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DER LETZTE SEINER ART

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"Stellt euch das mal vor ..."
Veröffentlicht am 17. April 2020, 12 Seiten
Kategorie Sonstiges
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Über den Autor:

Ich wurde in einem kleinen Dorf bei Nürnberg geboren. Studium und Beruf brachten mich nach Baden Württemberg. Die etwa 35 Jahre im Dreiländereck waren genug. 1999 zog es mich in meine alte Heimat zurück und seither lebe ich in Fürth.
Stellt euch das mal vor ...

DER LETZTE SEINER ART

Der letzte seiner art

Bewundernd hält er den Eisblock im Arm. Das Licht im Inneren schimmert und glänzt bläulich wie eine Leuchtdiode. Der Mann kann sich nicht erinnern, jemals etwas Schöneres gesehen zu haben. Das ist auch schwierig in der Welt, in welche er geboren wurde.


Er neigt sich zu dem Ding: „Sag mal, wieso darf ausgerechnet ich dich im Arm halten?“

„Nun, du bist der Auserwählte, der ab sofort Rede und Antwort stehen muss für alles, das geschehen ist. Es gibt nur sehr wenige, die andere Besucher an eine längst vergangene

Zeit erinnern würden. Und du bist einer der wenigen Zeitzeugen.“

„Ich will aber gar nicht Zeitzeuge sein und schon gar nicht Auserwählter …“ Und nach einer Pause: „Sicherlich, alles hat sich so stark verändert. Du weißt selbst, wie krass diese Veränderungen sind. Nur dank unserer außerordentlichen Anpassungsfähigkeit und viel technischem Geschick ist es uns und unseren Mitbewohnern gelungen, uns in dieser Welt gut einzurichten.“

Mit Stirnrunzeln betrachtet der Mann das leuchtende Exemplar in seinem Arm.

„Deshalb bin ich auch der letzte meiner Art

und genau deswegen bist du der Auserwählte. Deine Lebensaufgabe ist es jetzt, mich zu schützen, koste es, was es wolle. Und darüber hinaus musst du Menschen finden, die diese Aufgabe auch in der Zukunft übernehmen.“

„Wieso ausgerechnet ich? Ich bin doch das schwächste Glied in der langen Kette.“

„Genau deshalb. Du weißt doch, dass große Kraft von kleinen Teilen ausgeht. Das hat auch dich die Physik gelehrt.“

„Und was willst Du damit sagen“, grummelt der Mann.

„Du kennst doch die Kraft des Atoms und seiner Elektronen …“ Das Leuchten des Dings wird intensiver.

„Jaja, ich will nicht lamentieren, aber es wird mir hinreichend schwer fallen, diese Aufgabe zu erfüllen. Viele technische Neuerungen machen uns das Leben leicht. Zum Beispiel erhalten wir auf Knopfdruck ein vitaminreiches Essen, welches man nach Geschmack, Lust und Laune phantastisch gestalten und kreativ anrichten lassen kann. Allerhand Farben, Aromen und Formen stehen zur Auswahl bereit, ganz zu schweigen von den Düften, die den Essern das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Und es mangelt uns

an nichts.“

„Tritt aus deiner Bequemlichkeit heraus. Ich weiß, wie schwer das ist. Aber ihr werdet das müssen, wenn ihr überleben wollt.“

„Aber alle sagen, dass das nicht notwendig ist und auch nichts bringt.“

„Paperlapapp. Du bist allzu leichtgläubig. Bald werdet ihr zu spüren bekommen, dass Technik nicht alles ist. Ihr werdet zu spüren bekommen, was euch fehlt. Deshalb tritt du aus dem Dunkel ans Licht. Werde du zum Influencer. Schare Anhänger um dich. Die wachsende Zahl wird mir bald recht geben.“

„Und wie soll das geschehen?“ Nach längerem Nachdenken: „Naja, wenn wir aufs Fliegen verzichten würden, könnten wir viel CO2 sparen, ebenso bei Kreuzfahrten. Auch gehört schon längst ein Tempolimit auf die Autobahnen. Aber die Autolobby … wir müssten nach Berlin marschieren und dort die Änderungen verlangen, vielleicht die Benutzung von Pkws ächten … meintest du, wir sollten die Macht an uns reißen, uns unseres Einflusses als Verbraucher bewusst werden?“

„Warum nicht? Nehmt Unannehmlichkeiten auf euch wie jene 16jährige es tat, die in aller Munde ist. Tritt aus deiner Bequemlichkeit

heraus, wage die Trommel zu rühren für das, was dir wichtig ist. Ich möchte wetten, du findest genügend Follower.“

„Da fällt mir ein: die Natur spaltet CO2 irgendwie auf. Ob Wissenschaftler eine Methode finden könnten, die auch im Großlabor funktioniert? Und Fassaden- und Dachbegrünungen verlangen? Kiesgärten dagegen verbieten? Und Protestbewegungen gründen … und mit den Füßen abstimmen wie damals vor dem Mauerfall? Vielleicht hast du Recht und wir sind wirklich zu träge geworden, weil es uns zu gut geht?“

„Das ist es gerade. Das hat euch überheblich werden lassen. Ihr werdet es bald bereuen.

Deshalb noch einmal: Werde zum Influencer, schare über die modernen Medien die Massen um dich, die sich ebenfalls begeistern lassen und aktiv werden.“

„Hm, ich sehe, wir brauchen andere, erneuerbare Energiequellen; mehr Sonnenenergie, die wir gefahrlos nutzen können anders als beim Atom; neu organisierten Individualverkehr; nachhaltigeren Landbau für unsere Ernährung. Eine Flut von Wissenschaftlern wird für diese neuartigen Aufgaben benötigt. Bei Erfindungen sind sogleich Recycling-Methoden einzuplanen, damit die Umwelt sauber bleibt und nichts verschwendet wird. In allem, was wir tun, sind die nachfolgenden

Generationen als Nutznießer mit einzuplanen. Oh, welch eine Flut von Arbeit und Investitionen wird da benötigt! Und Ökonomie soll nicht das höchste Ziel sein sondern soziales und ökologisches Denken. Gewinnstreben darf nicht länger das Lebensmotto sein sondern soziales Handeln wird belohnt.“

„Schaffst du es, diese Flut an Ideen langsam und überzeugend zu verbreiten, die richtigen Menschen mit deinen Gedankengängen zu infizieren, dir Millionen von Followern zu schaffen, die bereit sind, ihr gesamtes Wissen und all ihre Fähigkeiten einzusetzen? Dann ist mir um das Überleben der nachfolgenden Generationen nicht bange. Denn du und

deine Anhänger werden diejenigen sein, die auch für mein Überleben sorgen können, für mich, den letzten seiner Art. Den letzten Gletscher dieser Erde!“

©HeiO 21-10-2019

(Nach einem Bild: Mann mit Eisblock)

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NORIS
Ich wurde in einem kleinen Dorf bei Nürnberg geboren. Studium und Beruf brachten mich nach Baden Württemberg. Die etwa 35 Jahre im Dreiländereck waren genug. 1999 zog es mich in meine alte Heimat zurück und seither lebe ich in Fürth.

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