Romane & Erzählungen
Über uns die Sterne

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"Den Traummann zu treffen ist möglich. Wenn auch nur mit einem Gummistiefel."
Veröffentlicht am 25. Juli 2020, 72 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
© Umschlag Bildmaterial: Koufax73 - Fotolia.com
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Über den Autor:

Verträumt verwirrt und immer zu spät. Nie da wo ich sein soll und meist nicht da wo ich sein will.
Den Traummann zu treffen ist möglich. Wenn auch nur mit einem Gummistiefel.

Über uns die Sterne


"Und sobald du die Antwort hast

ändert das Leben die Frage"

- Unbekannt

Prolog - Es Gibt kein schlechtes Wetter, Nur schlechte Pyjamas.

Und wer hätte es gedacht. Er steckt fest. Einen energischen Wutschrei später schaffe ich es, meinen Gummistiefel zumindest ein paar Millimeter aus dem Matschloch herauszuziehen, in welches ich mich erfolgreich und irreparabel hineinmanövriert habe. Nur noch ein paar Milimeter... Fast gescha – PLATSCH. Im hohen Bogen fliegt mein neongrüner Gummistiefel über meinen Kopf hinweg davon und eine geballte Ladung Matsch klatscht mir mitten ins Gesicht. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll.

Dann drehe ich mich um, um meinen Gummistiefel aufzuheben, nur um festzustellen, dass direkt neben meinem Gummistiefel ein Mann hinter mir liegt. Liegt, so wie in bewusstlos. Wie in „Durch meinen Wurf-Geschoss-Gummistiefel ausgenockt.“. Ich sehe schon die Todesanzeige in der Zeitung vor mir „Anna M. aus Weinheim tötet mutwillig Passanten mit hässlicher Fußbekleidung“. Wahrscheinlich war der Mann ehrenamtlich tätig. Rettet Seerobbenbabys in der Arktis und war hier nur zu Besuch bei seiner pflegebedürftigen Großtante Emma, welcher er gerade einfach nur eine neue

Salbe für Ihre Hühneraugen kaufen wollte. Und nun liegt er hier. Getötet von meinem Gummistiefel. Ich weiß noch immer nicht ob ich lachen oder weinen soll. In dem Moment als ich (zugegeben – mit nicht allzu hoher Reaktionszeit – aber was soll ich sagen, ich stand unter Schock) auf den armen Mann zurennen und ihm helfen will stelle ich fest, dass inzwischen auch mein zweiter Fuß samt Gummistiefel im Matsch feststeckt. Klasse. Toll gemacht Anna.Diesmal entscheide ich mich also für weinen.

30 Minuten vor dem mutwilligen anschlag auf den seerobbenbaby retter

„ICH. BRING. DICH. UM“ schreit meine Schwester Ramona. Scheinbar liegt der Tötungstrieb bei uns in der Familie. Ihr rosa Turnschuh trifft mich am linken Arm. „HEE! Aua!“ rufe ich. Und offensichtlich liegt auch die Schuh = Wurfgeschoss Methodik bei uns in der Familie. Ich muss lachen, weil mir im selben Moment auffällt, dass Mama auch immer mit einem X-Beliebigen Schuh nach mir geworfen hat, wenn ich mal wieder was angestellt hatte oder wie gewohnt in Mathe durchgefallen bin. Danach mussten wir dann aber immer

beide lachen weil ihre Hand-Augen-Koordination quasi nonexistent war und sie andauernd daneben geworfen hat. Und der menschlichen Anatomie sei Dank war nach zwei Füßen und demnach zwei Schuh-Wurfgeschossen dann auch Feierabend. „BLEIB STEHN DU VERRÄTERIN“ reißt mich Ramonas Schrei wieder zurück auf den Boden der Tatsachen. Beziehungsweise buchstäblich den Boden – Fußboden – denn inzwischen hat sie mich erfolgreich eingeholt und auf den Boden niedergetackelt. „Ich kann das erklären Ramona – ich schwörs!“ presse ich gequält hervor. Ich liege auf dem Rücken und sie sitzt auf mir. Da ich schon immer

die zierlichere war, weiß ich, was das heißt – Ausbruch unmöglich. Ramona lacht laut auf. Es ist ein fieses Lachen. Keins von der guten Sorte. „Na dann bin ich ja mal gespannt, wie du mir erklären willst, warum zum Teufel du Tim eine Honigfalle gestellt hast.“ Sagt sie und schaut mir dabei so tief in die Augen wie es nur die eigene Familie kann. Und man weiß man ist aufgeschmissen, egal was man jetzt sagt. „Honigfalle?“ stelle ich mich dumm. „Ja. Honigfalle. Oder wie willst du es sonst nennen, wenn du versuchst, MEINEN Tim von einer Fremden verführen zu lassen?!“ brüllt sie mir ins Gesicht. Zu Ramonas Verteidigung muss man

sagen, dass sie eigentlich ein sehr ruhiges und liebes Wesen hat - wenn man nicht gerade versucht, ihrem Freund besagte Honigfalle zu stellen. Zu meiner Verteidigung muss man allerdings sagen, dass Tim einfach ein Arschloch ist. Ok –bisher hat er noch nichts angestellt. Zumindest kam noch nichts davon ans Tageslicht. Ich bin mir sicher, dass er Dreck am Stecken hat. Oft genug sehe ich seine Blicke auf mir oder auf dem Arsch einer X-beliebigen Kellnerin. Es war doch nur eine Frage der Zeit, bis er Ramona betrügen würde. Aber mir reicht das als Indiz, um nach meiner Schwester zu sehen – sie zu beschützen. Sie hat einfach was Besseres

verdient. Er behandelt sie mittelmäßig gut – aber auch nur dann, wenn ihm gerade danach ist. Besonders nett ist er natürlich immer dann, wenn er was braucht. Romantisch war er noch nie – und Mädels, seien wir mal ehrlich: Wir alle brauchen Romantik. Ich weiß wir tuen gern neumodern und emanzipiert a la „Ich brauch keine feste Beziehung. Nur meine Manolo Blanics und gelegentlich nen guten Fick“. Ja, und dann sitzen wir heulend auf der Couch, fressen (essen kann man das in dem Stadium nicht mehr nennen) einen halben Liter Ben&Jerrys, schauen Bridget Jones und heulen. Oder noch besser, schauen am Stück volle vier Staffeln Jane the

