Wenn du diese Zeilen liest
Wenn du das liest, werde ich weit weg sein, wieder dort, wo alles begann. Aber werde ich mein Leben einfach so weiterleben, wie ich es immer getan habe?
Mein Name ist Corona, ein eher seltener Name. Damit haben meine Eltern schon damals nicht gepunktet, aber nun, da dieses Virus grassiert, bin ich völlig abgestempelt.
Unverständnis blickt mich an. Wenn ich in den Spiegel schaue, erkenne ich mich oft nicht. Warum soll ich aus dem Schatten der grauen Masse treten, wenn es doch so leicht ist, darin zu verschwinden? Warum sollte ich das, was mir fremd erscheint, noch schönen und mein
Innerstes nach außen kehren? Ich fühlte mich wie ein Lurch nicht wie ein Frosch. Natürlich war ich kein Frosch, ich war und wer ich war und, wer das nicht erkannte, der kannte mich nicht.
So stand ich also eines Morgens wieder müde und noch angetrunken vor Dambedei, wie ich meinen Spiegel inzwischen genervt nannte. Ich wollte ihn keines großen Blickes würdigen, denn was er mir wieder präsentieren würde, kannte ich schon. Eine müde, fahle, faltige und mit tiefen, dunklen Augenringen geschmückte Corona, die es man geradeso geschafft hatte, sich ins Bad zu schleppen, um sich dort das kalte Wasser ins Antlitz zu klatschen, welches wie Essig brannte.
Als ich Dambedei dieses Mal anschaute,
erschrak ich zutiefst. Im Grunde sah ich mich, jedoch vollkommen anders, als ich es erwartet hatte. Ich sah interessiert aus und in meinen Augen loderte dieses Feuer, welches ich zwar schon immer in mir spürte, doch was bisher nie so richtig zum Vorschein kam. Mein Haar umschmeichelte mein Gesicht und meine Haut war makellos. Das etwas kantige Gesicht reckte mir keck sein Kinn entgegen, als wollte es mich zum Tanz auffordern. Ich war überwältigt, konnte meinen Blick nicht abwenden. Diese hoffnungsfrohe und sich mutig der Welt stellende Person zog mich in ihren Bann. Ich wollte und konnte nicht entfliehen.
Als ich mit meinen Augen näher und näher an den Spiegel kam, so dass meine Wimpern ihn
schon berührten, wurde es noch unheimlicher. Die Corona im Spiegel veränderte sich plötzlich. Es war immer noch sie, doch schauten mich verschiedene Versionen von
ihr an. Die Haut veränderte sich, sie wurde mal älter mal jünger und ihre Augen weiteten sich oder wurden schmaler. Das Haar lag einmal an und dann tanzten ihr lustige Locken um die Ohren. Es war immer noch ich und doch?
Was war hier los? Zeigte mir Dambedei das, was er über die Jahre alles schon gesehen hatte oder konnte ich plötzlich in die Zukunft schauen? War er jetzt ich und ich jetzt er und war das der Beweis dafür, dass wir wiedergeboren werden in einem ähnlichen Körper, wir uns nur nicht daran erinnerten,
bereits gelebt zu haben? Da ich bisher immer Angst vor dem Tod hatte, kam mir dieser Gedanke wie die Erlösung vor und ich war unendlich erleichtert.
Erschöpft vom anstrengenden Schauen schloss ich meine Augen, die bereits zu tränen begonnen hatten, und ließ mich wieder etwas vom Spiegel zurückfallen. Mit einem Gefühl von Erhabenheit richtete ich mich auf. Ob es nun an den zwei Tabletten lag, die ich gestern Abend noch gegen die Kopfschmerzen genommen hatte oder, ob ich kurz in das Wesen meines Spiegels eingetaucht bin, war mir egal.
Ich hatte eine fundamentale Erkenntnis gewonnen. Wir werden wiedergeboren.
Meine Angst vor der Endlichkeit war kleiner
geworden, denn ich würde weiter existieren in einer anderen Zeit und ich könnte mich nicht erinnern, doch es war ein schönes Gefühl, mir in diesem Moment dessen bewusst zu sein.