Sc 10.04.2020 Die Frau ohne Namen von Nepharit/ aka Flint Es war schon fast Dunkel. Und es wurde schnell kälter. Rugas blickte zum Himmel auf, über den schwarze Wolkenfetzen jagten. Ein Sturm zog auf. Das war schlecht. Denn Rugas war in einer verzweifelten Lage. Etwa eine halbe
Wegstunde zurück warteten seine 3 Reisegefährten. Deren Lage war noch verzweifelter, denn alle drei waren verletzt, nachdem sie von einer Steinlavine erwischt worden waren. Rugas war ausgesandt worden, um Hilfe zu finden. Doch bisher war er weder einem lebenden Menschen begegnet, noch hatte er Anzeichen gefunden die darauf hin deuteten, dass eine Siedlung in der Nähe war. Es war einfach unberührte Wildnis in einem Tal des Gebirges, welches sie überqueren mussten, um an ihr Ziel zu gelangen. Nun, damit sah es bis auf weiteres schlecht aus. Rugas versuchte zu entscheiden, was er zu tun hatte. Sollte
er umkehren? Allein? Das hatte nicht viel Wert. Weitergehen und auf das Beste hoffen? Ergab auch nicht mehr Sinn. Nun gut, er würde noch bis hinter den Felsvorsprung gehen, der ein paar hundert Schritt weiter gerade noch zu erkennen war. Möglichwerweise war von dort aus irgendetwas zu sehen, was ihn weiterbrachte. Das Licht schwand sehr schnell, dafür nahm die Kälte zu. Keuchend lehnte Rugas sich an den Granit. Nachdem er etwas zu Atem gekommen war, tat er die letzten Schritte um den Felsen herum.....Nichts hätte er weniger erwartet, als das, was sich seinen Blicken darbot. Die Szene war so bizarr,
dass der junge Mann förmlich erstarrte Vor ihm befand sich ein kleines Plateau, welches offensichtlich nach einem Felsensturz entstanden war. Auf einer Seite ging der Berg fast senkrecht in die Höhe, an der gegenüberliegenden Kante gähnte ein bodenloser Abgrund. Die fast ebene Fläche maß in etwa 20 auf 25 Schritte, der Boden war von großen Spalten durchzogen und in einer dieser Spalten war ein Balken gerammt worden. Am oberen Ende des Balkens war ein dicker Strick befestigt und an diesem Strick hing jemand. Eine Frau. Sie war splitternackt und war dergestalt gebunden, dass ihre Zehenspitzen so gerade eben noch den Felsboden
berührten. Ihre Arme waren nach oben gestreckt, ihr Kopf hing ihr auf die Brust, das Gesicht von ihrem langem, dunklen Haar verdeckt. Zögernd trat Rugas näher. Es schien niemand sonst in der Nähe zu sein, auch Spuren sah er keine..... Was mochte sie verbrochen haben, um so eine Strafe zu verdienen? Rugas sah keine Zeichen von Folter, oder Vergewaltigung....Seltsam....Wer immer die Frau dorthin gebracht hatte, hatte offensichtlich Angst vor ihr gehabt. Auch dass man sie nicht einfach getötet, sondern das den Kräften der Natur überlassen hatte, sprach dafür. Dazu dieses....Arrangement. Ganz klar eine
Abschreckung – aber warum so weit von allen Augen entfernt? Rugas hob den Arm und strich der unbekannten Frau vorsichtig das Haar aus dem Gesicht und sprang im nächsten Augenblich erschrocken zurück. Sie hatte die Augen geöffnet und sah ihn mit flehendem Blick an. Ihre Schmerzen mussten unerträglich sein. Kurzentschlossen zückte Rugas seinen Dolch und registrierte, wie die Frau entsetzt die Augen aufriss, doch dann schnitt er das Seil durch und sie fiel mit einem Laut der Qual in seine Arme. Behutsam ließ Rugas sie zu Boden gleiten . Sie war nicht mehr ganz jung, wohl so Mitte 30, aber sehr attraktiv, ihre Haut
glatt und hell, ihr Körper noch von keiner Schwangerschaft gezeichnet . Der junge Mann rief sich zur Ordnung, nahm seinen Umhang ab und hüllte sie darin ein, dann gab er ihr einen Schluck aus seiner Feldflasche. Sie hustete. Kein Wunder, in der Flasche war hochprozentiger Wachholderschnaps. Die Unbekannte schüttelte sich, doch dann richtete sie sich langsam und unter Schmerzen auf, sah ihn dankbar an. Ihre Augen waren leuchtend grün, die Brauen darüber fein geschwungen, mit einer angedeuteten Spitze. Die Nase prominent, hohe Wangenknochen, sehr volle Lippen mit einem sehr sinnlichen Schwung, schmales, aber gut geformtes
Kinn, welches auf einige Entschlusskraft hindeutete. Je länger Rugas sie betrachtete, desto gefiel sie ihm. Und jetzt? Nun hatte er eine Sorge mehr am Hals, aber er hatte sie nicht einfach dort hängen lassen können. Also würde er sie mitnehmen. Wer konnte schon sagen, was daraus werden würde? Er ergriff ihre Hände und zog sie vorsichtig, aber bestimmt auf die Füße. Sie biss die Zähne zusammen, aber sie konnte stehen und nachdem sie sich bei ihm eingehakt hatte, ging sie mit ihm... DA ! Was lag dort, hart am Rand des Abgrundes? Etwas rotes....Ein Handschuh? Einer der Henker musste ihn dort verloren haben. Wer trug rote Handschuhe?
Rugas hob ihn auf und steckte ihn ein... Eine gute Stunde später erreichte er mit der unbekannten Frau das Lager seiner Gefährten. Es war inzwischen stockdunkel und Rugas war froh, den Weg zurück gefunden zu haben. Rhobar und Leodik machten erstaunte Gesichter, als sie sahen, wen Rugas da anbrachte, sagten aber nichts. Gothas rührte sich nicht. Er war tot. Verblutet, trotz der Verbände. Er musste innere Verletzungen davongetragen haben. Auch den beiden anderen ging es schlecht. Rugas wusste nicht, ob sie die Sturmnacht überstehen würden. Immerhin hatten sie bis jetzt durchgehalten, das ließ hoffen,
oder? Die fremde Frau hatte sich während des Marsches etwas gefasst. Während Rugas Gothas Leiche mit Steinen bedeckte, sammelte sie Holz und entzündete geschickt mit Stahl und Stein ein Feuer. Rugas warf ihr Gothas´Rucksack zu. Sie untersuchte den Inhalt und streifte sich die Kleidungsstücke über, die darin gewesen waren. Nach und nach machte sie wieder den Eindruck von jemandem, mit dem zu rechnen war. Rugas nickte beifällig. Dann suchte er aus dem Reiseproviant etwas zum Abendesssen zusammen. Inzwischen versorgte die Fremde mit großem Geschick die Wunden von
Rhobar und Leodik. Sie hatte ganz offensichtlich Übung in sowas. Eine Heilerin also? Hmmm, das könnte hinkommen. Und die Christenpriester, die sich immer weiter im Lande verbreiteten wie ein Krebsgeschwür, hatten die unerwünschte Konkurrenz aus dem Weg schaffen wollen. Das sah ihnen ähnlich, diesen Predigern der Nächstenliebe! Rugas deutete auf sich, dann auf seine Begleiter : „Rugas! Rhobar, Leodik!“ Sie nickte, antwortete aber nicht, sondern vollendete den Verband um Leodiks Oberschenkel. Rugas dachte sich nichts weiter dabei. Wahrscheinlich verstand sie seine
Sprache nicht, aber das machte nichts. Ausserdem, er war losgegangen, um Hilfe zu holen – und das hatte er getan, dazu noch der Helferin selbst geholfen, die deswegen den Gefallen gern zu erwidern schien. Dass mit Gothas war Pech, aber da konnte man nichts machen. Jeder starb irgendwann. Jetzt mussten sie nur noch den Sturm durchstehen. Ein jäher Windstoß ließ das Feuer auflodern. Im flackernden Schein der Flammen, bekam die Schönheit der unbekannten Frau etwas Geheimnisvolles....Es war beinahe, als wären Rugas und seine Freunde ihre