Virgin auf Netflix und heulen mindestens so oft wie die Protagonistin. Wir brauchen Romantik. Wir brauchen den Mann der uns mit seinem schiefen Lächeln zum Schmelzen bringt. Dessen fester Griff an unserer Hüfte uns in Wallung bringt. Der uns ausführt und uns dabei stolz seinen Freunden präsentiert. Der uns Rosen kauft und in der Wohnung einen viel, viel zu kurzen Liebesbrief hinterlässt, den wir dann wieder und wieder und wieder lesen, bis das Papier ganz abgegriffen ist. „Ramona – ich vertraue Tim einfach nicht.“ sage ich schließlich, nach einer viel zu langen Pause und halte ihrem durchbohrenden Blick stand. „Und dann

kannst du nicht einfach mit mir reden?!“ sagt sie vorwurfsvoll. Ihre Augen funkeln bedrohlich und ihr Knie bohrt sich unangenehm in meine Seite. „Das hab ich doch versucht, Mona. Wie oft hab ich dir gesagt „Tim hat wieder einer hinterher geschaut“ oder „Tim hat mir zugezwinkert wenn ich mich gebückt habe, um die Spülmaschine auszuräumen“. Und du weißt, dass er ein Playboy war. Und ist. Neulich erst. Da hat eine auf seinem Instagram kommentiert, wie heiß er ist und er hat direkt drunterkommentiert, das“ „Jetzt stalkst du auch schon sein Instagram?!“ fällt sie mir ins Wort. Ich seufze, zeitgleich nutze ich ihren Moment der

Ablenkung und setze mich mit einem gekonnten schwung hin. Sie sitzt nun auf meinem Schoss. Wie ein zorniges Kleinkind. Ich bin kurz geneigt hoppe hoppe Reiter zu sagen, allerdings würde ich den nächsten Tag noch gerne erleben und mein Testament hab ich auch noch nicht geschrieben – irgendwem muss ich immerhin meine Schulden hinterlassen. „Darum geht hier gerade nicht“ verteidige ich mich. „Stimmt, es geht darum, dass du meinem Freund nachstellst und ihm kindische Fallen stellst.“ Sagt sie dann und richtet sich auf. Ich lege meine Hand auf ihr Knie und schaue sie besorgt an. „Mona ich will doch nur das Beste für dich. Ich will

einfach nicht, dass sich die Geschichte wiederholt“ sage ich sanft und spiele damit auf ihren Ex-Freund Nathan an, der sie nach dreieinhalb Jahren scheinbar glücklicher Beziehung auf dem Oktoberfest mit der großbrüstigen Bruenette vom Luftballon Schieß Stand betrogen hat. Liebe ist wahrlich ein Glücksspiel. Sie war ein ganzes Jahr lang wie gelähmt. Zog sich völlig zurück. Ihr Herz war gebrochen und ich war gottfroh, als sie nach dem langen Jahr freudestrahlend im Schneidersitz auf meinem Bett meinte „Anna – ich hab jemanden kennengelernt“. Es war einfach so schön, sie endlich wieder lächeln zu

sehen. Wäre es doch nur nicht Tim gewesen, den sie da kennengelernt hatte in der verrückten Nacht in der verrauchten Discothek in der Nachbarstadt Grillingen. Ramona deutet mir mit ihrem Blick, uns auf die Couch zu setzen. Die weiße Couch mit dem bunten Blumenprint steht inmitten des geräumigen, gemütlichen Wohnzimmers. „Anna, ich weiß sehr gut selbst auf mich aufzupassen. Darüber, dass Nathan ein Wichser war müssen wir nicht diskutieren, das ist mir klar. Aber das hat nichts, ich wiederhole, NICHTS mit Tim zu tun. Er würde mir das nicht antun.“

Ich hole gerade Luft zum Konter aber sie lässt sich nicht unterbrechen „und ich weiß, dass du es nur gut meinst. Aber du hättest damit meiner Beziehung schaden können. Tim kam direkt zu mir und hat es mir gesagt – du liegst also falsch mit deiner Verschwörungstheorie.“ Ergänzt sie und sieht mich direkt an. Ich nicke, doch innerlich schreie ich „BIST DU BLIND?“. Ich bin mir sicher, dass Tim den Braten gerochen hatte. Sonst wäre er auf Nina reingefallen. Ramona zuliebe sage ich dann aber nichts, außer „Es tut mir leid.“ Gefolgt von Stille. Ramonas Zorn scheint verflogen und sie lächelt fast. Ok, ihr Mundwinkel zuckte nur leicht – aber das reicht mir vorerst.

„Aber ein bisschen witzig wars schon“ sage ich dann lachend und sie stimmt mit ein. So sah ich sie am liebsten. Lachend. „Du hättest sehen sollen wie er geguckt hat als Nina dann echt“ „Genug davon“ unterbricht sie mich. Muss aber noch immer grinsen. „Ich hab für heute genug davon gehört.“ Sagt sie dann, klatscht sich auf die Schenkel und steht mit einem Ruck von der Couch auf. „Na dann werd’ ich mal in mein Zimmer zurück gehen?“ sage ich dann, stehe ebenfalls auf und laufe auf meine Zimmertüre zu. „... In Tiefer Reue natürlich“ ergänze ich, als ich sehe wie sie ihre Augenbrauen verzieht. „Denkst du wirklich, dass du mir so leicht davon

kommst?“ lacht sie. Ich wusste, die Sache hatte einen Haken. Ich seufze dramatisch. „Das Selbe wie immer?“ frage ich. „Das Selbe wie immer.“ Nickt sie. 10 Minuten später mache ich mich also auf den Weg zum Supermarkt, um alle Zutaten für meine Spaghetti Arrabiata zu holen. Ich hab definitiv in letzter Zeit zu oft „Sorry Sorry Arrabiati“ kochen müssen. Das war hier im Haus das A und O einer jeden Entschuldigung und Wiedergutmachung. Ich weiß nicht mal mehr wann und wieso das angefangen hat. Ich weiß nur dass ich es definitiv zu oft zubereiten musste. Als ich gerade nach meinem Hausschlüssel greife sehe

