Fast jeden Tag hängt sie vor unserem Laden. Eines abends, nach der Spätschicht, verabschiedete ich mich von meinem Kollegen, der gerade dabei war sein Fahrrad abzuschließen. In seinem Gesicht stand die Abneigung gegenüber dem Mädchen, welches es sich auf dem Fahrradständer gemütlich gemacht hatte. Sie saß da oben, eine Flasche Bier in der Hand und machte keine Anstalten zu gehen. Als ich zu meinem Kollegen: „Bis Morgen.“ zurief, blickte sie auf und lächelte mich an. Es war ein süßes, freundliches Lächeln. Hatte sie sich angesprochen gefühlt? Wer weiß.
Vielleicht war ihr auch einfach so gewesen. Viel sah ich von ihr nie, da sie immer ihre Kapuze aufhatte, die ihr halbes Gesicht verdeckte. Nur ihre Augen und ihr Lächeln konnte ich sehen. Und ich sehe es immer wieder, sobald ich meine Augen schließe. Am Tag darauf, auf dem Weg zur Arbeit, sah ich sie wieder. Sie kam mir entgegen. Langsam fuhr ich mit meinem Rad an ihr vorbei. Als sie mich sah, lächelte sie. Automatisch lächelte ich zurück. Sagte lautlos Hey, wie sie. Am liebsten wäre ich angehalten und hätte sie in eine kleine Unterhaltung verwickelt. Aber ich war schon spät dran. Hatte nicht einmal
einen Augenblick Zeit, um sie nach ihren Namen zu fragen. Ich schwor mir, am nächsten Tag überpünktlich loszufahren, um mit ihr ins Gespräch zu kommen. Aus irgendeinem, mir unbekannten, Grund wollte ich mit ihr plaudern; sie kennen lernen. Das Schicksal wollte es anders. Zwar hatte ich es geschafft, früher von mir loszufahren, dafür war sie nirgends zu sehen. Die ganze Schicht über hielt ich nach ihr Ausschau. Doch sie kam nicht. Und die Schicht zog sich in die Länge, da nicht all zu viel Betrieb war. Davon abgesehen, schweiften meine Gedanken immer wieder in ihre Richtung und ich fragte mich: warum? Wieso konnte ich
nicht aufhören an sie zu denken? Meine Depression hatte mich wieder. Ich dachte an das Mädchen und an mein Leben; an das Leben allgemein. Was für einen Sinn hat das Ganze? Es gibt Tiere, die werden im Frühjahr geboren und im Herbst gehen sie ein. Andere werden geboren und kurz darauf gefressen; oder geschreddert, weil es keine Eier legen kann. Als ich zu Hause ankam, hörte ich das leise Schnarchen meiner Exfrau. Sie schlummerte tief und fest in meinem Bett. Nachdem ich knapp zwei Stunden vor dem Fernseher gesessen hatte, legte ich mich zu ihr. Müde lag ich neben ihr und versuchte auf andere Gedanken zu
kommen. Doch sobald ich meine Augen schloss, sah ich ihre Augen wieder und ihr Lächeln. Was war nur los mit mir? Ich rückte näher an sie heran. Früher hatte ich mich mit Freuden an ihr gekuschelt. Fühlte mich wohl, an ihrer Seite. Doch diese Zeiten waren schon längst passé. Nichts reizte mich mehr an ihr. Kontakt hielt ich nur noch wegen unseren Kindern, zu denen wir gemeinsam, an jenem Samstag, fahren wollten. Dieses Mädchen war der Grund, warum ich nicht direkt nach Hause fahren wollte, sondern einen Umweg über meinen Laden machte. Gegenüber befand sich ein Drogeriemarkt, zu den ich
wollte. Ich hätte auch woanders hingehen können. In unserer Stadt gab es dutzende Filialen. Aber ich wollte dahin, um sie zu sehen. Doch leider wurde ich wieder enttäuscht. Keine Spur von ihr. Der Sonntag zog sich endlos in die Länge. Meine Wohnung hatte es nötig, aber ich konnte mich nicht dazu aufraffen. Mir fehlte die Lust zu jeglicher Tätigkeit. Mein Appetit hielt sich auch in Grenzen. Ich konnte es nicht erwarten, das meine Ex verschwand und der Tag sich dem Ende zuneigte. Irgendwie bereute ich es auch, das ich Urlaub genommen hatte. Während meines Urlaubs hatte ich keinerlei Interesse meine Arbeitsstätte zu
sehen. Der Zufall wollte es, das ich am Montagnachmittag noch einmal in die Drogerie fuhr. Wieder hielt ich nach ihr Ausschau und sah sie nicht. Und obwohl ich damit gerechnet hatte, das ich sie nicht sehen werde, spürte ich eine Schwermut. Langsam erledigte ich meinem Einkauf. Es war nicht viel. Nur ein einzelner Artikel. Daher ging es sehr schnell. Als ich wieder herauskam, fing es an zu tröpfeln. Im nächsten Augenblick sah ich sie ankommen. Sie ließ sich zwischen zwei Abfalleimern nieder und machte nichts. Nervös schloss ich mein Rad ab und fuhr langsam auf sie zu. Ich hatte
endlich die Chance bekommen mit ihr zu reden. Doch was sollte ich sagen? Was konnte ich sagen, ohne das sie sich angegriffen fühlt oder beleidigt? Auch wenn sie auf mich den Eindruck machte, das sie auf der Straße lebte und niemanden hatte, hieß es nicht, das dem auch so war. Vielleicht wollte sie einfach nur alleine sein und in Ruhe gelassen werden. Zögernd fragte ich sie, weil mir nichts besseres einfiel, ob sie etwas brauche. Sie sagte, das sie nichts brauche. Zum ersten Mal hatte ich deutlich ihre Stimme gehört und ich fand sie wohlklingend. Leider fiel mir nichts weiter ein, was ich hätte sagen können.
Jedenfalls nicht, als ich vor ihr stand. Erst weit danach kam ich auf die Idee, sie nach ihrem Namen zu fragen. Oder die Standardfrage zu stellen: „Wie geht es dir?“ Doch zu jenem Zeitpunkt, als ich hätte können, war mein Kopf leer gewesen. Nicht einmal auf das beliebte Smalltalkthema Wetter war ich gekommen, obwohl es fleißig getröpfelt hatte. Es wäre so ein perfekter Einstieg gewesen. Zumindest durfte ich ihre Stimme hören und war in kein Fettnäpfchen getreten. Ich war extra mal früher los gefahren, als üblich, mit der Hoffnung, sie wieder zu sehen. Wie sie heißt, weiß ich nicht.