Gäste. Die Gäste einer Pristerin, oder Zauberin.... An den Gesichtern seiner Reisegefährten konnte Rugas erkennen, dass die beiden ähnlich empfanden. Keiner von ihnen würde der Heilerin etwas antun. Im Gegenteil, sie waren alle drei froh über ihre Anwesenheit! Rugas konnte sich gut vorstellen, dass die Christenpriester sie fürchteten. Sie war irgendwie....Frau, Mutter, Schwester.....alles zugleich. Sie war alle Frauen, eine wahrhftige Verkörperung der Großen Mutter, die sowohl von Rugas , als auch von Leodik und Rhobar aufrichtig verehrt wurde. Mutter Erde und Vater Sonne, die Eltern der allgegenwärtigen Natur, als deren Teil
sich die drei Männer verstanden!Das waren göttlichen Mächte, die sie akzeptieren konnten! So hatten sie es gelernt und glaubten fest daran! Kein rachsüchtiger, alter Mann, vor dem man ständig kriechen musste! Der unsinnige Gesetze erließ, grausam strafte und seine „Kinder“ angeblich liebte! Ha! Die Frau erhob sich und riss Rugas aus seinen Gedanken. Was hatte sie vor? Sie sah sich um, schien sich an etwas zu erinnern, etwas ...zu suchen... Tatsächlich machte sie Rugas ein Zeichen, ihr zu folgen. Dieser tat, wie ihm geheissen und die Frau führte ihn ein kurzes Stück Weges zu einem
Höhleneingang. Es wurde besser und besser, fand Rugas. Sie gingen zurück und schafften Rhobar und Leodik in die kleine Grotte, dann holten sie das Gepäck und einige brennende Äste, sowie weiteres Feuerholz. Kaum hatten sie ihren Unterschlupf erreicht, da prasselte ein Sturzregen herab, wie es ihn nur im Gebirge gab. Seine Gefährten waren eingeschlafen. Rugas betrachtete die Frau , die ihm gegenüber mit untergeschlagenen Beinen auf der anderen Seite des Feuers saß und ihn ihrerseits musterte. Eine seltsame Situation. Geschah das alles wirklich? Oder war es ein Traum?
Rugas war nicht sicher. Sie hatte noch kein Wort gesprochen.Dennoch klappte die Verständigung bisher ohne Probleme. Erneut deutete er auf sich:“Rugas!“ Sah die unbekannte Frau fragend an.... Doch sie lächelte nur und schüttelte leicht den Kopf. Rugas seufzte ergeben. Was solls, dachte er, legte sich so bequem wie möglich hin und wickelte sich in seine Decke. Kurz darauf war er fest eingeschlafen. Das Vogelgezwitscher weckte Rugas und er richtete sich auf. Sein Rücken tat weh von der Nacht auf dem Felsgestein, aber das würde bald vorrübergehen, wusste
er. Dann sah er, dass die Frau verschwunden war. Obwohl er das halbwegs erwartet hatte, war er enttäuscht, doch er sparte sich die Mühe, hinaus zu gehen und sie zu rufen, oder zu suchen. Er wusste, sie war weg! Rugas weckte seine Gefährten, die sich erstaunlich gut erholt hatten. Das Wetter war wunderschön und so zogen sie langsam, aber guten Mutes weiter. Es ging bergab und sie kamen gut voran. Gegen Abend erreichten sie die Talsohle. Tatsächlich mussten sie sich fast genau unterhalb jenes Plateaus befinden, auf dem Rugas die Frau gefunden hatte. Und
dort bot sich den drei Wanderern ein schrecklicher Anblick. Unter einem Haufen Felsbrocken und Geröll ragten die sterblichen Überreste von mehreren Männern hervor. Sie mussten über den Rand des Plateaus gestürzt sein. Die drei Reisenden konnten die Leichen von sechs Männern unterscheiden. Vier waren wie Soldaten gekleidet, einer trug das schwarze Gewand eines Priesters und der sechste war in die purpurrote Robe eines Kardinals gehüllt. An seiner einen Hand trug er einen roten Handschuh. Rugas zog das Gegenstück dazu aus seinem Wams und warf es neben den Toten. Er nickte
zufrieden.
DAS war göttliche Gerechtigkeit!
Sie bedeckten die zerschmetterten Körper mit Steinen und setzten dann ihre Reise fort.
Sie würden niemals die ganze Geschichte erfahren, aber keiner von ihnen würde die Frau ohne Namen jemals vergessen....
ENDE