ich durch das Gartenfenster riesige Gewitterwolken aufziehen. Super. Jetzt regnet es natürlich auch noch. Als ich mich gerade umdrehe und schon nach Ausreden suche, wieso ich erst später kochen kann, sehe ich Ramona mit verschränkten Armen und einem breiten Grinsen hinter mir stehen. Sie versperrt mir den Weg. „Ist was?“ fragt sie und ihre Mundwinkel zucken. Sagte ich sie sei ein liebes Wesen? Was ich meinte war gemeiner Fiesling, dessen Lebensaufgabe scheinbar darin besteht mich zu pisaken. „Nö, nö.“ sage ich betont lässig, schnappe mir meine hässlichen, grünen Gummistiefel und ziehe los in den Regen.

Prinz charming scheint verdammt schlechtes timing zu haben

„Hallo? Können Sie mich hören?“ rufe ich und stupse dem Fremden in die Seite. „Hören Sie mich? Geht es Ihnen gut?“ frage ich, diesmal lauter. Meine Stimme ist zittrig. Er muss doch noch leben! Ich lege meine Finger an seine Hauptschlagader um seinen Puls zu prüfen, so wie es die Ärzte in den Soaps immer machen und versuche dabei mein heißeres Lachen zu unterdrücken als mir klar wird, dass ich nicht den Hauch einer Ahnung habe, wo ich anpacken muss und was genau ich fühlen muss. Oder muss ich mitzählen? Und wo liegt der

Standardwert?! Kein Puls. Ich ändere meine Fingerposition. Noch immer kein Puls. Ok, entweder ist er tot oder ich schlichtweg unfähig. Im selben Moment reißt der ominöse Fremde seine Augen auf begleitet von einem tiefen Atemzug. Gut, ich war also nur unfähig. Gott sei Dank – er lebt. Mir fällt eine riesen Last von den Schultern und ich kann förmlich spüren, wie der Kloß in meinem Hals sich löst und ich sauge die Luft tief ein, um erleichtert zu Seufzen. Erst dann fällt mir auf, dass ich halb auf dem Mann drauf sitze und seinen Arm noch immer in meiner Hand geschlossen halte – Plan B war nämlich hier seinen

Puls zu finden. Außerdem hatte ich mich gerade zu ihm runtergebeugt (Tim hätte sich sehr gefreut), da mein nächster verzweifelter Schritt Mund-zu-Mund Beatmung gewesen war und dementsprechend nah war mein Gesicht an seinem. Uns trennten nur noch wenige Zentimeter. „Oh – ich – Oh“ stammele ich, rutschte mit meiner Handfläche vom Asphalt auf dem ich mich abgestützt hatte (scheiß Regen!) und knallte mit meiner Stirn frontal gegen Seine. Der Regen fällt währenddessen noch immer unermüdlich auf uns herab. Er schaut mich verwirrt an. Kein Aua. Kein wer sind sie. Meine Stirn pocht. Mein Herz rast. Der ominöse Fremde öffnet den

Mund, hält kurz inne und schließt ihn wieder. Dann fasst er sich an die Schläfe an der aus einer kleinen Wunde Blut läuft - Puh, den hatte ich ordentlich erwischt – und wird wieder ohnmächtig. „Und dann fällt dir nichts besseres ein, als den Fremden zu uns nach Hause zu bringen?!“ ruft Ramona panisch, als sie mir hilft den Fremden auf unsere Couch zu legen. „Was weiß ich denn, was ich jetzt mit ihm hätte machen sollen!“ zicke ich zurück. „Ihn da einfach liegen lassen?!“ gilfe ich wie ein kleines Mädchen und hätte fast noch theatralisch auf den Boden gestampft. „Wie wärs denn mit dem KRANKENHAUS?!“

kontert Ramona lautstark, während sie verzweifelt versucht den Mann nicht fallen zu lassen. Gemeinsam hieven wir ihn auf die Couch. Gar nicht so einfach bei einem ein Meter Neunzig Mann. Zumindest würde ich ihn so groß schätzen. Hinzu kommen gefühlte 300 Kilogramm pure Muskelmasse. „Bis ins Grillinger Krankenhaus brauch ich locker ‘ne Stunde! Du weißt doch, dass sie diese Woche die Brücke gesperrt haben!“ entgegne ich. Als Mona ihren Mund öffnet ergänze ich schnell „und der Krankenwagen wäre in den Umgehungsstraßen auch nicht schneller!“ Sie nickt. Sieht aber nicht sonderlich überzeugt aus. Und ihre rechte

Augenbraue ist angezogen. Sie wägt also noch ab ob sie mich direkt jetzt umbringt oder erst später. Wenn es nicht der Fremde auf unserer Couch vor ihr tun würde. Denn wer weiß was ich uns hier ins Haus geholt hatte. Der Typ könnte sonst wär sein. Ein Axt-Mörder. Ein Psycho Stalker oder noch schlimmer: Ein Zeuge Jehovas. „Außerdem ist er nicht in Lebensgefahr.“ Plappere ich schnell weiter, da Mona nun auch die zweite Braue nach oben gezogen hatte. „Das ist eine winzige Schnittwunde. Die wird er schon überleben. Ich mein, schau dir den riesen doch an. Das merkt der sicher nicht mal. Ich musste raus aus dem Regen und kann ihn ja schlecht da liegen

lassen, nachdem ich ihn höchstpersönlich KO gehauen habe. Was bei seiner Größe und Statur übrigens echt ne Leistung ist“ Ramona schaut mich wütend an. „Willst jetzt noch einen Pokal dafür haben?“ fragt sie dann zynisch. Japp, ich glaube sie ist nicht überzeugt von meinem Plan. „Und wie geht dein schlauer Plan weiter?“ meint sie dann. „Wir warten.“ Sage ich. Stille. „Und ich koche.“ sage ich dann weiter und versuche bestimmend zu klingen. Innerlich bibbere und bebe ich. Als ich kurze Zeit später mit zwei Tellern voll Pasta zurück komme hat sich die Situation deutlich entspannt. Der

Fremde liegt noch immer auf der Couch. Ramona sitzt auf dem Boden vor der Couch und schaut auf ihren Handydisplay. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass sie gerade auf Tims Instagramprofil ist. Vielleicht hatte unser Gespräch ja doch einen Stein ins Rollen gebracht. Einen kleinen zumindest. Mit einem Räuspern mache ich mich bemerkbar, setze mich neben sie und reiche ihr einen Teller. Erst schaut sie mich perplex an, als dachte sie ich hätte nur einen Witz gemacht als ich sagte ich würde kochen. Wiederwillig nimmt sie den Teller dann aber entgegen als ihr Magen sie mit einem Knurren darauf aufmerksam macht, dass man ihm heute

defintiv noch nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt hatte. So saßen wir nun beide mampfend vor der Couch auf der unser Fremder lag und schaufelten Nudeln in uns rein. Eine Weile hört man nur das Geräusch von Besteck auf Porzellan.„Sowas kann auch nur dir passieren“ sagte sie dann mit vollem Mund und wir müssen beide lachen. Gerade als ich mir einen Berg Spaghetti in den Mund schiebe redet sie weiter„und du hast ihn wirklich mit deinem.. was wars? GUMMISTIEFEL umgehauen?“ prustet sie los und ich verschlucke mich fast an meinem Essen. Als der Fremde sich dann plötzlich bewegt erstarren wir beide sofort und

starren den Mann an. „Was zum?!“ bricht der Fremde mit seiner tiefen Stimme die Stille. Er schaut erst mich an, dann Ramona, dann den Raum. Dann schaut er wieder mich an und seine Augen bohren sich in meine. Ich schließe schnell den Mund und die Hälfte meiner Spaghetti landen vor mir auf dem Boden. Nachdem Sie vorher gefühlt über mein komplettes Gesicht geglitscht sind. Super erster Eindruck. Mit einem KLATSCH landen sie vor mir auf dem dunkelbraunen Holzfußboden. Der Fremde schaute auf mich. Dann verwirrt zu Ramona. Zu den Nudeln auf dem Boden und dann wieder zu mir. Schwungvoll richtet er sich auf und scheint dann aber plötzlich

Sternchen zu sehen, hält sich die inzwischen desinfizierte und verbundene Schläfe, dann seine Stirn und legt sich dann wieder hin ohne den Blick von mir abzuwenden. Er stützt sich halb liegend, halb sitzend auf seinen Ellenbogen. „Beruhigen Sie sich, es ist alles gut.“ Sage ich und versuche dabei so entspannend wie möglich zu klingen. Es klingt eher wie eine Frage und meine Stimme bricht mehrmals. Aber woher soll ich auch wissen, was der angemessene Satz in so einer Situation ist. „Wo zum Henker bin ich, wer seid ihr und was verdammt ist mit meiner Stirn passiert?!“ fragt er. Wenigstens kein Kommentar zu meiner Nudelvergewaltigung. Sein

schönes Gesicht ist verzerrt. Ich weiß nicht ob vor Schmerz oder vor Zorn. Ich hole kurz Luft und überlege, was ich sagen soll. Dann entscheide ich mich für die Wahrheit. „Ich habe Sie in der Mariannenstraße mit meinem Gummistiefel ausgenockt“ sage ich. Ich hätte mir vielleicht vorher überlegen sollen, was genau ich sage. „Du hast – WAS?“ fragt er und seine Augen weiten sich. Sein Atem geht flach. Seine Hand vergräbt sich im Sofa und ich kann bereits sehen wie sich die Knochen unter der Haut weiß abzeichnen. Mannoman der war sauer. „Nicht mit Absicht natürlich!“ stammle ich. „Also mein Schuh hat festgesteckt im Matsch, mir

passieren immer solche Sachen wissen Sie, ich bin ein Tollpatsch und jedenfalls hat er Sie dann am Kopf getroffen“ Meine Stimme war langsam halb flüstern halb heißer. „Wer hat mich am Kopf getroffen?“ unterbricht er. „Mein Gummistiefel“ hasple ich. „Du wirfst also einen Gummistiefel nach mir und jetzt liege ich auf deiner Couch, weil?“ fragt er. „Weil es draußen geregnet hat, wir in der Mariannenstraße wohnen und ich wegen der Brückensperrung eine Stunde ins Krankenhaus gebraucht hätte.“ Stille. „Der Verband an Ihrer Stirn ist auf Ramonas Mist gewachsen. Sie haben wirklich nur eine klitzekleine Wunde an der Stirn. Ich denke Sie sind

nicht wegen Blutverlust, sondern wegen dem Aufprall KO gegangen. Und Sie haben auch nicht gekotz – Sich äh nicht übergeben also ihr Magen“ ich zeige auf seinen Magen als wüsste der Mann nicht wo sich besagter befindet „also der hat sich nicht entleert und wissen Sie dann weiß man dass das Gehirn nicht geschüttelt ist.“ Rede ich mich um Kopf und Kragen. Seine ozeanblauen Augen durchbohren mich und verengen sich zu schmalen Schlitzen. „Sie meint eine Gehirnerschütterung.“ Ergänzt Mona im Hintergrund. „Wirklich, das ist kaum der Rede wert. Nur kleine Mädchen würden sich da jetzt anstellen“ sage ich schnell in der Hoffnung so glimpflich wie

möglich aus der Sache raus zu kommen. Langsam richtet er sich auf ohne den Blick von mir abzuwenden. „Du hast mich also KO gehauen, um mich dann erstmal als kleines Mädchen zu beleidigen?“ fragt er ernst. Ich schlucke. Dann umspielt ein Lächeln seine Lippen. „Du bist ganz schön frech für ne Frau die klingt wie ein 11 jähriger im Stimmbruch“ knurrt er. „Und Sie sind ganz schön vorlaut für einen Mann, der sich von einer einssechzig Frau K.O. schlagen lässt.“ Kontere ich und Ramona verschluckt sich vor Schock und hustet im Hintergrund um ihr Leben. „Und du bist sogar zu blöd Spaghetti zu essen“ sagt er dann und deutet auf den traurigen