Eigentlich weiß ich gar nichts über sie. Lediglich, das sie sich in der Nähe meines Arbeitsplatzes herumtreibt und meist ein alkoholisches Getränk in den Händen hält. Interesse an ihr habe ich, nach dem sie mich einmal angelächelt hatte. Sie saß auf einem Fahrradständer, an dem das Rad meines Kollegen angeschlossen war. Sein Blick sprach Bände. Zu dem Zeitpunkt hatte ich es aber nicht registriert. Es war spät, dunkel, mir taten die Füße weh und ich wollte einfach nur nach Hause. Ich sagte: „Bis Morgen.“, in die Runde, da hatte sie mich angesehen und angelächelt. Also hatte ich noch ein „Ciao“ hinterher geschoben. Seit dem
Grüßen wir uns jedes Mal, wenn wir und sehen und lächeln und schenken uns gegenseitig ein Lächeln. Meine Arbeit ist ziemlich eintönig. Jeder Tag ist ziemlich gleich. Auch die Kunden. Eine Abwechslung wäre, wenn ich die Abteilung wechseln würde. Doch mein Chef erlaubt das nicht. Die Gründe sind mir unbekannt. Ich hatte ihn mal gefragt; seine Antwort war sehr ausweichend. Wie immer, eigentlich. Ein paar mal hatte ich Verbesserungsvorschläge gemacht. Auch da gab er nur ausweichende Antworten. Deshalb rede ich so ungern mit ihm. Bin froh, wenn ich Spätschicht habe, weil ich ihn dadurch nicht sehe. Außerdem stört
mich sein Geiz. So vieles müsste in dem Laden repariert oder neu angeschafft werden, aber er gibt sein Geld lieber für unnötige Dinge aus. Macht den Laden noch unübersichtlicher, in dem er das Angebot stetig erweitert. Wenn er gleichzeitig das Lager vergrößern würde, damit wir alles unterkriegen, ohne das es uns im Weg steht. Bei der Lohnzahlung ist er ebenso geizig. Ja keinen Cent mehr, als nötig, zahlen. Ich wollte ihm den Vorschlag machen, die Bettler, die sich immer mal wieder vor unserem Laden nieder lassen, die Chance geben, in Arbeit zu kommen. Fürs Image wäre es gut. Denn es würde garantiert nicht lange geheim bleiben,
das sozial schwache bei ihm eine Chance erhalten. Doch da ich seine Antwort darauf schon kenne, spare ich mir die Spucke. Den ganzen Tag hielt ich nach ihr Ausschau. Sie war nirgends zu sehen. Und der Arbeitstag zog sich in die Länge. Hätte ich eher gewusst, das ich sie nicht sehen werde, wäre ich wieder kurz vorm Pfiff losgefahren und hätte mich fünf Minuten vor Arbeitsbeginn eingestochen. Dabei wollte ich doch unbedingt mit ihr reden. Etwas über sie erfahren und ihr den Vorschlag machen, sich bei meinem Chef zu bewerben. Da es viele Mitarbeiter gibt, die schon nach kurzer Zeit wieder das Handtuch werfen,
hätte sie gute Chancen genommen zu werden. Ihre Bewerbung hätte sie bei mir schreiben dürfen. Und wenn sich mein Verdacht bestätigt hätte, das sie auf der Straße lebt, hätte ich ihr meine Adresse zur Verfügung gestellt. Leider hatte ich sie nicht angetroffen. Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich ihr Augen - ihr Lächeln. Ich frage mich, warum ich so intensiv an sie denken muss. Da ich bis heute ihren Namen nicht kenne, nenne ich sie, für mich, „Spanish Eyes“. Denn jedes Mal, wenn ich an sie denke, was sehr häufig der Fall ist, sehe ich vor allem ihre Augen; ihren Blick.
Wenn sie mich sieht, lächelt sie mich an und ich lächele automatisch zurück. Ich kann nicht anders. Es ist wie ein Reflex. Jeden Tag, wenn ich auf Arbeit fahre, hoffe ich sie zu sehen. Und wenn ich sie sehe, denke ich, heute ist ein guter Tag. Es klingt verrückt. Und genauso ist es auch. Wer sie schon einmal gesehen und erlebt hat, greift sich an den Kopf. Mir hat sie ihn verdreht. Wie sie es geschafft hat, wird sie selbst nicht wissen. Sie weiß auch noch gar nichts davon, weil ich zu feige bin, es ihr zu gestehen. Wobei „Vorsichtig“ wohl angebrachter wäre. Heute waren es über dreißig Grad Celsius und sie war angezogen, wie
immer. Langärmliges, schwarzes Sweatshirt, lange Hose, Schuhe und die Kapuze auf, weswegen ich nie so richtig ihr Gesicht sehen kann. Es macht sie auf eine Art geheimnisvoll. So lag sie halb, halb saß sie. Eine Frau gab ihrem Kind eine Flasche Wasser für sie. Doch barsch gab sie die Flasche zurück und murmelte Beleidigungen für jene Frau, die es doch nur gut gemeint hatte. Nur wenige Augenblicke später fragte sie freundlich eine andere Frau, ob sie einen Euro für sie habe. Sie bekam eine Münze von ihr. Welche, das weiß ich nicht. Zumindest war sie freundlich geblieben. Maulte diesmal nicht und stieß auch
keine Schimpfworte aus. Nach dieser Szene überlegte ich genau meine Worte, um ihr keinen Grund zu geben auf mich wütend zu werden. Schließlich wollte ich ihr näher kommen, sie kennenlernen und erfahren, was mit ihr ist. Deshalb fragte ich sie vorsichtig, ob ich ihr auch etwas geben darf, während sie ihr Kleingeld zählte. Doch anstatt mir eine Antwort zu geben, stand sie wortlos auf. Ich folgte ihr in den Laden, wo ich arbeitete. Dort gab sie erst mal ihr Leergut ab. Dann zählte sie wieder ihr Geld. In meiner Hosentasche hatte ich noch einen frisch gezogenen Leergutbon, den ich ihr freundlich lächelnd hinhielt.
Ich machte nicht viele Worte, um nur nichts falsches zu sagen. Mit ihrer Engelsstimme sagte sie Danke. Ich fragte sie vorsichtig, ob sie es sich überlegt habe, sich hier zu bewerben. Ihre Antwort: „Ich möchte nicht.“ Darauf sagte ich: „Ich kann das gut verstehen.“ Nach einer Pause fügte ich hinzu, das ich es Schade finde; ich mich gefreut hätte. Äußerlich war ich ruhig und gelassen. Aber innerlich war ich angespannt. Mein Herz schlug hart gegen meine Rippen und meine Atmung war ziemlich flach. Als sie im Laden war, sah ich in meinem Portemonnaie nach einem weiteren Leergutbon und fand auch einen. Den gab ich ihr, als sie sich in der Schlange
anstellte, mit den Worten: „Ich vergess den immer abzugeben.“ Was der Wahrheit entsprach. Wieder bedankte sie sich freundlich bei mir. Am liebsten wäre ich stehen geblieben und hätte ihre Dose bezahlt, aber ich musste meiner Arbeit nachgehen. Ihretwegen wollte ich mir keinen Ärger einhandeln. Ich habe mehrfach festgestellt, das ich einen Mindestabstand zu ihr halten muss, ansonsten bekommt sie Panik. Jedenfalls ist das mein Eindruck. Und nach dem Tag habe ich mir vorgenommen mich langsam an sie heranzutasten. Ganz langsam ihr Vertrauen zu gewinnen. Ich bin mir sehr sicher, das irgendwann in ihrer Vergangenheit etwas vorgefallen war,
weshalb sie jetzt so ist, wie sie ist. Wie lange ich sie nicht mehr gesehen hatte, kann ich nicht genau sagen. Mir kam es vor, wie eine halbe Ewigkeit und ich hatte irgendwie das Gefühl, das es meinetwegen war. Glaubte fest daran, das ich sie genervt hatte. Denn während ich sprach und fragen stellte, kamen von ihr, wenn überhaupt, nur einsilbige Antworten. Mehrmals täglich hatte ich mich dabei erwischt, wie ich nach ihr Ausschau hielt. Ich verstand mich selber nicht. Doch mit jedem Tag ließ es ein wenig nach. Gab die Hoffnung immer mehr auf, sie jemals wieder zu
sehen. Dann, aus heiterem Himmel, sah ich sie wieder. Das Atmen fiel mir schwer und mein Herz schlug hart gegen meine Rippen. Ich war so was von aufgeregt sie wieder zu sehen. Hatte so viele Fragen, die ich ihr stellen wollte. Doch meine Angst, das sie mir ganz ausweicht und mit mir nichts mehr zu tun haben will oder gar ausflippt, war zu groß. Auch wenn ich sie nicht wirklich kannte, wusste ich dennoch das ihre Stimmung schnell umschlagen kann. Von lieb und nett zu einer Furie. Und genau das wollte ich nicht. Deshalb blieb es nur beim Lächeln und einem Hey. Hinterher fluchte ich über mich selbst, das ich
wieder einmal so ein Feigling war. Dabei wollte ich wissen, wie sie heißt und ihr anbieten zu mir zu kommen, um sich und ihre Klamotten zu waschen und wenn sie wollte, bei mir auch übernachten. Am Morgen danach sah ich sie zufällig wieder. Sie saß ganz allein auf einer Bank. Eigentlich wollte ich eine Haltestelle weiter fahren und dort Frühstück holen. Aber als ich sie zufällig dort sitzen sah, änderte ich spontan meine Pläne und stieg aus der Bahn. Wieder nur ein Hey und ein Lächeln. Dann setzte ich mich auf ihre Bank, wobei ich gebührenden Abstand zu ihr hielt. In Gedanken stellte ich mir vor, wie ich ganz lässig mit ihr
kommunizierte und zu mir einlud. In der Realität steckte ich meine Nase in mein Buch. War meine Angst begründet? Anscheinend wollte das Schicksal einiges nachholen. Denn nach dem ich sie am Morgen gesehen hatte, liefen wir uns am Nachmittag wieder über den Weg. Natürlich freute ich mich darüber, da sie eine einfache Kundin ist. Sie bringt keine riesige Sammlung an Leergut, macht kein Stress, weiß was sie will und sie klaut nicht. Meine Kollegen trauen ihr ja nicht über den Weg. Aber was interessieren mich die anderen. Am Samstagabend wurde mir wieder die Chance gegeben mit ihr ins Gespräch zu kommen. Ich nutzte sie, als ich meine
Müllrunde drehte, indem ich sie fragte, wie es ihr geht. Die ultimative Standardfrage. Sie gab sogar Antwort. Doch leider verstand ich sie nicht, weil sie so undeutlich sprach. Also bat ich um Wiederholung. Dabei verstand ich genauso wenig. Ich vermied es aber, noch einmal nachzufragen. Dafür hatte ich keine Zeit. Außerdem wollte ich sie nicht nerven. Wir waren alle froh, als es endlich Feierabend war. Für einen Samstagabend waren wir eindeutig zu Wenige. Vor allem in meiner Abteilung. Denn da war ich ganz allein. Durfte Ware auffüllen, mich gleichzeitig ums Leergut kümmern, die Mülltonnen im und vorm Laden
leeren und einiges mehr. Was blieb anderes Übrig? Von sechs Mann war einer krank und zwei hatten Urlaub. Wir anderen drei teilten uns die Früh-, Mittel und Spätschicht und machten nebenbei jede Menge Überstunden. Außerdem hatten wir keinen freien Tag. Zu meiner Überraschung saß sie immer noch vorm Laden. Ich machte einen kleinen Scherz, von wegen das ich abgeholt werde. Außer einem Grunzen kam keine weitere Reaktion von ihr. Einen Moment lang hatte ich sogar tatsächlich geglaubt, das sie auch mich wartete. Zu viert standen wir unter Dach und unterhielten uns. Mein Blick ging immer
wieder zu ihr. Sie saß da, ganz allein und führte Selbstgespräche. Meine Kolleginnen wussten in der Zwischenzeit Bescheid, das ich Interesse an dem Mädchen hatte. Wir sprachen kurz über sie. Mich freute es, das sie nicht abwertend über sie sprachen und in Betracht zogen, das ihr was zugestoßen war, weswegen sie jetzt so war, wie wir sie antrafen. Todesfälle, Missbrauch, Vergewaltigung… Wir wechselten das Thema. Kamen von Einem zum Anderen. Meine Augen wanderten immer wieder in ihre Richtung. Ich fragte mich, was in ihr vorging. Irgendwann war es so weit. Wir standen
nur noch zu zweit da. Ich wollte grad zu dem Mädchen gehen, als mich meine Kollegin darauf hinwies, das ich mich von ihr ordentlich verabschieden soll. Sie hatte ja Recht. Schließlich standen wir uns ziemlich nahe. Vertrauten uns gegenseitig. Endlich war ich allein mit ihr. Ich war völlig aufgeregt und überlegte meine Worte ganz genau. Sie wollte eine Zigarette, doch da ich nicht rauchte, konnte ich ihr keine geben. Dann fragte sie nach Feuer. Das konnte ich ihr geben, da ich mir angewöhnt hatte, stets eines mit mir zu führen. Eine meiner Kolleginnen hatte die Angewohnheit, ihr Feuerzeug tief in ihrer Handtasche zu
vergraben. Irgendwann hatte ich ihr versprochen, das ich zukünftig stets ein Feuerzeug in der Tasche haben werde. Und dieses Versprechen habe ich bis Heuer nicht gebrochen. Die Zigarette konnte sie kurze Zeit später von einer Dame schlauchen, die mit ihrer Freundin an uns vorbeilief. Ich bot ihr meine Visitenkarte an, die sie ablehnte. Dabei erfuhr ich, das sie nicht telefonieren durfte; oder konnte sie nur nicht? Außerdem erzählte sie mir grob und wirsch, das sie mit einem älteren Typen wohne. Wenn ich es richtig verstanden und in Erinnerung habe, dann kann sie da nicht mal eben so rein und raus, wie sie
will. Als sie sich bewegte, fielen ihr ein paar Münzen aus der Tasche. Ich half ihr beim Aufsammeln. Zu meiner Überraschung war Kleingeld nicht das Einzige, was aus ihren Taschen gefallen war. Sie hatte es bemerkt, machte aber keine Anstalten die Nadeln vor mir zu verstecken. Sie lagen mehrere Sekunden neben ihr und ich dachte, das es so einiges Erklären würde. Die Tage, an denen sie kichernd und lachend auf dem Boden lag. Beim Anblick der Nadeln war ich nicht schockiert, sondern traurig. Sie rauchte, trank und nun durfte ich auch noch feststellen, das sie Drogen nahm. Ich verlor kein Wort darüber. Zu einem
späteren Zeitpunkt würde ich sie darauf sanft ansprechen wollen. In jenem Moment hatte ich Bilder im Kopf, wie sie vollgepumpt mit Drogen auf dem Rücken liegt und es über sich ergehen lässt. Wie sehr hoffte und hoffe ich, das ich mich irre. Ich hatte sie gefragt, ob wir zu mir gehen wollen. Sie fragte, was wir dort dann machen. Mir fiel nichts ein. Daher fragte ich sie, auf was sie Lust hätte. Sie fragte, ob ich eine Zocke hätte. Eine Erklärung, was eine Zocke ist, bekam ich nicht oder ich hatte es nicht verstanden. Um nicht Gefahr zu laufen, etwas Falsches zu sagen, schwang ich mich auf mein Rad und verabschiedete mich mit
den Worten: „Lass es dir gut gehen.“ Mein Interesse an ihr ist nach dem Gespräch gestiegen. Es muss etwas sehr Schlimmes vorgefallen sein. Ich kann mir nicht vorstellen, warum sie sonst so viele Gifte in ihren Körper pumpt. Dreizehn ganze Tage war es her, das ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Meine Hoffnungen, sie jemals wieder zu sehen, versuchte ich im Keim zu ersticken. Ich wollte mir selbst nicht weh tun. Dennoch hielt ich jeden Tag nach ihr Ausschau. Fragte mich, wie es ihr geht. Ob sie meinetwegen nicht mehr kommt. Hatte ich irgendwas gesagt, getan, was ihr nicht gefiel? Irgendwie hatte ich das
Gefühl, das sie meinetwegen den Laden meidet; das sie mich meidet. Wäre nicht das erste Mal, das ich nicht mitbekam, das ich etwas Falsches machte. Sie fehlte mir. So wenig ich auch von ihr wusste, so sehr vermisste ich sie. Und nicht nur, weil ich mehr über sie erfahren wollte. Es war ihre Art. Ihr Wesen. Auch wenn es häufig nur ein Augenblick war...Ihr Lächeln, welches sie mir stets schenkte, vertrieb für diesen Zeitraum all meine Sorgen und meinen Frust. Je mehr Tage vergingen, desto weniger hielt ich nach ihr Ausschau. Doch aufhören an sie zu denken, das schaffte ich einfach nicht. Am Abend des dreizehnten Tages sah ich jemand auf der
Bank sitzen. Ich starrte ein paar Sekunden durch die Schaufensterscheibe. Schwarz und ohne Rucksack. Auf gar keinen Fall war sie es, dachte ich. Wenige Stunden später, als der ersehnte Feierabend endlich gekommen war, sollte ich feststellen, das ich mich geirrt hatte. Mein Herz schlug schnell und hart gegen meine Rippen. Ich war nervös und nicht fähig sie in irgendeiner Art und Weise anzusprechen. Dabei hatte ich einige Fragen an sie, zum Beispiel wegen der Nadeln, die ich letztens bei ihr gesehen hatte. Nach ihren Namen wollte ich fragen. Und ob sie sich meinetwegen hat nicht mehr blicken lassen. Abgesehen von meiner Aufregung, hielt
mich noch etwas ab, sie anzusprechen. Sie sprach mit sich selbst. Laut und undeutlich. Ein paar Minuten lang stand ich einfach nur da und versuchte meinen ganzen Mut zusammen zu kriegen, um sie endlich anzusprechen. Zwölf Tage zuvor hatte ich von meiner Ex zwei Zigaretten geschlaucht. Jeden Tag hatte ich sie mit auf Arbeit genommen, um sie ihr zu geben. Doch da sie ja nie erschienen war… Nun war der Moment gekommen und ich war völlig von der Rolle. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich die Selbstgebastelte Schachtel aus meiner Tasche geholt und die zwei Zigaretten in meiner Hand hatte. Meine Hände zitterten so sehr, das ich die
Zigaretten beinahe hätte fallen lassen, beziehungsweise kaputt gemacht hätte. Mich wunderte es, das vor ihr eine Flasche Wasser stand. Normalerweise trank sie Beamcola oder andere alkoholische Getränke. Beim ersten bewussten Sehen hatte sie eine Flasche Bier in der Hand gehabt. Da ich ausgegeben hatte und meine Kollegin ebenfalls – wir hatten uns nicht abgesprochen gehabt – konnte ich freizügig sein und ihr ein Bier anbieten, welches sie aber nicht wollte. Dafür nahm sie eine Cola. Jetzt, im Nachhinein, bin ich ihr dankbar dafür, da mir regelmäßig schlecht wird, wenn ich eine Bierfahne
rieche. In unserem Geschäft befindet sich eine Backfiliale. Die hat draußen, vor der Tür, zwei Bänke mit Tischen stehen. Auf der rechten Bank saßen meine Kollegen, auf der Linken saß sie. Mit meinem gesamten Mut packte ich meinen Körper neben sie. Hielt aber gebührenden Abstand, um sie nicht zu vertreiben. Es gab noch so viel, was ich über sie nicht wusste, aber von ihr wissen wollte. Ich sah es als kleinen Sieg, das sie meine Cola angenommen und es zugelassen hatte, das ich mich neben sie setze. Aber wenn ich jetzt zurückblicke, stelle ich mir die Frage, ob sie mich überhaupt wiedererkannt hatte. Sie hatte nichts zu
den Zigaretten gesagt. Normalerweise bedankte sie sich für alles. Diesmal… Sie redete und ich versuchte zuzuhören. Doch meine Kollegen am Nachbartisch waren lauter und sie selbst sprach ziemlich leise. Ein paar Mal hatte ich sie gefragt, ob sie lauter sprechen könnte, da ich sie nicht verstehe. Aber sie blieb bei ihrer Lautstärke. Daher bekam ich nur ein paar Fetzen von dem mit, was sie sagte. Zwischendurch fragte sie mich, ob ich verstehe und sah mich dabei an. Doch die Frag war eher rhetorischer Natur gewesen. Sie war in ihrer eigenen Welt. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob sie wirklich mitbekommen hatte, das ich real neben ihr saß und ihr zuhörte. Denn
ab und an schaute sie in irgendeine Richtung und es schien, als würde sie mit jemanden reden. Sie sprach von Kosovo, Wasserleichen, traumatisierten Kindern, Gefangenschaft. Außerdem von einem Krankenhaus, Stickstoff im Reagenzglas und Nanobots. Die sollte ich mir wie Saugroboter oder Mähroboter vorstellen. Jene sollen Sauerstoff aufsaugen. Wie gesagt, hatte ich kaum was verstanden. Es lag aber nicht nur an der geringen Lautstärke und den Umgebungsgeräuschen, sondern auch daran, das sie, so klang es zumindest für mich, lallte. Irgendwas von Alkohol hatte sie auch erzählt. Eine Flasche Wodka in zehn Minuten, oder so ähnlich.
Dann noch was mit drei Promille, wo ich mich fragte, ob sie von sich sprach. Das ganze Thema war für mich verwirrend gewesen. Ich wusste nicht, was genau sie mir sagen wollte, von was sie sprach. So sehr ich mich auch auf sie konzentrierte, ich verstand so gut wie gar nichts. Etwa eine Stunde hatte ich neben ihr gesessen und ihr zugehört. Mir war kalt und dadurch hatte ich mich auch versteift. Als meine Kollegen aufstanden, stand auch ich auf. Ich holte mein Fahrrad und kam noch einmal zurück, um mich von meinen Kolleginnen richtig zu verabschieden. Das heißt, umarmen, drücken, Bussi auf die Wange. Eigentlich wollte ich das Mädchen auch umarmen,
aber ich getraute mich nicht. Sie war eh nicht wirklich dagewesen. Wenigstens hatte sie mir geantwortet, als ich sie fragte, ob sie mich morgen wieder abholt. Versprechen konnte sie nichts. Ich nahm es als Nein. Der Gedanke an sie und was ich von ihr gehört hatte, ließ mich lange wach bleiben. Tausend Fragen und tausend Bilder kreisten durch meinen Kopf und ließen mich nicht zur Ruhe kommen. Vor eineinhalb, zwei Jahren hätte ich mich Alkohol betäubt. Doch diese Zeiten sind passé; Geschichte. Nie wieder Alkohol. Lieber bleibe ich die ganze Nacht wach und trete gerädert meine Schicht
an. Tage, die mir endlos vorkamen, waren vergangen, als ich sie das nächste Mal sehen durfte. Ich wollte ihr sagen, das ich das letzte Mal kaum etwas verstanden hatte, weil sie in entgegengesetzter Richtung gesprochen hatte; ich mich aber dafür brennend interessiere, was sie und ihre Person betrifft. Während ich am Kühlschrank stand, um ihm aufzufüllen, dachte ich die ganze Zeit an sie. Dachte daran, wie oft ich sie hier an dieser Stelle sah und sie mich angelächelt hatte. Plötzlich kam sie wirklich. Es ging alles sehr schnell. Als sie sich bückte, sagte ich in einer Art
Befehlston, der lustig klingen sollte: Guten Tag. Kaum hörbar und in einem Ton, der mir sagte, das ich sie in Ruhe lassen sollte, kam ein „Tag“ zurück. Meine Frage, ob sie schlechte Laune habe, hörte sie schon gar nicht mehr, weil sie schon wieder weg gewesen war. Daraufhin beendete ich fix meine aktuelle Aufgabe, holte mir den Müllschlüssel und die Rolle Müllsäcke und ging hinaus. Da saß sie schon und trank ihre Flasche. Ich wechselte schnell die Müllsäcke und ging an ihr vorbei, zum Container. Sie sah auf und lächelte mich an. Ein süßes, herzerwärmendes Lächeln, welches meine Mundwinkel nach oben bog. Sobald ich meine Säcke
entsorgt habe, dachte ich, werde ich mich ein paar Minuten mit ihr unterhalten. Doch daraus wurde nichts. Als ich wieder um die Ecke kam, war sie schon weg gewesen. Eine halbe Stunde vor Ladenschluss durfte ich für meine Kollegin und mich einkaufen gehen. Da in meiner Abteilung nicht so viel los gewesen war, lag ich sehr gut in der Zeit. Konnte ganz in Ruhe einkaufen gehen. Kaum war ich in meiner Abteilung angekommen und mein Einkauf so gut wie beendet, sah ich sie wieder. Wenige Sekunden später stand ich genau hinter ihr an der Kasse. Mir stieg ein unangenehmer Geruch in die Nase, der aus ihrer Richtung kam. Mich
störte es gar nicht. Erstens war ich es von meinem Vater gewöhnt. Zweitens stank es in meinem Leergut teilweise schlimmer. Wieder hatte sie das warme Lächeln für mich über. Ich fragte sie, ob sie ihr Getränk zu meinem Einkauf stellen möchte. Sie verneinte. Einen Moment später, stand Panik in ihrem Gesicht. Sie suchte in all ihren Taschen nach weiteren Kleingeld. Leises Fluchen. Ich zog mein Portemonnaie und sagte ihr, das ich sie Auslöse. Drückte es meinem Kollegen an der Kasse in die Hand. Sie sagte deutlich und mit Nachdruck Nein. Ich sagte ihr, das sie es als Vorschießen sehen soll und das sie entscheiden darf, ob ich es
vorschießen und sie es später zurück zahlt, oder ob sie sich von mir ausgeben lässt. Mein Kollege sah zwischen uns hin und her. Fragte, ob er das Geld aus meinem Portemonnaie heraus holen soll, oder nicht. Ich sagte ihm, das er es tun soll. Dann sah ich eine Pfandflasche aus ihrer Tasche lugen. „Ich kann sie dir entgegennehmen.“, sagte ich. Sie schüttelte nur mit ihrem Kopf und lief damit zum Pfandautomat. Mit dem Bon kam sie zurück und streckte ihn mir entgegen. Sagte Danke. Um sie nicht zu verärgern, nahm ich die acht Cent entgegen und sagte ihr, das ich es nicht für jeden
tue. Viertel elf sah ich sie noch draußen sitzen. Aber erst halb elf durfte ich den Laden verlassen. Währenddessen war sie schon gegangen. Ich hatte es durch die Schaufenster beobachten können. Am liebsten wäre ich ihr hinterher gerannt. Aber sobald der letzte Kunde den Laden verlassen hat, wird die Tür verschlossen. Niemand kann rein und keiner kann raus. Wir sind Gefangene. Zufall? Schicksal? Wenn meine Kollegin mir nicht eine Cola ausgegeben hätte, wäre ich sofort nah Schichtende nach Hause gefahren. So aber war ich geblieben. Und wenn sie nicht erwähnt
hätte, das sie zufällig das Mädchen gesehen hatte, als sie mit ihrem Rad auf Arbeit fuhr, wären wir wahrscheinlich an diesem Abend nicht auf jenes Thema gekommen, meine andere Kollegin hätte nicht erwähnt, das sie mit ihr zur Schule gegangen war und ich hätte immer noch keinen Namen zu ihrem Gesicht. Immer hin kannte ich jetzt ihren Vornamen und hatte erfahren, das sie einmal ganz normal gewesen war – was immer auch „normal“ heißt. Äußerlich ließ ich mir kaum was anmerken. Innerlich jubelte ich vor Freude, das ich endlich ihren Namen weiß und jemand bereit war, über sie zu reden. Jemand, der sie ein wenig kannte. Zumindest
hatte sie mir ihr Einverständnis gegeben, mir gegenüber Bericht zu erstatten. Nachdem ich erfahren hatte, das meine Kollegin und das Mädchen in die Selbe Klasse gegangen waren, wurde mir klar, das sie um einiges älter sein musste, als sie aussah. Nicht Anfang zwanzig, wie ich dachte, sondern schon um die dreißig. Wir hatten also schon mal was gemeinsam. Wir beide sehen etliche Jahre jünger aus, als wir in Wirklichkeit sind. Mich interessierte brennend, wie sie damals war und wie sie zu dem wurde, wie ich sie kennen gelernt habe. Einfach nur falscher Umgang oder steckte mehr dahinter? Ich erinnerte mich noch an ihr
lautes Selbstgespräch, wo sie Kosovo und Wasserleichen erwähnte. War sie damals, zu Beginn des Kriegsausbruchs, im Urlaub gewesen? Waren ihre Eltern dort gewesen? Hatte sie sich einfach irgendwas zusammen gesponnen? Wie passte das, was sie mir damals erzählt hatte, mit dem zusammen, was ich von meiner Kollegin erfahren würde? All diese Fragen ließen mir keine Ruhe. Ließen mich nicht schlafen. Diesmal störte es mich gar nicht, da ich eh vorhatte ganz früh aufzustehen und in meinen Garten zu fahren. Einerseits, weil da noch kein anderer dort war und andererseits, weil da die Sonne noch nicht brannte. Denn es war Hochsommer
gewesen. 38 Grad Celsius über null. In der Nacht gab es keine Abkühlung. Schwitzen war angesagt. Dennoch trug ich mein schwarzes Kapuzenjäckchen, wie sie. Und eines Tages werde ich auch die Haube aufsetzen. Wie sie. Vielleicht macht es mich auch Geheimnisvoll. Immer noch frage ich mich, wie es kommt, das sie mal eine helle Engelsstimmer hat und ein andermal eher eine Kneipenstimme. Gespaltene Persönlichkeit? Die Vermutung liegt nah. Aber ist sie auch richtig? Irren ist menschlich. Und ich habe mich schon sehr oft geirrt. Bei der Wahl meiner Freunde, zum Beispiel. Was ich mich auch frage, ist, wie sie
mich sieht. Als was sie mich sieht. Bin ich nur irgendwer, der in der Getränkeabteilung eines Supermarktes arbeitet, oder sieht sie mich gar als Freund? Hat sie Vertrauen zu mir? Die Nacht wird lang und schweißtreibend. Es ist einfach zu warm, um schlafen zu können. Zu viel Gedanken kreisen in meinem Kopf. Und alle drehen sich nur um sie. Diese Gedanken lassen mich nicht los. So sehr ich mich auch anstrenge an etwas anderes zu denken, immer wieder tritt sie in den Vordergrund. Deshalb schaffe ich es auch nicht, das Motivationsschreiben zu schreiben, welches ich unbedingt für meine Bewerbung an der Fachhochschule
brauche. Je eher ich mit dem Studium anfange, desto eher bin ich damit fertig und kann mir einen besseren Job suchen. Oft erfährt man Dinge, die man eigentlich gar nicht wissen wollte. Der Arbeitstag verlief relativ flott. Man merkte, das die rechte Hand des Chefs sich stark zum Positiven verändert hat. Er war nicht mehr so aufbrausend. Als ich in dem Saftladen anfing, war ich oft sein Opfer gewesen. Wie oft hatte ich mir vorgestellt, ihn zusammen zu treten, bis er nicht mehr zuckte. Wir fragten uns oft, wieso der Chef ihn behielt, obwohl sich so viele über ihn beschwerten und machten uns so unsere Gedanken. Ob die
Beiden heimlich was miteinander haben? An jenem Abend war ich angepisst, weil es der Abend war, an dem ich mehr über das Mädchen erfahren sollte. Doch zuerst wollte die Tür sich nicht scharfstellen lassen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die Beiden, meine Kollegin und er, das Problem gelöst hatten. - So weit wir anderen erfuhren, war irgendwas mit Licht im Keller. - Dann stiefelte er noch ein paar Minuten, die mir wie Stunden vorkamen in unserer Nähe herum. Meine Beiden Kolleginnen beobachteten ihn mit regem Interesse und ignorierten mich. Sie fanden es wahnsinnig spannend, wie er so Pappe neben den Mülleimer platzierte. Ich
wartete voller Ungeduld, das er endlich zu seinen Freunden ins Auto stieg und fort fuhr. Als er dann endlich fort war, berichtete meine Kollegin von dem Keller, der so dunkel war. Dabei fiel ihr eine Geschichte aus Jugendtagen ein, wo sie noch in Russland gelebt hatte, und erzählte jene Begebenheit lang und breit. Die Zeit war wie festgenagelt. Ob ich noch dazu kam, irgendwas über mein Mädchen zu erfahren? Mir war öde und schlecht von ihrer Bierfahne, die mir die ganze Zeit ins Gesicht wehte. Und immer wieder erwähnte sie das schöne Wetter, welches mir zu dem Zeitpunkt völlig am Arsch vorbei ging. Ebenso die Gänsehaut, die sie uns zeigte.
Meinetwegen hätte es stürmen und schneien können. Es wäre mir egal gewesen. Freiwillig hätte ich gefroren, nur um an die Informationen zu kommen. Irgendwann hatte sie gemerkt, das mich ihre Geschichte nicht interessierte und sagte der anderen, das sie mir was über das Mädchen erzählen wollte. Ich hätte ja schon eher gefragt, als unsere russische Kollegin mit der anderen Schichtleitung im Keller gewesen war. Aber ich dachte, sie wollte es auch wissen. Deshalb hatte ich gewartet. Hätte ich gewusst, das sie mich erst ignoriert und hinterher eine lange, öde Geschichte erzählt und die Informationen dürftig sind, hätte ich nicht auf sie
gewartet. Was mir mitgeteilt wurde, gefiel mir gar nicht. Ich wusste auch nicht recht, was ich damit anfangen sollte. Zumindest hatte ich jetzt einen vollständigen Namen und ein Geburtsdatum. Leider ohne Jahresangabe. Laut meiner Kollegin, war sie aber jünger, als sie selbst. Doch erst in den Zwanzigern? Das sie ein Kind hat, war ein kleiner Schock. Schon allein deswegen, weil sie schon während der Ausbildung den Drogen zugeneigt war. Der selbstverfasste Kommentar unter einem ihrer Bilder: Heute schon gefickt?“, gab mir zu denken. In dem Moment wusste ich nicht, was ich von ihr halten sollte
und ob ich noch irgendwelches Interesse an ihr habe. Wobei ich mich schon die ganze Zeit über gefragt hatte, welches Interesse ich an ihr habe. Wollte ich nur ihre Geschichte erfahren? Freundschaft? Mehr? Ich wusste es nicht. Auf dem Nachhauseweg dachte ich daran, das ich selbst zwei Kinder hatte und nicht erwarten konnte, das sie noch Jungfrau ist. Aber nach dem Satz unter ihrem Foto, fragte ich mich, ob sie eine Schlampe ist, die des Öfteren auf dem Rücken liegt. Sollte dies der Fall sein, wäre mein Interesse an ihr sehr stark eingeschränkt. Mich würde aber dennoch interessieren, wieso sie es tat und wer mit ihr. Denn als ich sie das letzte Mal
gesehen hatte, hatte sie einen äußerst starken Duft verströmt. Die Kassenkräfte, zu der auch meine Kollegin gehört, sahen und rochen sie öfter so. Ihre Geschichte, wie es dazu kam, das sie wurde, wie sie jetzt ist, interessiert mich sehr. Umso mehr hoffe ich, sie wieder sehen zu dürfen und den Mut zu finden, sie danach zu fragen, mir ihren Lebenslauf zu berichten. Laut Facebook hatte sie die Ausbildung geschafft und war auf dem Weg zur Nächsten. Ich spürte, das es wieder eine ruhelose Nacht werden und der folgende Arbeitstag eine Qual werden
würde. Sie ist sehr bekannt und jeder denkt sich sein Teil über sie. Jeder bezeichnet sie anders. Meine eine Kollegin betitelt sie als „Seuche“ und er als „Schlurfi“. Wahrscheinlich, weil sie beim Laufen ihr Füße nicht hebt. Was bei den Schuhen, die sie meist trägt, kein Wunder ist. Es gibt kaum jemanden, der sie nicht irgendwie kennt. Bekannt, wie ein bunter Hund. Nach überstandener Samstagspätschicht, versammelten wir uns vor dem Laden, genossen die angenehme Luft und unsere Getränke. Genauer gesagt, hatten wir es uns auf den Bänken bequem gemacht, die
