Nackt im Spiegel deiner Augen
War sie nicht furchtlos unsere Prinzessin der Azubis? Wenig königlich eilte ich auf wackeligen Beinen über das Firmen-gelände meinem Lehrmeister hinterher. Er würde mir sogleich die Aufgabe für den heutigen ersten Tag zuweisen.
"Warte hier, ich muss vorab etwas klären!", sagte er und ich hielt abrupt inne. Sodann vernahm ich die Stimmen zweier Männer hinter dem parkenden Lastkraftwagen. Dem: "Die Kleine fährt heute bei dir mit!", folgte ein mürrisches: "Muss das sein?" So
willkommen hatte ich mich lange nicht gefühlt. Doch das Widerspenstige im Ton des Angesprochenen hatte etwas Aufregendes.
Ich mochte den Klang seiner Stimme, die mir durch und durch ging. Der knappe Blick des Lehrmeisters streifte mich, als dieser an mir vorbei lief. In seinem Schlepptau trat ein junger Typ aus dem Schatten des Lkw auf mich zu.
"Du bist also die Neue?", murmelte er, mich mit den Augen scannend, eher betont gelangweilt als interessiert. Die zur Faust geballten Hände in meinen Hosentaschen vergrabend nickte ich
kurz. Ob er spürte, welche Schauer mir über den Rücken jagten, als ich ihn erblickte?
Schnellen Fußes folgte ich ihm, als er sich ohne weitere Worte umdrehte und wieder hinter dem Lkw zu verschwinden drohte. "Du machst die Plane an den Ösen fest!", deute er mit einer Kopfbewegung erst auf das Gefährt dann zu mir, die ich nun auf Augenhöhe neben ihm stand. "Ich soll auf den Anhänger steigen?", stellte ich mich dumm. Immer noch im Befehlston reagierte er genervt: "Ja, genau, das hast du vollkommen richtig erfasst, Kleine." Sein süffisantes Lächeln forderte mich zum
Tanz.
"Wie soll ich denn da rauf kommen? Das müssen sie mir schon genauer erklären. Sie sind der Facharbeiter und ich nur der Lehrling." Sein Lächeln erfror unter einem finsterem Blick. "Du kletterst über die Deichsel auf den Auflieger, habe ich mich da klar ausgedrückt? Und noch eines, wir Duzen uns hier alle.
" Ich feierte innerlich und konnte mir nicht verkneifen, weiter zu provozieren: "Über die Deichsel verstehe, was auch immer das ist, ich danke ihnen, denn sehen sie, ich habe bereits dazugelernt, das Wort "Deichsel" werde ich nachschlagen und übrigens kann man das
auch freundlicher sagen."
Er durchbohrte mich mit einem tiefen Blick und forderte nun völlig entnervt:"Schwing deinen Arsch da rauf, habe ich gesagt und ja, wir wurden einander nicht vorgestellt. Und übrigens: Ich heiße Michael, aber meine Freunde nennen mich Micha. "Gut, wie sie schon wissen, ich bin die Neue hier und werde sie dann einfach "Michael" nennen.", entgegnete ich zuvorkommend.
Seine blauen Augen färbten sich ins tief Dunkle und er kam bedrohlich nah an mich heran. Daraufhin schnellte ich an ihm vorbei und elfengleich über die
Deichsel auf den Auflieger. Ich orientierte mich kurz und genoss den Ausblick dort oben. Weil ich nicht wusste, was genau und wie ich es zu tun hatte, summte ich gelangweilt "Mein Hut, der hat drei Ecken".
Ich fuhr zusammen, als Michael hinter mir nah an meinem Ohr fragte:"Singst du immer bei der Arbeit?" Lächelnd ignorierte ich seinen Wissensdrang und zuckte mit den Schultern. Die Stimmung war zum Zerschneiden aufgeheizt, Micha bemühte sich jedoch, seine Fassung nun nicht gänzlich zu verlieren. Er ging in die Hocke und erklärte mir höflich:"Du musst nur die Plane an den Haken
befestigen nichts weiter, ein Kinder-spiel."
Erleichtert und dankbar für die freundliche Hilfe antwortete ich ihm:"Verstehe schon, ich soll das
Gummi über das Ding ziehen. Das kriege ich hin." Michael sprang schlagartig auf, so dass er mich, die ich neben ihm kniete, fast umgerissen hätte. "Sag mal, willst du mich verarschen, was soll das hier eigentlich werden?" Seine Augen funkelten bedrohlich, als er sich bedrohlich vor mir aufbaute. Gespielt verängstigt blickte ich zu ihm auf: "Ich, wieso, nein, bitte entschuldigen sie meine unangebrachte Ausdrucksweise."
Das schlug dem Fass den Boden aus.
"Du brauchst gar nicht dermaßen gehoben schwafeln, so etwas ist mir ja noch nie untergekommen." Mitleidig ließ ich verlauten, dass es für alles ein erstes Mal gibt. Unsere Blicke trafen sich erneut. Ich rang ein wenig um mein Gleichgewicht, als ich mich stolzen Hauptes erhob. Michael holte tief Luft und winkte überheblich mit den Worten ab: "So was wie dich verspeise ich zum Frühstück, Kleines." Nach einer aufregenden Nacht, dachte ich bei mir.
Gern hätte ich unser Gespräch fortgesetzt, doch das Klingeln seines
Handys beendet unsere Konversation und ich blieb mit einer gewissen Erleich-terung zurück.
Mein Herz schlug heftig und der Puls hämmerte in meinen Ohren. Es hätte nicht besser laufen können an meinem ersten Tag in dem Ausbildungsbetrieb, versprach hier aber noch sehr lustig und dank einem gewissen "Micha" höchst aufregend zu werden.