|| sechs ||
Der Tunnel kam mir ewig weit vor. Als ich erst mal den Weg zur Hütte geschafft hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als den Plan durch zu ziehen. Im Hintergrund hatte ich Gahoffs Schlachtschrei gehört. Jedoch nur auf meine Rettung fokussiert, lief ich so schnell ich konnte auf den Eingang des alten kleinen Holzhauses zu.
Es war seine Schuld, wenn er glaubte, dass er mich retten musste. Es war seine Schuld, dass er sich für mich opferte. Immer wieder kam mir der Gedanke, warum er das tat. Was ihm meine Befreiung brachte?
Ich war zwar eine tolle Valdir, aber was wollte er damit bezwecken, dass ich frei war?
Frei. Das Wort kam mir einerseits so fremd und andererseits so wunderschön vor. Niemanden umbringen zu müssen. Niemanden weh zu tun.
Woher kamen schon wieder diese Gedanken?
Mein Magen macht sich mit einem Knurren bemerkbar. Ich hatte seit Ewigkeiten nichts mehr gegessen und mein Mund war so trocken, dass ich nicht einmal mehr meine Lippen gut benetzen konnte.
Ich hielt mich an Gahoffs Wegweisung und nahm immer den linken Gang, wenn ich zu einer Abzweigung kam. Gleichzeitig fragte ich mich, wohin wohl die anderen Tunnel führten und ob Gahoff vielleicht in so einem verschwunden war, als wir unsere
Auseinandersetzung in der Gasse hatten.
Wusste noch jemand von den unterirdischen Gängen? Wusste der Anführer davon?
Hatte er bereits meine Flucht bemerkt? Ich irrte hier umher und war nicht einmal sicher, ob es überhaupt eine Flucht war oder der Weg ins Verderben. Würde jemand am Ende auf mich warten? Würden die Wachen auf mich warten oder jemand ganz anderes? War ich alleine? Sogar frei?
Frei. Frei war ich nun wirklich nicht, kam es mir wieder. Ich nahm Verrat an unseren Herren. Ich flüchtete und wurde sicher nach dieser ganzen Aktion verfolgt.
Und Gahoff? Wie würde er aus der ganzen Sachen wieder rauskommen? Würde ich ihn jemals wieder sehen?
Plötzlich sah ich ein Licht am Ende des Tunnels und freute mich endlich wieder aus den dunklen einengenden Gängen herauszukommen. Gleichzeitig fragte ich mich, was oder wer auf mich warten würde und übte mich in Vorsicht.
Sehr langsam kam die Valdirmaske wieder zum Vorschein. Meine Bewegungen wurden geschmeidiger, leichter, leiser und immer näher kam der Ausgang. Es gab nicht viel Gelegenheiten sich zu verstecken, wenn ich den Lichtschein betrat, war ich vollkommen schutzlos.
„Xanya?“, hörte ich ein leises Rufen nach mir.
Es war eine männliche Stimme. Eine Stimme, die ich schon mal gehört hatte. In meinen Kopf
drehte sich alles. Welche Erinnerungen verknüpfte ich damit?
Dann betrat ich das Licht. Ich blinzelte mit den Augen, um mich schnell an die neue Umgebung zu gewöhnen. Ich befand mich in einem Hinterhof, vor mir ein hohes Gestrüpp und hinter diesem eine Mauer. Es sah aus, als ob es die Grenze zum Marktplatz war und dass ich mich ganz außerhalb von Karrori befand und wenn ich mich nicht ganz täuschte, war das genau der Treffpunkt, wo sich Gahoff mit dem Unbekannten unterhalten hatte. Da wo ich ihm zugehört hatte, wie er von einem Plan sprach, von einem Verrat. Und dann viel es mir wie Schuppen von den Augen.
Diese Stimme. Diese männliche Stimme war der Typ mit dem der männliche Valdir
gesprochen hatte.
Der mysteriöse Typ mit der unvergleichbaren atemberaubenden Stimme, die in mir irgendetwas ausgelöst hatte. Gleich verdrängte ich diesen Gedanken wieder und machte mich bereit für einen Kampf.
Auch wenn er anscheinend auf mich gewartet hatte, versprach das wahrscheinlich nichts sonderlich Gutes. Er wusste also davon, dass ich eingesperrt war und das Gahoff mich retten wollte. Und er wusste, dass ich genau in diesem Gang rauskommen würde.
„Mach dich bereit!“, forderte ich ihn zum Kampf auf, obwohl ich nicht wusste wo er stand.
Warum hatte ich ihn beim Herauskommen nicht gesehen? Er hatte doch eindeutig in den Tunnel gerufen? Wo war er
…
Ich konnte meine Frage in Gedanken nicht mehr fertig spinnen, als mich plötzlich von oben etwas ansprang. Der enorme Druck ließ mich zu Boden fallen und er hatte solche Kraft, dass ich mich kaum wehren konnte. Auch hatte er natürlich den Überraschungsmoment für sich und meine körperliche Verfassung war zurzeit ohne Nahrung auch nicht die Beste oder erfand ich jetzt nur Ausreden, um die Peinlichkeit dieser Aktion zu vertuschen?
Eine Valdir einfach so zu Boden gestoßen?
Eine Valdir mit einem Moment verletzlich?
Eine Valdir die auf einmal so müde wurde?
Zu spät merkte ich, dass er mir ein mit Flüssigkeit getränktes Tuch vor das Gesicht hielt und ich die Umgebung immer
verschwommener wahrnahm, bis schließlich alles schwarz wurde.