offiziell zum Bäcker gehören. Es wurde gequasselt und gequatscht. Mal hörte ich dem Pärchen zu, mal dem anderen. Nebenbei nuckelte ich an meiner Cola und hing meinen Gedanken nach. Nach einiger Zeit gesellten sich zwei Damen zu uns, um uns zum nächsten Gottesdienst einzuladen. Die Zeiten waren human. Samstagabend und Sonntagnachmittag. Im Mittelpunkt stand nicht Gott der Allmächtige, sondern Jesus, der für uns am Kreuz gestorben war. Es waren zwei sehr nette, offene und herzliche Damen, mit denen man sich kultiviert austauschen konnte. Mein Kollege unterhielt sich freundlich mit der einen, während die andere sich mit
dem Nachbartisch unterhielt. Ich hörte einfach nur zu. Er sprach davon, das alle Religionen quasi das Gleiche vermitteln und er selbst zwar nicht religiös sei, aber auch nicht atheistisch. So, wie ich, dachte ich. Bei all dem Scheiß, der tagtäglich auf dieser Welt passiert und bei all dem, was ich selbst erlebt beziehungsweise mir erzählt wurde, fällt es mir äußerst schwer, an einen Gott zu glauben. Vor allem an einen Gott, der uns Menschen liebt. Aber ab und an kommt es vor, das sich Dinge auf merkwürdige Art und Weise zum Positiven ändern, wie die rechte Hand unseres Chefs. Seit geraumer Zeit ist er viel freundlicher und ausgeglichener. Es
ist lange her, das ich ihn in die Luft gehen sah. Die Dame erzählte uns von einer Frau, die mit Drogen zu kämpfen hatte, häufig Knochenbrüche davontrug und diverse Krankheiten hatte. Sie erzählte uns von Begegnungen mit Jesus. Dabei dachte ich an Phantasie. Fehlleitung im Hirn und so weiter. Aber gesagt hatte ich nichts dazu. Zwischen Himmel und Erde gibt es so viel Unerklärliches. Warum nicht auch Begegnungen mit Jesus? Wenn sie mir sagt, das sie mit Jesus Dicke ist… Soll mir einer Hieb- und Stichfest beweisen, das es das nicht gibt. Bevor sie sich von uns verabschiedete, fragte sie meinen Kollegen, ob sie für
ihn für irgendwas beten soll. Für den ersten Augenblick war er zu überrascht, um darüber nachdenken zu können und fing an zu stottern. Dann sagte er ihr, das sie für die Menschheit beten soll. Für Toleranz und so. Sie tat es. Währenddessen dachte ich an das Mädchen. Wenn sie mich gefragt hätte, dann hätte ich gewollt, das sie für das Mädchen betet, das es von all ihren Süchten loskommt. Drogenfrei wird und ein besseres Leben beginnt und ich bereit wäre, ihr dabei zu helfen. Kaum hatte ich den Gedankengang zu Ende gedacht, wurde ich auch schon danach gefragt, ob ich etwas hätte, wofür sie hier und jetzt beten soll. Ich sagte ihr, das es nicht für
mich wäre, sondern für ein bestimmtes Mädchen und was ich mir für sie wünsche. Und dann begann sie ein Gebet, welches ich nur einmal ganz kurz unterbrach, um den Namen des Mädchens zu nennen. Der Dame war das Mädchen, zumindest vom Sehen her, bekannt. Mehrfach hatte sie das Mädchen vor unserem Laden sitzen oder liegen gesehen. Wir gingen aber nicht tiefer auf das Thema ein. Ich sagte nur noch, das ich hoffe, das es hilft. Und das tat ich wirklich. Seit längerer Zeit bin ich ziemlich schnell angepisst. Meine Stimmungsschwankungen kann ich kaum
noch für mich behalten. Das Schlimmste ist, das ich immer noch jeden Tag nach ihr Ausschau halte und hoffe, sie wieder sehen. Ich schaffe es einfach nicht, sie zu vergessen. Warum hat sie sich jedes Mal so affig, wenn ich ihr was ausgeben will? Eintönig sind die Tage. Umso mehr hoffe ich, das ich endlich anfangen kann zu studieren, um endlich wieder etwas Abwechslung in meinen tristen Alltag zu bekommen. Seit dem ich nicht mehr zur Schule gehe, fehlt mir was. Vor allem Antrieb; einen Grund aufzustehen. Bis Mittag liege ich in den Federn. Mangels Mitarbeiter, darf ich Überstunden schrubben. So wirklich bemerkbar macht
es sich auf meinem Konto nicht. Aber dadurch, das ich morgens nicht aus dem Bett komme und Überstunden machen darf, komme ich nicht zum Geld ausgeben. Ob ich mir mal einen Urlaub gönnen werde? Mit dem Gedanken spiele ich schon seit ein paar Tagen. Aber jedes Mal denke ich dabei daran, sie mitzunehmen; mit ihr in den Urlaub zu fahren. Ein Grund, warum ich häufig an sie denke, ist, das sie mir kein Ohr abkaut. Vor ein paar Tagen, ich hatte Pause, saß, mit einem Kollegen, im Aufenthaltsraum und las in meinem Buch. Er aß und spielte mit seinem Smartphone. Kein Ton kam von ihm. Kurze Zeit später kam
meine Kollegin rein und fing sofort an zu reden. Von wegen das sie Sodbrennen hat und die trockenen Brötchen ihr nicht schmecken… Es interessierte kein Aas. Dann fing sie noch an den Tisch abzuräumen und erklärte uns, warum sie das tat. Äußerlich blieb ich ruhig, innerlich braute sich was zusammen und drohte lautstark auszubrechen. Hart an der Grenze war es, als sie mich fragte, ob ich nicht mehr mit ihr rede. Mit Ach und Krach konnte ich mich zurück halten, sie lautstark auf das Offensichtlich hinzuweisen; nämlich das ich im Begriff war zu lesen und das sie mich mit ihrem Gelaber nicht nur dabei störte, sondern mir auch tierischst auf
den Sack ging. Meine russische Kollegin jammert mir abends nach der Schicht die Ohren voll. Jedes Mal kommt sie mit ihrer alten Scheibe daher, wie beschissen doch ihr Leben sei und so weiter. Das sie teilweise selber daran Schuld ist, will sie nicht verstehen. Wenn sie ihren Sohn so sehr verwöhnt; ihm stets und ständig alles hinterher räumt und alles macht, was er will, darf sie sich nicht wundern, das er keinen Finger rührt. Wenn sie immer so viel ausgibt, kommt sie nie von ihrem Schuldenberg runter. Ich gönne ihr ja einen Urlaub. Aber wenn sie immer wieder davon anfängt, das sie einen Berg Schulden hat und trotzdem in Urlaub
fliegt, braucht sie sich nicht zu wundern, das sie von dem Berg nicht runterkommt. Ganz nebenbei erfuhr ich noch, das sie drei Jahre untreu gewesen war. Das sie nie lange allein war. Höchstens ein paar Tage. Mich nervt das Gejammer und von ihrer Bierfahne wird mir regelmäßig übel. Warum ich das regelmäßig mitmache, weiß ich selber nicht. Als Kollegin schätze ich sie sehr. Sie behält selbst im größten Stress den Überblick. Man kann mit ihr bombastisch zusammen arbeiten. Wenn sie Schichtleitung macht, läuft es gechillt ab. Sie weiß, das wir unsere Aufgaben kennen und vertraut uns. Das gute, kollegiale Verhältnis will ich
beibehalten. Deswegen bleibe ich so oft, nach der Spätschicht, noch stehen und tue mir ihr Gejammer an. Erdulde es still, wie sie einen Satz anfängt und mittendrin eine Pause einlegt, um ein Schluck aus ihrer Flasche zu nehmen und an ihrer Zigarette zu ziehen. Wieso sie nicht versucht, irgendwas zu ändern, damit es ihr besser geht, weiß ich noch weniger. Ich werde sie auch nicht danach fragen. Denn anscheinend will sie es gar nicht anders, sonst würde sie weniger reden, dafür mehr handeln. Wie anders ist da sie. Mit ihr konnte ich so schön zusammen schweigen. Sie jammert mir nicht die Ohren voll und schleudert mir auch keine eklige
