Kurzgeschichte
Ihr Name war Flora

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"Ihr Name war Flora"
Veröffentlicht am 23. Mai 2020, 16 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Tatiana Navrotskaya - Fotolia.com
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Über den Autor:

Habe endlich einen Teil meiner Krimi-Kurzgeschichten veröffentlicht: "DELIKATE DELIKTE - geschehen in Norddeutschland" bei Bod, ISBN 9 7837 3224 7288 zu bestellen in jeder Buchhandlung oder bei mir oder bei Amazon
Ihr Name war Flora

Ihr Name war Flora

Ihr Name war Flora                     

Komm, heute kannst du mal wieder am Fenster sitzen. Dann fällt das Licht auf deine glänzenden Locken, deine Haut schimmert rosig, und die Farbe des Kleides, das wir heute gewählt haben, kommt viel besser zur Geltung. Aber schau nicht wieder so oft hinaus auf die Straße! Der junge Mann mit dem Porsche ist lange nicht mehr gekommen, und er wird auch nicht mehr kommen, schon gar nicht deinetwegen, das bilde dir mal ja nicht ein! Und du hast es doch gar nicht nötig, sieh mal, hast du es nicht gut bei mir?

Ja, ja, ich weiß, er hat einmal hoch

geschaut zu dir, und dann gleich noch mal, weil du wieder deine Glutaugen gemacht hast! Aber so geht das doch nicht! Das weißt du doch genau! Komm, sei lieb und hör mir zu! Ich habe doch nur noch dich, du bist mein Ein und Alles! Nicht so wie die Schlampe, die mich um meine Ersparnisse gebracht hat! Sie nannte sich Roxana Gold und wollte eine VIP-Boutique eröffnen! V-I-P, very important persons! Wenn ich das schon höre! Wie hat sie mir in den Ohren gelegen, was sie alles für tolle Leute kennt, aus München und aus Berlin und aus Düsseldorf und was weiß ich noch! Und die würden alle kommen, hierher, nach Groß Borstel, nur um IHRE

Klamotten zu kaufen, in IHREM Laden! Na klar, Roxana Gold mit der Gold-Boutique in Groß Borstel! Damals habe ich ihr doch tatsächlich geglaubt, ich dreimal bekloppter Trottel! Weißt du, wie die in Wirklichkeit hieß? He, hörst du mir überhaupt zu? Du solltest doch nicht aus dem Fenster gucken! Also, pass auf, die hieß einfach nur Karin Schmidt! Und weißt du, wo die her kam? Ja, genau, ich habe es dir  schon mal erzählt: Die kam geradewegs von der Reeperbahn und hatte Schiss vor ihrem letzten Zuhälter. Und dann hat sie die Sache mit dem Kredit eingefädelt und… na ja, den Rest kennst du ja. Komm, lass dich mal streicheln, dann setze ich gleich

den Kaffee auf.

Ja, ist lange her, und irgendwann hatte ich mich dann finanziell wieder ein bisschen berappelt. Mein Job ging ja wenigstens weiter, und ich vergrub mich darin richtig, um dieses freche Weibstück zu vergessen. Damals schwor ich mir, dass so was mir nicht noch einmal passieren würde. Ist dir auch nicht zu warm am Fenster? Soll ich den Vorhang vorziehen? Nein? Na gut, hast recht, du willst lieber rausgucken, ja? Aber du hörst mir doch zu, oder?