Haufen Spaghetti vor meinen Füßen. In dem Moment fangen wir beide an zu lachen und an seiner rechten Backe bildet sich ein sexy Grübchen. „Danke, dass du“ er schaut zu Ramona, die endlich aufgehört hat sich die Seele aus dem Leib zu husten „dass ihr nach mir gesehen habt. Glaube ich?“ sagt er dann und legt den Kopf leicht schief. Hat er sich gerade BEDANKT? Ramon schaut mich, scheinbar das Selbe denkend, verwirrt an. „Sie müssen sich nicht bedanken! Ich muss mich entschuldigen! Mir tut es aufrichtig leid. Es war wirklich nicht meine Absicht. Es war ein Unfall.“ Sage ich schnell „Absolut.“ Sagt Ramona

nickend und ich schaue zu ihm auf, während er versucht aufzustehen. Er stöhnt kurz, hält inne und fasst sich an die Rippen. „Ich glaube dir. Und ich habe auch nicht vor dich anzuzeigen oder ähnliches“ sagt er dann und ich bin total erleichtert. Ich hatte nicht mal daran gedacht dass er das auch hätte machen können. Mein Leben hinter Gittern. Dabei steht Orange mir mal wirklich so gar nicht. Ramona boxt mich in die Seite, nachdem meine gedankliche Pause wie immer zu lang war. „Oh, Danke!“ sage ich schnell. „Trotzdem würde ich jetzt gerne nach Hause gehen“ sagt er und schaut mich dabei fragend an, als sei ich ein

Kidnapper und er bräuchte meine Erlaubnis. Wobei ich bei seinem markanten, schönen Gesicht nichts dagegen hätte, ihn hier festzuhalten und auf eine Art Stockholmsyndrom zu warten. Als ich gerade über Fesselspielzeug nachdenke boxt mich Ramona erneut in die Seite und wie aus der Pistole geschossen rufe ich „Ja, SIR.“ Wow. Ich war mal wieder ein Meister der Worte. Wahre glanzleistung. Geschütteltes Gehirn. Ich könnte mir in den Arsch beißen. Dann steht er auf. „Sicher, dass Sie das jetzt schon schaffen? Wollen Sie sich nicht erstmal kurz ausruhen?“ meint Ramona besorgt. „Ich kann Ihnen auch einen Tee machen?

Oder eine... Suppe?“ Ramona schaut mich verwirrt an. Dann schauen wir beide den Fremden verwirrt an, der erst mich und dann Ramona verwirrt anschaut. Das war echt eine schräge Stimmung hier im Raum. „Solange dort draußen nicht noch mehr Wahnsinnige auf mich warten um mit Sandalen nach mir zu werfen sollte ich es sicher nach Hause schaffen.“ Meint er dann lachend und Ramona steigt mit ein. Ich schaue sie finster an und dann wieder zum ominösen Fremden. „Gummistiefel!“ korrigiere ich ihn. Super Anna. Erstmal korinthenkackern bei dem Mann, der gerade nochmal von einer Anzeige abgesehen hat. „Natürlich.“ Sagt er und

lächelt mich schief an. „Der Gummistiefel“. „Und es war ein Unfall – ich bin doch keine Wahnsinnige!“ kann ich mich nicht halten. Irgendwas an diesem Mann lößt all meine Hemmungen. Ich hatte mich nicht im Griff. „Sicher?“ fragte er nur lachend, während er auf die Haustür zu geht, die Ramona ihm deutet. Erst als die Tür ins Schloss fällt wird mir klar, wie ich gerade aussehen muss. Meine Klamotten klebten pitschnass an meinem Körper, die Haare wild zerzaust, der Maskara, der mir in dicken schwarzen Rinnen über die Backe gelaufen ist und nicht zu vergessen, die

Matschbahn, die sich quer durch mein Gesicht zieht. Achso, und zu guter Letzt war natürlich mein halbes Gesicht voller Arrabiata Tomatensoße. Ich sah aus wie eine Bilderbuch Wahnsinnige. Ok Fremder, denke ich. Dieser Punkt geht an dich. Das Wasser ist wie immer nur lauwarm als ich in die Dusche steige. Ramona schafft es seit inzwischen 25 Jahren immer direkt vor mir zu duschen und all das warme Wasser aufzubrauchen. Man kann also sagen, ich bin seit jeher professionelle Schnell-Kalt-Duscherin. Zwangsweise. Aber heute mache ich eine Ausnahme. Ich nehme mir reichlich Zeit,

um die traurige Mischung aus Schminke, Matsch und Sorry-Sorry-Arrabiati von meinem Körper zu waschen. Es fühlt sich fast an wie ein spiritueller Reiningunsritus (obwohl sich auch hier mein Wissen auf Soaps und Telenovelas beschränkt) als ich mit dem Schwamm über meine Haut schrubbe. Gott, ich muss schrecklich ausgesehen haben. Frustriert lehne ich meine Stirn gegen die kalten Fliesen und schließe die Augen. Da begegne ich einmal einem ansehnlichen Mann in diesem Dreckskaff – und was mache ich? Haue ihn KO und leg ihn bei mir auf die Couch. Nicht gerade die feine Art einen Mann ins Haus

zu locken. Wobei – wenn man bedenkt wie ich ausgesehen haben muss klingt Bewusstlosigkeit eigentlich nach der einzigen Möglichkeit so einen Adonis ins Bett zu bekommen. Oder eben auf die Couch. Als nach gefühlt weiteren 10 Minuten endlich klares Wasser aus meinen langen braunen Locken kommt anstatt wie bisher braunes Matschwasser klettere ich aus der Dusche und schaue mich das erste Mal im Spiegel an. Vor dem Duschen bin ich eisern daran vorbei gelaufen. Das wollte ich meinem Rest Selbstwertbewusstsein nicht antun. Ich wollte wirklich nicht sehen, in welchem Zustand mich der schöne Fremde gesehen

hatte. Oh man, er war wirklich zum anbeißen gewesen. Im Stress vorhin war das total untergegangen, aber jetzt hatte ich endlich die Zeit um rückwirkend zu schmachten. Bei dem Gedanken an ihn biss ich mir auf die Unterlippe. Seine ozeanblauen Augen waren durchdringend gewesen und er hatte kleine weise Sprenkel in seiner Iris. Sie wirkten fast wie Schaumkronen seiner Meerblauen Augen... Er war groß und muskulös gebaut. Auch das war mir (spätestens bei dem Versuch ihn auf die Couch zu hieven) nicht entgangen... Ich bin ja kein Voyer oder so, aber die nasse Kleidung, die sich wie eine weitere Hautschicht über seine perfekte Haut, die Muskeln,

die straffe Brust und den stahlharten Bauch legte brauchte keine Fantasie zum ausschmücken. Er wurde mir quasi auf dem Silbertablett geliefert. Er hatte markante Kieferknochen, einen gepflegten Dreitagebart und volle Lippen, die zum Küssen einluden. Sein Haar war dunkelblond, fast hellbraun und etwa Daumenlang. Vom Regen hing es ihm ins Gesicht und ich musste mich schwer beherrschen, es ihm nicht sanft aus dem Gesicht zu streichen. Nur um danach mit meinen Fingerkuppen seine perfekten Lippen nachzufahren. Mein Herz macht einen Hüpfer, als ich wieder daran denke, wie nah wir uns waren, kurz vor meiner Mund zu Mund

Beatmung, als er plötzlich aufwachte (wenn auch nur für einen Moment). Er war mir so nah gewesen und ich spürte regelrecht wie sein Atem meine Lippen benetzte. Die Art wie seine Augen in mich hinein blickten. Meine Knie waren so weich gewesen. Ein Blick in den Spiegel reißt mich aus meinen Gedanken und bestätigt das Schlimmste: meine Nippel waren hart. Ich war also scharf auf den Mann. Ich musste diesen Typen schnellstmöglich wieder vergessen. Eine Schwärmerei war das letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte. Ok Anna, komm zurück auf den Boden der Tatsachen. War der Mann bildschön? Ja. War er ein Gott?

Vielleicht. Hatte ich eine Chance bei ihm? Nie im Leben. Abgesehen davon, dass er mich in, sagen wir mal, nicht unbedingt meiner optisch ansprechendsten Form zu Gesicht bekommen hatte – ich hatte dem Mann physische Schmerzen zugefügt. Wenn mans genau nimmt habe ich ihn bewusstlos geschlagen. Dann entführt und auf meine Couch geschleppt. Und dann beleidigt. Und verbessert. Mehrfach. Man kann also sagen dass meine Chancen relativ schlecht standen. Zumal er auf einer Skala von 1-10 mindestens eine 14 war. Und ich mit meinen braunen Locken, den langweiligen braunen Augen und den

leichten Sommersprossen an guten Tagen wohl eher eine 7 war. Ok vielleicht eine 8 - mein Hintern war durchaus ansehnlich. Aber heute? Vielleicht eine 3. Und wenn man bedenkt, dass ich Pyjama Hosen anhatte als ich ihm begegnete dann vielleicht sogar noch eher eine 2. Schnell werfe ich einen Blick auf meine schmutzige Wäsche, die ich vor dem Duschen einfach in ein Eck gepfeffert hatte. Ich muss laut auflachen, als ich meine nasse Pyjama Hose dort liegen sehe. Da waren allen Ernstes Gänseblümchen drauf. Gut, jetzt ist es offiziell – ich war eine 1 auf einer Skala von 1 bis 10. Definitiv eine 1. Notiz an mich selbst, nie wieder im

Pyjama schnell zum einkaufen hechten. Oder weißt du was? ALLGEMEIN nie wieder im Pyjama IRGENDWOHIN gehen. Nie wieder. Prinz Charming scheint nämlich verdammt schlechtes Timing zu haben.

Von Tampons und blöden Ziegen

Man wird während dem Lehramt Studiums ja auf so einiges vorbereitet. Darauf, dass sich zwei zehnjährige Mädchen während der Pause vor meinem Englischunterricht schlägern – darauf wird man allerdings nicht geschult. Nun sitze ich also hier mit den zwei Raufboldinnen im Rektorat und gebe meine Geschichte wieder. „Wie gesagt, Herr Millig – ich kam ins Klassenzimmer gerannt als ich die Schreie hörte und sah, wie sich die beiden prügelten. Ich ging selbstverständlich sofort dazwischen. Die

beiden wollten mir aber weder sagen, wieso sie so wütend aufeinander waren, noch wieso sie nicht miteinander reden.“ Herr Millig sah die beiden lang an. Dann mich. Und sein Blick ging direkt auf meine Nase. „Ist das...?“ fragte er dann, an mich gewendet. „Ein Tampon. Ja.“ Antwortete ich schnell und drehte nervös an dem Tampon in meiner Nase. „Als ich dazwischen ging habe ich einen ordentlichen Haken abbekommen. Man glaubt gar nicht wie viel Kraft in den Kleinen steckt.“ Ergänze ich schnell als ich Milligs verwirrtes Gesicht lese. Er versucht sichtlich die Fassung zu

wahren – kann sich aber ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Als er wieder zu den Mädels schaut wird sein Blick wieder finster. „Ich weiß ja nicht was ihr glaubt wo ihr hier seit – aber das letzte Mal als ich mich umgesehen habe war das hier eine Schule und kein verdammter Box-Verein.“ Sagt er und seine Stimme halt laut durch den Flur, da die Tür seines kleinen Büros offen stand. Das war die Devise von Herrn Millig. Wenn du was dummes anstellst, dann dürfen es auch alle wissen. Selbst schuld. Ja, ich weiß. Das grenzt an schwarze Pädagogik aber so mancher Unruhestifter – Klassenclown

hat danach wieder auf den richtigen Weg zurück gefunden. Während Millig den beiden Mädels einen saftigen Vortrag über Verantwortung, Respekt, Anstand und Güte hält schweift mein Blick durch den Raum. Bis auf das eingerahmte Familienfoto auf seinem Schreibtisch findet man hier nichts, das einen Einblick in das Leben von Herrn Millig erlauben würde. Es ist alles in schlichtem Braun und Grau gehalten. Die Wände sind kahl (und könnten mal wieder einen neuen Anstrich gebrauchen) und die Regale voller Fachbücher über diverse Fächer die unterrichtet werden und angewandte Pädagogik. Ein langweiliges Büro einer

langweiligen Schule dieser langweiligen Stadt. „Schaut euch doch mal Frau Brand an! Ihre Nase blutet!“ holt mich Herr Millig wieder zurück in die Gegenwart. „Ja, aber - das – das war keine Absicht!“ stottert Lilly – die kleinere von den Beiden. „Ich wollte Sophie hauen und Frau Brand hat sich so schnell zwischen uns gestellt, dass ich sie nur ausversehen gehauen habe.“ Lilly schaut mich mit ihren großen blauen Augen an. „Frau Brand – es tut mir wirklich ganz doll leid. Ich wollte Sie nicht boxen.“ Sagt sie dann und ich bin fast schon gewillt das alles zu vergessen... als sie ergänzt „Ich wollte nur Sophie die blöde Ziege

hauen!“ eine halbe Millisekunde später schreit direkt Sophie los „Du bist selber eine blöde Ziege! Und du bist auch doof!“ und noch eine halbe Millisekunde später höre ich nur noch Herrn Millig schreien (lauter als die beiden Streithühner) „HAT MIR DENN KEINER VON EUCH BEIDEN GERADE ZUGEHÖRT?!“ Im Lehrerzimmer angekommen muss ich mich erstmal setzen. Der Raum ist Gott sei Dank leer – immerhin ist es auch bereits 16 Uhr und der reguläre Unterricht der Mittel-Stufe geht bis 14 Uhr. Ich sauge die Stille hier drin regelrecht ein. Das Geschrei in Herrn

Milligs Büro hat sich bis zum Maximum hochgesteigert. Geendet hat es damit, dass die beiden eine Woche suspendiert sind und sie sich beieinander entschuldigen mussten. Außerdem sollen sie die Zeit zuhause nutzen, um einen Brief an den jeweils anderen zu schreiben, in dem sie sich erklären (was sie so wütend gemacht hat) und sich dann nochmals entschuldigen. Außerdem musste sich Lilly bei mir entschuldigen. Ich war jetzt schon gespannt auf die Briefe, die ich ja offiziell nicht lesen darf, aber ich musste einfach wissen, was meine beiden sonst so braven Schülerinnen dazu bringt sich

gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Darauf brauche ich erstmal eine Tasse Kaffee. Unsere Kaffeemaschine röchelt und rumort als ich meinen Becher unter die Maschine stelle und auf die „Lungo“ Tasse drücke. Der Apparat zittert und keucht und wie jeden Tag denke ich „Das ist die letzte Tasse die der Automat packt. Danach ist Feierabend“. Und jeden Tag überrascht sie mich erneut und gibt einfach nicht auf. Eine neue gibt’s laut Millig erst, „wenn die Alte den Geist aufgibt“. Meine Kollegen sind schon dabei fleißig Wetten abzuschließen. Ich hab der Maschine noch 2 Wochen zugetraut. Das war vor 6 Monaten. Fast

schon ehrfürchtig nehme ich also meine Kaffeetasse entgegen und setze mich an meinen Platz. Vor mir liegt noch ein dicker Stapel Englisch-Klausuren, den ich schon lange korrigieren wollte. Meine Nase brennt noch immer, als ich mir den ersten Schluck Kaffee genehmige. Mein Lachen schallt durchs Lehrerzimmer als mir klar wird, was das eigentlich für eine lustige Geschichte ist für den nächsten Stammtisch. „Und dann musste ich mit einem Tampon in der Nase rumrennen weil meine zehnjährige Schülerin mir einen ordentlichen Haken verpasst hat.“ Jetzt verliere ich also auch schon gegen Kinder. Die Geschichte wird

Ramona gefallen. Gerade als ich nochmal einen Schluck Kaffee nehme sehe ich aus dem Augenwinkel wie die Tür aufschwingt und höre Lillys Stimme „Da ist sie! Ich hab doch gesagt sie ist bestimmt noch da!“ als ich meinen Kopf drehe sehe ich Lilly im Türrahmen stehen direkt neben – WAS VERDAMMT?! Direkt neben Lilly steht mein Prinz Charming in seiner vollen Pracht. Er trägt ein enges weißes Hollister Longsleve, dazu eine schwarze Jeans und Nikes und – wer hätte es gedacht - sieht dabei einfach unfassbar gut aus. „Frau Brand?“ fragt er (offensichtlich hat er mich noch nicht erkannt) und

kommt schnell auf mich zu. Ich verschlucke mich erstmal an meinem Kaffee, nur um mir dann beim Aufstehen das Knie am Tisch anzuschlagen. Dann steht er schon direkt vor mir und seine ozeanblauen Augen weiten sich als er mich erkennt. „SIE sind also Frau Brand?“ hakt er nach und ist erst überrascht, dann belustigt. Sein freches Lächeln umspielt erneut seine vollen Lippen, die zum Küssen einladen... Stille. Das war wohl der Moment in dem ich hätte antworten sollen. „JA!“ sage ich dann – viel zu laut. Er schaut mich an, dann auf meine Nase. Sofort verschwindet sein Lächeln und seine Augenbrauen formen zusammen mit

seinem weichen Blick für einen besorgten Eindruck. „Was passiert ist tut mir unfassbar leid“ sagt er. „Und Lilly natürlich auch“ ergänzt er schnell und wirft einen Blick zurück zu Lilly, die noch immer im Türrahmen steht. Das Ganze war ihr sichtlich unangenehm. „Es ist keine Entschuldigung das weiß ich, aber es war keine Absicht von Lilly Sie zu verletzen“ sagt er dann und legt mir die Hand auf die Schulter. Sein Blick ist weich und seine Stimme säuselt beinahe. Stille. „JA!“ schreie ich. Erneut. Wow. Das war mal wieder eine Glanzleistung meines Gehirns. „Lilly-Schatz? Geh bitte schon mal zum Auto. Wir reden Zuhause. Mit Mama. Das wird Konsequenzen für