Bierfahne entgegen. Dafür strahlt sie Ruhe aus, die sich auf mich überträgt. Das fehlt mir. Vielleicht wäre ich dann weniger genervt und würde alles gelassener nehmen. Noch einmal durfte ich sie wieder sehen. Es war reiner Zufall gewesen. Wegen einem Kollegen, der irgendwie nicht konnte, oder keine Lust hatte zu kommen, wurde kurzfristig der Dienstplan geändert. Begeistert war ich nicht gewesen, da ich an jenem Tag eigentlich bis Ultimo ausschlafen wollte, um topfit für eine Doppelvorstellung im Kino zu sein. Deswegen hatte ich auch für diesen Tag frei nehmen wollen und
ursprünglich war es auch genehmigt worden. - Wenigstens wurde ich diesmal gefragt, ob ich meinen freien Tag tauschen und zum Frühdienst erscheinen würde. Nach so langer Zeit war es für mich ungewohnt gewesen, so früh am Tag in Dienstkleidung zu sein. Im Laden war nicht viel los und ich stellte mich auf einen langen Tag ein. Dann hörte ich meinen Namen durchs Funkgerät und die Mitteilung: „Deine Freundin ist hier.“ Ich wusste sofort, wen sie mit Freundin meinte. Deswegen fragte ich prompt nach dem Verbleib derjenigen und machte mich auf die Spur, um sie nicht zu verpassen. Sieben Wochen war es her
gewesen, das ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Obwohl ich mir immer wieder einredete, das sie nie mehr wieder kommt, gab ein Teil meines Ichs die Hoffnung nie auf; klammerte sie an einen haarfeinen Strohhalm. Erst zwei Wochen zuvor, als ich mir selbst schon einredete, das ich sie nie mehr wieder sehen werde, hatte ich eine Schachtel Zigaretten für sie gekauft. Sie waren heruntergesetzt gewesen; um ungefähr die Hälfte des Originalpreises. Es war mir neu, das man Zigarettenschachteln im Preis senkt. Sie stand vor unserem Kühlschrank und ich konnte es nicht glauben, das sie vor mir stand. Freundlich und mit einem
Lächeln fragte ich sie: „Kann ich Ihnen helfen, junge Frau.“ „Ich suche was zu trinken.“, antwortete sie und ich fragte mich, ob sie wusste, wer ich bin. „Die Auswahl ist groß.“, sagte ich. Aber das, was sie sah, stand ihr nicht an. In der Zwischenzeit wurde aber auch der Inhalt des Kühlschranks radikal umgeräumt, Neues kam hinzu, anderes wurde raus genommen. Sie zog es dann vor, an der Kasse zwei Klare zu nehmen. Zu meiner Kollegin, die einst mit ihr gemeinsam zur Schule gegangen war und mir freundlicherweise Bescheid gegeben hatte, das sie da ist, sagte ich, das ich eine Müllrunde mache. Ihr Lächeln und
ihr Gesichtsausdruck zeigten mir deutlich, das sie ganz genau wusste, was ich wirklich im Sinn hatte. Vor dem Laden setzten wir uns auf dem Boden. Sie sah so anders aus. Der Alkohol hatte deutliche Zeichen hinterlassen. Dennoch fand ich sie immer noch hübsch und hätte sie gern an mich gedrückt. Aber dafür war ich zu feige. Seit wann trank sie eigentlich hochprozentiges pur? Sie fragte mich nach einer Zigarette. Gleichzeitig schien ihr wieder einzufallen, das ich nicht rauchte. Ich sagte ihr, das ich welche einstecken habe und das ich sie ihretwegen gekauft hatte. Entweder hatte sie nicht mitbekommen,
was ich gesagt hatte, war es ihr egal gewesen oder sie konnte keine Emotionen zeigen. Ihr Blick war irgendwie leer. Es tat weh, sie so zu sehen. Während sie redete, sah sie mich dabei an. Oder sah sie durch mich hindurch? Zumindest klang es so, als würde sie mit mir reden. Leider hatte ihr Sprachzentrum gelitten. Für mich klang alles so undeutlich. Auf einige einfache Worte kam sie nicht von selbst und ich musste ihr dabei helfen. Teilweise kam es mir vor, als spräche ich mit einer geistig behinderten. Dann endlich nahm ich all meinen Mut zusammen und fragte sie, ob sie mit mir
ins Kino gehen würde. Ehrlich, wie ich zu ihr war, erklärte ich ihr, das meine Bekannte kurzfristig abgesagt hatte. Ihrem Reden nach wäre sie mitgekommen, aber ihr gefiel das Kino nicht, in das ich ursprünglich gehen wollte. Das einzige Kino, in der Gegend, welches nicht nur Onlinebanking als Bezahlung anbot. Ich konnte sie verstehen, als sie vom Verkehr sprach. Denn zu diesem Zeitpunkt wurde an mehreren Stellen um- und neugebaut und sämtliche Linien des ÖPNV umgeleitet. Es wäre zu umständlich für sie gewesen, dorthin zu kommen und noch schwieriger, von da wieder zurück zu kommen. Schließlich
begann die Doppelvorstellung erst abends und würde bis nach Mitternacht gehen. Ich musste sie wieder verlassen, da ich ja auf Arbeit war. Ich fragte sie, ob sie mich vierzehn Uhr, wenn ich Feierabend habe, abholen würde und ließ ihr noch eine Zigarette und mein Feuerzeug da. Ihre Antwort war äußerst undeutlich. Daher sagte ich nur, das ich mich überraschen lasse. Natürlich war der Platz leer gewesen, als ich nach Hause gehen durfte. Und als ich etwa eine Stunde später noch einmal nachschauen ging, sah ich sie auch nicht. Meine reservierten Karten hatte ich storniert, nachdem ich gesehen hatte, das
in anderen Kinos noch viele frei Plätze waren. Gern hätte ich sie mit dabei gehabt. Das merkte ich, als ich im Kino saß und immer mal wieder neben mich blickte und an sie dachte. Mir vorstellte, ihre Hand in meine zu nehmen und zärtlich ihre Lippen auf meinen zu spüren. Dennoch verging die Zeit, wie im Flug. Ehe ich es mich versah, war der erste Film zu Ende. Nach einer kurzen Toilettenpause begann auch schon Teil 2. 170 min. Mir kam es wie eine halbe Stunde vor. Als der Abspann lief, sah ich auf meine Uhr und stellte fest, das es schon halb zwei am Morgen war. Aber ich fühlte mich nicht müde, sondern wie
gehypt. Die Woche drauf fragte mich meine Kollegin, über was ich mit meiner Freundin gesprochen hatte, weil sie am Tag darauf so überaus nett zu ihr gewesen war. Ich konnte ihr die Frage nicht beantworten, das ich kaum etwas gesagt hatte. Die meiste Zeit hatte ich nur dagesessen, sie angeschaut und versucht zu verstehen, was sie mir sagen will. Ich frage mich immer wieder, ob diese Dame, die ich ins Kino eingeladen hatte, die selbe ist, wie jene, der ich gegen ihren Willen finanziell ausgeholfen hatte. Viele Schlaflose Nächte habe ich deswegen schon gehabt. Wenn ich sie
öfter sehen würde, …
Was mir, so ganz nebenbei, auffällt: Bei ihr rieche ich keine Alkoholfahne, obwohl sie vor meinen Augen trinkt und ihr Gesicht dem Meinigen zugewandt ist.