Ach, die Kaffeedose ist schon wieder leer! Warte, ich gehe eben nachsehen, ob noch ein Ersatzpaket da ist. Bleib schön sitzen! Ich meine doch, dass ich Kaffee

mitgebracht hatte beim letzten Großeinkauf. Heute gehe ich nicht raus, nein, nein! Brauchst gar nicht so zu gucken. Heute ist es im Supermarkt viel zu voll! Ich hasse es, wenn die Leute mich anstarren, weil ihnen vielleicht meine Jacke nicht gefällt. Wenn sie in meinen Einkaufswagen glotzen und darüber tuscheln. Wenn sie mir in der Schlange an der Kasse zu nahe kommen, mich anschubsen, am liebsten in mein Portemonnaie kriechen würden, um es mir vielleicht hinterher brutal weg zu reißen! Nein, nein, ich gehe lieber ganz früh am Samstagmorgen einkaufen... wenn die Leute noch alle faul in ihren Betten liegen, weil sie am Wochenende

ausschlafen wollen. Höchstens ein paar Rentner sind schon unterwegs, obwohl, - bei denen weiß man heutzutage auch manchmal nicht mehr so richtig, woran man ist.

Dann hätten wir eben heute Morgen Tee trinken müssen! Nee, aber hier ist der Kaffee, guck, ich bin schon wieder da. Hast du dich gelangweilt?  Du nimmst eine Tasse, wie immer, oder möchtest du heute zwei Tassen? Du bist bescheiden, ich weiß, und ich weiß es zu schätzen, das sag ich dir, mein Florachen, ganz bestimmt.

Was das anbetrifft bin ich schließlich ein gebranntes Kind. Da war diese Me…, wie hieß die doch noch, Me…, nein, Ma…,

ach, hilf mir doch mal! Du hast es vergessen, ist klar! Willst natürlich auch nicht an sie erinnert werden! Kann ich verstehen. Ich eigentlich auch nicht. Aber wenn ich hier schon beim Frühstückmachen bin, fällt sie mir eben manchmal wieder ein, dieses Monster von einer Frau! Nein, sie hieß weder Me… noch Ma.., sondern Selma. Ja, Selma hieß sie, jetzt fällt es mir wieder ein. Und sie fuhr Motorrad! -  Ich Idiot! Da hätte es gleich bei mir klingeln sollen! Eine Frau, die Motorrad fährt, vorne, auf dem Fahrersitz! Was glaubst du, was mit solchen Frauen los ist? Ja genau, sie sind Monster, nichts anderes! Immer musste ICH das Frühstück

machen, und auch zu den anderen Tageszeiten fühlte sie sich in der Küche nicht gerade wohl. Was die da manchmal zusammen brutzelte! Grauenhaft! Hab ich dir ja schon mal erzählt, weißt du noch? - He, Flora, hörst du mir überhaupt noch zu? Du bist schon wieder abgerutscht! Warte, ich helfe dir. - So, jetzt geht es wieder besser, was? Ja, schau nur aus dem Fenster! Er kommt heute nicht und wird auch morgen nicht kommen, das habe ich so im Gefühl, ein Bauchgefühl, wie ihr Frauen so gerne sagt. Ha, ha, aber wir Männer haben auch Gefühle, und das nicht zu knapp, sage ich dir! Dummerweise schwappten meine Gefühle bei dieser motorradfahrenden

Selma förmlich über! Ich war ja dermaßen verknallt in die, dass für mich nichts anderes mehr existierte als Selma, Selma, Selma - und ihr blödes Motorrad! Kannst du dir das vorstellen? Das ging solange, bis sie völlig überschnappte, und zwar auf der Fahrt nach Dänemark. Ich hatte überhaupt keine Lust zu verreisen, aber sie ließ ja nicht locker! Sie wollte unbedingt in dieses Ferienhaus am Öresund, und das sollte auch gar nichts kosten, weil es ihrer Tante gehörte und kurz vor der Renovierung stand, deshalb konnte es nicht mehr vermietet werden. Aber für uns hätte die Bruchbude wohl noch gereicht, ha,ha! Tja, leider kamen wir da

ja nie an, denn Selma kriegte endlich mal die Quittung für ihren höllischen Fahrstil! Ich leider auch, denn, du weißt ja, mein Bein…, aber dich, süße Flora, stört das doch nicht, oder? Dass ich eine Prothese trage und keine großen Sprünge mehr machen kann ist dir doch ganz egal, nicht wahr? Andere Frauen denken da ganz anders: Die faseln immer was von Tanzen gehen und Bergwandern und ob es denn im Bett überhaupt geht… Son Quatsch! Natürlich geht es im Bett, nicht Flora, du weißt es!