dich haben.“ Sagt er dann an Lilly gewandt ohne sich zu ihr umzudrehen. Ich weiß nicht ob es an seinem väterlichen Unterton lag oder der Tatsache, dass er gerade „Mama“ und „Zuhause“ sagte aber der Groschen war endlich gefallen. Mein Prince Charming war Vater. Es war einfach immer das Selbe. Gutaussehende Männer Anfang 30 waren entweder verheiratet oder schwul. Enttäuschung macht sich in meinem Bauch breit während Lilly erst Luft holt zum kontern – sich dann aber doch dafür entscheidet diesmal besser auf ihren Vater zu hören. Ohne wiederworte schlurft sie

davon. Nun war ich also alleine mit ihm. Meine Schulter brannte noch immer heiß von seiner Berührung vorhin. Er seufzte leise. Dann sah er mich direkt an. „Ich hätte mir wirklich gewünscht, dass unsere nächste Begegnung anders verläuft als in einem neuen Knock-Out“ bricht er dann die Stille. „Na immerhin bin ich nicht direkt KO gegangen!“ entgegne ich schnell und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Er sieht mir noch immer direkt in die Augen und beugt sich langsam zu mir herunter bis ich das Gefühl habe seinen Atem zu spüren. Mein Herz rast. „Du bist ganz

schön frech für eine Frau, die mit Schuhwerk um sich wirft“ sagt er dann und ich halte seinem durchbohrenden Blick stand. „Und du bist ganz schön frech für einen Vater, dessen Tochter gerade zum Rektor musste“ erwiderte ich frech und er setzt ganz unbeeindruckt sein breitestes Grinsen auf. „Und du weißt nicht wo Tampons hingehören“ presst er dann lachend hervor und zeigt auf meine noch immer leicht geschwollene Nase. Touché. Den verdammten Tampon hatte ich komplett vergessen. Innerhalb von Sekunden laufe ich knallrot an. „Mama wartet zuhause“ schallt es dann wieder in meinem Kopf und ich gehe

einen Schritt zurück. Das war nicht in Ordnung. Ja, seine Anziehung war magisch aber das war einfach nicht fair seiner Frau gegenüber. Urgh. Bei dem Gedanken lief es mir kalt den Rücken runter. Er war wirklich verheiratet. Dabei trug er keinen Ring als ich ihn im Regen durch die Straße gezogen habe. Ich bin ja nicht blöd. Sowas checke ich bei einem attraktiven Mann als erstes. „Darf ich „du“ sagen?“ fragt er dann nach einer kurzen Pause. Vermutlich kam er sich von meinem schnellen Rückzug vor den Kopf gestoßen vor. „Nein, ich muss als Klassenlehrer meine Integrität waren und kann keine

persönliche Beziehung zu Müttern, Vätern, Onkels, Tanten etc. eingehen – das ist eine meiner Regeln“ antworte ich um ihm noch einen weiteren Stoß vor den Kopf zu geben. Ich musste mir das verbauen. Durfte nicht schwach werden unter seinem weichen Blick in dem ich mich so gerne verlieren würde... „Das hier ist ein 500 Seelen Dorf. Das würde ja heißen, dass Sie mit niemandem hier überhaupt reden könnten. Sie würden alleine sterben mit 36 Katzen und wenn man dann nach Wochen Ihre Leiche finden würde, dann hätten die Katzen bereits Ihr halbes Gesicht gegessen“ stellt er belustigt fest. „Ich bin sowieso eher der Hunde-Typ.“

Kontere ich schnell und widme mich wieder meinem Kaffee. „Danke jedenfalls für Ihren Besuch heute Herr Leutens. Ich bin mir sicher, dass Lilly bald schon wieder die alte ist. Seien Sie nicht zu streng zu ihr – sie ist eine meiner besten Schülerinnen. Und ich bin ihr auch nicht böse“ Sage ich dann. Deutlicher kann ich ihm nicht signalisieren, dass er gehen soll. Er sieht mich noch kurz an und nickt dann. „Sehr gerne Frau Brand. Machen Sies gut.“ Mit diesen Worten geht er zur Tür. So sitze ich noch 5 Minuten da und starre in die leere. Als ich danach meinen Kaffee leeren will ist dieser Eiskalt. Genauso wie meine

Libido. Zuhause angekommen habe ich fast Angst, dass Ramona sich an ihrem Lachen erstickt. „Ich hab dir immer schon gesagt, das Tampons in der Nase eine sehr grobe Zweckentfremdung sind“ prustet sie dann. „War mir schon klar, dass du das witzig findest!“ entgegne ich beleidigt und ziehe mir auf der Couch sitzend beide Beine fest an die Brust. „Und jetzt hast du Liebeskummer?“ fragt Ramona dann. „GAR NICHT!“ protestiere ich, aber Ramona zeigt nur auf den Stapel Eis und Pizza Kartons vor mir und ich hebe resignierend die Hände. „Damit muss man rechnen, wenn er Typ

so aussieht.“ sagt sie und verzieht ihren Mund zu einem Kussmund. „Küss mich Anna“ sagt sie dann in ihrer tiefsten Stimme und schießt auf mich zu. „Ahhhhhrrrrggggg!“ Kreische ich und wedle wild um mich um sie zu vertreiben. Wie einen Moskito. „Blöde Ziege!“ rufe ich ihr dann hinterher als sie sich in ihr Zimmer aufmacht. „Selber blöde Ziege!“ höre ich sie nur rufen. Und auf einmal verstand ich Lilly. Nächstes Mal würde ich Ramona auch boxen. Und doof war sie auch.

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Über den Autor

Destinationxx
Verträumt verwirrt und immer zu spät. Nie da wo ich sein soll und meist nicht da wo ich sein will.

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AngiePfeiffer Hallo,
Deinen Geschichte fängt richtig gut an!!!
Aber so sehr ich mich bemühe - 72 Seiten, das überfordert mich total. Vielleicht solltest Du die Story einfach in mehrere Teile aufsplitten. Ich glaube, dass Du dann auch mehr Leer findest ...
LG Angie
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