Sonstiges
DAS DEJA VUE - Vom Loslassen

0
"Traust du dich ...?"
Veröffentlicht am 11. Juni 2020, 8 Seiten
Kategorie Sonstiges
© Umschlag Bildmaterial: sundarananda - Fotolia.com
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ich wurde in einem kleinen Dorf bei Nürnberg geboren. Studium und Beruf brachten mich nach Baden Württemberg. Die etwa 35 Jahre im Dreiländereck waren genug. 1999 zog es mich in meine alte Heimat zurück und seither lebe ich in Fürth.
Traust du dich ...?

DAS DEJA VUE - Vom Loslassen

DAS DÉJÀ VUE

Ich bin hierher gereist, um Urlaub zu machen. Tristes Grau und Regen empfingen mich. Jetzt blitzen kleine blaue Löcher auf im Einheitsgrau. Darin leuchtet es golden.


Meine Füße tragen mich den geschwungenen Weg am Hang entlang. Zauberhafte Natur, kunstvoll angelegt, sorgsam in Schranken gehalten. Von weitem das Rauschen eines rasch fließenden Gebirgsbaches. Der Regen der letzten Stunden ließ ihn anschwellen. Auf dem Abstieg Eintauchen in dschungel-ähnliches Grün, eng ineinander verwobenes Astwerk, blütenschwerer Duft, moosiger Pfad,

reich an Treppenstufen, hinunterführend in eine Schlucht. Das Rauschen wird lauter. Dann plötzlich schwingt ein schmaler Steg, fest gesichert in schmiedeeisernen Fesseln, über das reißende Wasser.

Fast zaghaft berührt mein Fuß den Steg, zögert noch vor dem nächsten Schritt. Erschrocken der erste Blick in die Tiefe. Die Wasser dort unten, vielleicht sind es 10 Meter oder mehr, tosen, reißen, schleifen, bohren, sägen sich durch einen Spalt, etwas mehr als einen Meter breit. Man muss schreien, um sich zu verständigen, so laut brüllen die kaum zu bändigenden Wasser in ihrer Urgewalt. Wie viele Liter mögen sich in jeder Sekunde durch diesen Spalt zwängen?

Ein Blick in die andere Richtung: nur wenige Meter nach dem Steg ein breiter, reißender Gebirgsfluss, der um Felsbrocken schäumt, über kleinere springt und alles mitreißt, was sich ihm sonst noch in den Weg stellen möchte. Weiter flussabwärts lassen Kajak-fahrer bunte Boote zu Wasser, Nussschalen gleich im nassen Toben. Ein Gefühl des Unbehagens macht sich in mir breit.

Abrupt wende ich meinen Blick erneut flussaufwärts. Ich beuge mich weit über das Geländer des Steges, genieße das auf-steigende Adrenalin. Was wäre, wenn ich über das Schmiedeeisen klettern würde? Noch mehr Adrenalin? Würde meine Kraft

ausreichen, um mich dem Sog zu entziehen? Oder würde das Adrenalin nach einem größeren Kick schreien? Ich könnte es doch ausprobieren! Hin und her reißt es mich: Abenteuerlust, Angst, Kick, der Ruf der Droge, Wagemut; schließlich ruft etwas ganz laut, fast spöttisch: „Tu’s doch, tu’s doch!“ Was hält mich jetzt noch ab?

Entschlossen übersteige ich den eisernen Halt, noch mit dem Gesicht zum Steg. Plötzlich bleiben alle Leute stehen, starren mich ent-setzt an, rufen mir etwas zu. Warnungen vielleicht? Ich kann sie nicht hören, bin wie abgeschaltet, während das Adrenalin immer mehr Macht über mich gewinnt. Als ich mich umdrehe, die Füße fest auf der Kante des

Steges, die Hände um die eiserne Reling gekrallt, geschieht etwas Sonderbares mit mir.

Ich fühle mich leicht, so leicht wie ein Vogel, und ich weiß, dass ich fliegen kann. Wie ein Vogel über das Wasser segeln, in den Himmel eintauchen, aufsteigen, mich fallen lassen, wieder aufgefangen werden von ausge-breiteten Flügeln, in den Lüften tanzen, über den Wassern schweben. Die Gewissheit wird stärker! Dann werfe ich mich in den Himmel!