Und Selma, die an allem Schuld war, war ja dann weg vom Fenster. Ich konnte damals so schnell keine Hilfe holen, mein Bein tat doch so weh! Sie heulte

immerzu und blutete auch ziemlich doll, aber was konnte ich denn dafür? Als endlich ein Auto anhielt, war es schon zu spät. Den Ärger mit der Leiche hatte ich allerdings noch! Mein Gott, war das ein Umstand, - in Dänemark! Ich wollte dir das ja bisher gar nicht erzählen, weil ich dachte, dass es dich traurig macht, aber du hörst mir immer so geduldig zu, das mag ich so an dir! War ja auch kein großer Verlust, diese Selma. Viel schlimmer ist das mit meinem Bein. Natürlich hab ich meinen Job verloren durch die vielen Krankenhausaufenthalte. Dieses Schwein von einem Chef hat mich einfach gefeuert! Hat gesagt: So lange Krankheiten können wir uns hier nicht

leisten. Nicht mal: „Tut mir Leid!“ hat er gesagt. Das ist doch wohl das Mindeste, was einem in so einer Situation einfällt, oder was meinst du? So ein herzloses Dreckstück! Und woanders was finden? Hab ich ja alles versucht! 300 Bewerbungen hab ich geschrieben. Aber in meinem Alter und mit dem Bein? Nee, nee, nichts, aber auch gar nichts war für mich übrig auf dem deutschen Arbeitsmarkt.  Jetzt hab ichs aufgegeben, du weißt ja… Jetzt bin ich nur noch für dich da, und ich fühle es, du wirst mich nicht enttäuschen.

Bei Jaqueline, da war ich noch eifersüchtig! Die hat mich zur Weißglut gebracht mit ihrem Geflirte! Erst mit

meinem Freund Torsten, dann mit dem Kollegen vom Außendienst und dann noch der Kerl in der Kantine! Kannst du dir das vorstellen? Vor allen Leuten hat sie mich blamiert, als sie dem Lackaffen am Nebentisch schöne Augen gemacht und ihr Dekollete noch ein bisschen weiter runter gezogen hat. Weißt du, Flora, da ist mir einfach der Kragen geplatzt da hab ich zugeschlagen. Das kannst du bestimmt verstehen, oder? Das Geschrei war natürlich groß, die andern Leute fanden das wohl nicht so toll, aber schließlich war das doch nur eine Sache zwischen Jacqueline und mir! Und meinem Freund Torsten hab ich später auch noch meine Meinung sehr

nachdrücklich vermittelt. Den war ich dann los, genauso wie Jaqueline. Aber wozu brauche ich Freunde, wenn ich doch dich habe? Flora, - Flora? Hörst du mir noch zu? Wo guckst du denn schon wieder hin! Bist wieder abgerutscht! Warte, ich helfe dir. Verdammt, noch mal du Luder! Ist dieser Porsche-Angeber doch tatsächlich wieder aufgetaucht! Und glotzt! Du bist genau so ein Miststück wie alle anderen!

Er nahm das Steakmesser aus der Küchenschublade und stach zu, genau zwischen ihre üppigen Brüste. Sie erschlafften sofort. Dann bildeten sich tiefe Falten in ihrem Gesicht, ihr auf diese Weise geschrumpfter Kopf sackte

nach vorn. Ganz allmählich rutschte der gesamte Frauenkörper vom Stuhl auf den Küchenfußboden, begleitet von dem leisen Zischen, das entsteht, wenn einer lebensgroßen Silikonpuppe die Luft entweicht. Er hatte sie Flora genannt.

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