicht nur von außen, als „Expat“ zu erleben, sondern es von innen heraus zu verstehen: Ich habe nicht teilgenommen an den friedlichen Demonstrationen. Die es dort nämlich auch gab und gibt. Auch wenn die Medien es anders darstellen.
Freunde und benachbarte Familien sind hingegangen. Um Stellung zu beziehen. Für
das, was sie doch für die Grundwerte ihres Landes gehalten hatten: Life, Liberty, Pursuit of Happiness.Für alle eben.
Ich aber blieb zu Hause.
Nachmittags hörte ich , wie die Hubschrauber über der Stadt ihre Kreise zogen. Um die beginnenden Hotspots auszumachen, wo sich die Demonstranten trafen. Friedlich, wie gesagt. Es begann immer friedlich.
Nachts bebte die Stadt. Von den Rufen der Menschen. Von der brodelnden Energie, die sich nicht mehr bezähmen ließ und aus dem Sinnhaften irgendwann das Sinnlose machte. Aufruhr, Gewalt – zum Glück vorwiegend „nur“ am Materiellen ausgelassen. Zersplittertes Glas. Tränengas die Antwort.
Gerade war Portland aus dem Corona-Koma erwacht, die ersten Lockerungen sollten eingeführt, Geschäfte wieder geöffnet werden. Da kam die Wut, aufgeheizt durch einen geisteskranken Präsidenten, der das Land doch eigentlich sicher durch schwierige Zeiten führen sollte. Kommt eigentlich kein Land am pathologischen Narzissmus seiner Machtinhaber vorbei?
Mit zunehmender Bestürzung las und hörte ich die Berichte der nächtlichen Ausschreitungen. Während die Frage mich immer noch quälte: Gehörst du nicht auch irgendwie dazu? Solltest du nicht auch Stellung beziehen? Schließlich lebst du hier….
Tagsüber war alles ruhig und wir schlichen
wir durch Downtown. Wurden Zeugen des veränderten Stadtbildes. Verlassene Restaurants, vernagelte Geschäfte. Keine Passanten. Stattdessen immer mehr Zelte auf den Straßen. Ganze Zeltstädte, von Menschen ohne Wohnsitz. „Homeless“, wie sie dort genannt werden.
Die von Corona verursachte Arbeitslosigkeit trieb die Obdachlosikeit nun komplett in die Höhe. Das Problem existierte in Portland schon vorher. Doch nun wurden die Suppenküchen der Lage nicht mehr Herr.
Auf einem unserer Streifzüge setzte sich einer der Homeless auf offener Straße, keine fünf Meter von meiner Tochter entfernt, einen „Schuss“. Der frei zugängliche Drogenmarkt - noch so ein Geschwür, das Portland noch
mehr in die Abwärtsspirale treibt. Nach diesem Erlebnis dann war Downtown für uns erledigt. Noch mehr traumatische Erlebnisse wollte ich meiner Familie nicht zumuten.
Ich setzte keinen Fuß mehr in die Stadt. Dafür machte ich mir um so mehr Sorgen. Um das, was mir Amerika in diesen drei Jahren so bereitwillig gegeben hat: Diese ganz eigene, besondere Lebenseinstellung, die mich gelehrt hatte, mehr nach vorne zu blicken. Wohltuend für eine Kriegsenkelin wie mich, die doch von Kindesbeinen an auf Vergangenheitsbewältigung getrimmt war! Er hat mir gutgetan, dieser Blick. Er hat mich freier gemacht.
Auch dass die Menschen weniger werten und urteilen, hat meine innere Freiheit genährt.
Und die Freundlichkeit! Die hat mich irgendwie lebendiger gemacht. Denn - obwohl mich jeder vor dieser „Oberflächlichkeit der Amerikaner“ gewarnt hat, konnte ich gut damit umgehen. Wenn die Kassiererin im Supermarkt mit mir in einen Dialog über die anstrengenden Essgewohnheiten vorpubertierender Töchter fiel, ging ich nicht davon aus, dass sie eine tiefgehende Freundschaft mit mir schließen wollte. Es war einfach nur nett. Nicht mehr und nicht weniger.
In den letzten Wochen vor unserer Ausreise - bevor wir es endgültig aufgaben, unser amerikanisches Auslandsabenteuer – wurde es mir dann endlich klar: Er war zerplatzt mein Traum. Vom amerikanischen Leben. Von mehr
Freiheit, Glück und, hm, ja, …meiner neuen Identität. Die ich dort wohl irgendwie doch gesucht habe. Zumindest in Ansätzen. Hätte ich sonst mein deutsches Leben so einfach aufgegeben? Hätte ich mich sonst wirklich ernsthaft mit dem Gedanken befasst, noch länger dort zu bleiben?
Doch so eine Identität entsteht nicht einfach so aus dem Nichts. Menschen gehören dazu, die sie nähren, die sie spiegeln. Ein Zugehörigkeitsgefühl -das wollte ich. Ganz unbedingt.
Corona jedoch hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Mich so überdeutlich gelehrt, dass ich als „Expat“, eben doch nur eine Auswanderin auf Zeit war, ausgestattet mit dem Rundum-Sorglos-Paket des
entsendenden Unternehmens. Dass ich nicht im Ausland, sondern irgendwie in einer Zwischenwelt gelandet war.
Mit Homeoffice und Schulschließungen erlosch nämlich das Bisschen „amerikanische Identität“, das ich mir aufgebaut hatte. Meine Freunde zogen sich zurück, in das Leben in den eigenen vier Wänden und den Menschen dort. Ihrer Kernfamilie. Und da gehörte ich nicht dazu. Meine anfänglichen Versuche via Chat und Zoom-Konferenzen zur „Happy Hour“ meine Freundschaften zu erhalten, versickerten im Nichts. Plötzlich waren sie alle weg, die Menschen, die ich doch für mein neues Lebensumfeld gehalten hatten, die mir doch zeigen sollten, wer ich im fremden Land geworden war: Eine von ihnen, ein bisschen wenigstens.
Da ich nun nicht mehr in ihre Augen sehen konnte, fehlte mir auch ihr Nach-Vorne-Gerichtete-Blick. Der Optimismus, der mir doch so gut gefallen hatte in diesem Land. Jetzt zeigte er sein wahres Gesicht, und zwar in jener Form des grausam verzerrten Zweckoptimismus´. Der doch nur ein Ziel hat: Den Menschen den puren Überlebenswillen zu lehren und das in einer äußerst unmenschlichen Gesellschaft. Mit ihrer Hire-and-Fire-Politik, mit einem Gesundheitssystem, das zwar die Elite bedient, die Basis jedoch verrotten lässt.
Survival of the fittest.
Ich erschrak, als mir die Worte kamen. War das der Preis, den man hier zahlen musste?
Am Ende der langen Wochen und Monate der Isolation sind meine Freunde dann doch wieder aufgetaucht. Wir haben wundervolle Nachmittage auf Campingstühlchen im Park verbracht - 6ft voneinander entfernt, wie es sich gehört. Oder sozial verträgliche Gartenpartys für die Kinder veranstaltet. Wir haben es genossen, uns zu sehen, miteinander zu sprechen, uns irgendwie nahe zu sein. Es war fast wie vorher. Nur besser. Unser Zusammensein war irgendwie echter. Vielleicht lag es an mir. Ich habe die Angst und Sorge in den Augen meiner Freunde zu lesen gelernt, die ich vielleicht vor Corona und Portlands´ unruhigen Nächten einfach nicht wahrhaben wollte. Die aber -wahrscheinlich - schon immer dagewesen war. Wenn auch
nicht so im mündlichen Austausch verankert, wie ich als Deutsche es gewohnt bin.
Am Ende habe ich meine Antwort gefunden. Ob nicht auch ich mit auf die Straßen Portlands gehen sollte?
Nein. Irgendwie gehörte ich doch nicht so sehr dazu.
Meine Wahlheimat an der Westküste Amerikas hat mir für knappe drei Jahre mehr gegeben, als ich zu hoffen gewagt habe. Ich lernte meine Träume und Hoffnungen kennen. Meine Stärke, sehr tief in eine fremde Kultur einzutauchen.
Corona hat mir aber auch gezeigt, wo meine Gewohnheiten sind. Und wo ich mich sicher und geborgen fühle, wenn es mal hart auf hart kommt.
„Send Se froh, dass Se widda hier sen?“
Ja. Ich bin froh. Und erleichtert. Die Erde unter meinen Füßen bebt nicht mehr. Das tut mir gut.
Aber ich bin auch unendlich traurig. Es ist, als wäre ein Teil von mir auf den grünen Hügeln Oregons geblieben. Für immer.
Doch das behalte ich für mich. Denn auch hier wollen die Menschen meist keine näheren Ausführungen auf ihre Fragen.
Wie die Amerikaner, die auf das „How are you“ auch nicht mehr als ein Wort hören wollen.
So groß sind die Unterschiede dann wohl doch nicht…..