Ich höre noch einen schrecklichen Schrei … Den der Zuschauer oder meinen eigenen? Danach nichts mehr. Plötzlich ein kräftiger Ruck. Ich breite meine Schwingen aus, sehe wie ein Körper auf den Beton des Wassers

kracht, in Bruchteilen eines Augenblicks von den Strudeln des Flusses eingesaugt und wenig später zertrümmert wieder ausgespien wird. An dieser Stelle färbt sich das Wasser für einen Augenblick rot. Dann der Rettungs-wagen, Polizei. Zu spät!

Ich segle über den Fluss, dessen Wasser wieder unschuldig um Felsen tosen, Kajaks tragen, Menschen mit ihrem Rauschen be-sänftigen, irgendwann ruhig werden, um sich mit anderen vereint viel später ins Meer zu ergießen.

Dann schneiden die Sicheln meiner Flügel Fenster in das Grau des Himmels, azurblaue Fenster. Ich tauche ein in die Unendlichkeit

des goldenen Sonnenlichts, welches daraus hervorbricht, wärmt, Geborgenheit schenkt und mich nie wieder loslassen wird.

Entsetzt weiche ich vom Geländer des Steges zurück …

©HeiO 03-05-2018

0

Hörbuch

Über den Autor

NORIS
Ich wurde in einem kleinen Dorf bei Nürnberg geboren. Studium und Beruf brachten mich nach Baden Württemberg. Die etwa 35 Jahre im Dreiländereck waren genug. 1999 zog es mich in meine alte Heimat zurück und seither lebe ich in Fürth.

Leser-Statistik
12

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
mukk lässt einen die Gänsehaut kriegen ....wie gut, dass dein Schutzengel eingegriffen hat..Doch allein der Gedanke daran und die Vorstellung machen dieses Gefühl zu einem Abenteuer..
Mit herzlichem Gruß
Ingrid
Vor langer Zeit - Antworten
NORIS Herzlichen Dank, liebe Ingrid, ich habe mich sehr über Deinen Kommentar gefreut ... und über Dein ganz persönliches Mitfühlen.
Herzlichst
Heidemarie
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Sich einer Faszination hingeben, in sie eintauchen, die Gefahr, die sie in sich birgt, missachtend ... doch noch rechtzeitig die Realität erkennend ... eine gute und spannende Beschreibung dieser Situation.
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
NORIS DANKE für diesen treffenden Kommentar.
LG
Heidemarie
Vor langer Zeit - Antworten
Bleistift 
"DAS DEJA VUE - Vom Loslassen..."
Wer hat das nicht schon mal erlebt...
"Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein..."
Friedrich Wilhelm Nietzsche

LG
Louis :-)
Vor langer Zeit - Antworten
NORIS DANKE, Louis. Ich muss in diesem Punkt Herrn Nietzsche zu 100 % recht geben. Und natürlich auch dir!
Lieben WE-Gruß
Heidemarie
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Oh, oh, da brächten mich keine 10 Pferde hin - habe kolossale Höhenangst.
Aber gut beschriebenes Dej Vue.

LG Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
NORIS Ich teste meine Höhenangst immer wieder ... nein ... gschmarri, sagt der Franke ... es ist wirklich unheimlich, in diese Tiefe zu schauen ... DANKE für den Kommi!
Liebe WE-Grüße
Heidemarie
Vor langer Zeit - Antworten
Enya2853 Das erinnert mich an diverse Klamms, die ich in Österreich besucht habe.
Wenn man da so oben steht und hinunterblickt in die tosenden Fluten, da kann dann wirklich in Momenten ein ungeheurer Sog auftreten. Zwischen Angst und Faszination ... ein Sich-Auflösen, ein Vergessen alles Irdischen.

Eine sehr eindringlich geschilderte Szene -der Wunsch, Grenzen zu übersteigen, sich frei zu fühlen.

Ich habe wirklich mitgezittert: Es wird doch nicht wirklich passieren?
Toll gemacht - bis zum Schluss.

LG
Enya
Vor langer Zeit - Antworten
NORIS Danke für diesen Kommi!
LG Heidemarie
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
13
0
Senden

165138
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung