Biografien & Erinnerungen
Weihnacht 1964 - Für Gertraud - Letzter Teil (VI)

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"Weihnacht 1964 - Für Gertraud - Letzter Teil (VI)"
Veröffentlicht am 25. Dezember 2019, 14 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Unter dem Pseudonym MerleSchreiber veröffentliche ich seit dem Jahre 2012 Gedichte und kleine Kurzgeschichten. Neben Alltagsthemen möchte ich auch tabuisierte Lebenswelten so aufbereiten, dass sie das Interesse und den Zugang zu den Herzen der Leser finden.
Weihnacht 1964 - Für Gertraud - Letzter Teil (VI)

Weihnacht 1964 - Für Gertraud - Letzter Teil (VI)

Weihnacht 1964

Warten auf das Christkind (Teil VI)

Im Alter haben Erinnerungen denselben Stellenwert wie in der Jugend die Träume Erna Behrens-Giegl


Merle Schreiber Dez/2019

VI und letzter Teil Ich wäre so gerne noch ein wenig bei der alten Babette geblieben, aber ich hörte die Rentiere schon ungeduldig an die Fensterscheiben klopfen. Beim Hinausgehen warfen die Moni und ich meiner Fürsprecherin beim Christkindl noch schnell ein Handbusserl zu. Wieder auf dem Schlitten begann eine rasante Fahrt. So damisch, dass es das Hirschgeweih vom Opa wie wild hin und her geschlagen hat und die Moni mehr als einmal heraus geflogen ist, weil ich sie nicht mehr "dahoitn" (festhalten) konnte. Bald schon waren wir beim Anwesen der Wimschneiderin in Schwarzenstein. Die Wimschneiderin hatte auch einen Mann, den Albert und Kinder hatte sie auch. Lauter

Dirndln, aber die waren schon älter als wir und gaben sich mit uns nicht ab. Den Albert mochten wir gar nicht, der hat so getan, als wenn er ein ganz G´scheiter wäre. Der hat uns immer Fragen gestellt, die wir nicht beantworten konnten und dann hat er uns recht g`schert derbleckt (ausgelacht), der Brezznsoiza (Wichtigtuer). Die Buben haben den Schlitten mit mir und der Monipuppn bis vor das Scheunentor gezogen, das sperrangelweit offen stand. Drinnen war die Hölle los, der Albert schrie fast so greislich umeinander, wie wir es von unserem Opa gewohnt waren.

"Ja, du Fankal (Lausbub), du windiga, dir hoif i glei eini in d`Schua".

Dabei hörten wir ein Geschepper und ein

Geklirre, dass es "grad schee" war. Dazwischen die überforderte, aber immer noch warmherzige Stimme der Wimschneiderin:

"Geh, Bua, wos is denn mit dir los? Du führst di ja auf, ois waß`t vom Deifi `b`sessn".

Nach der Notschlachtung waren die Wimschneiders jetzt mit dem Aufräumen der Schlacht-Utensilien beschäftigt, doch der Seppi brachte ihnen wieder alles durcheinander, warf die Blecheimer um, versteckte den Reisigbesen und bewarf den Albert mit Stroh. Der Seppi ist in seiner Rolle als Kay vollkommen aufgegangen, der Wiggerl und der Hansi hatten ihre helle Freude daran.

Aber dann flüsterten sie mir zu, dass ich, also die Gerda, jetzt mit der Befreiung dran wäre.

Ich müsste dem Kay einen Kuss auf die Stirn geben, damit der wieder normal werden könnte. Dafür musste ich ihn aber erst mal erwischen. Ich legte die Moni mitsamt dem Fuchsfellmuff vor der Scheune auf dem Schlitten ab und gemeinsam mit den Zwillingen hastete ich dem Seppi hinterher.

"Dös wer`n jo immer mehrer", kreischte der Albert, der uns nun wahrgenommen hatte, "schaut`s, dass weida kemmts".

Aber wir ließen uns nicht aufhalten. Die Buben holten den Seppi ein, stellten ihm ein Bein, sodass er hinfiel und sich nicht wehren konnte, als ich ihm ein Busserl auf die Stirn drückte. Die Wimschneiders schauten, wie wenn ihnen "d`Henna s`Brot davo hättn", als der Wiggerl verkündete, dass der Seppi jetzt

von dem Zauber befreit wäre und ihm die böse Schneekönigin nichts mehr anhaben könnte. Dabei zeigte er mit dem Finger auf die Wimschneiderin, was den Albert aber nun sehr in Rage brachte.

"Schleichts eich, olle miteinander", brüllte er und nahm zur Verdeutlichung die Mistgabel in die Hand. So schnell wir nur konnten, rannten wir zu unserem Schlitten. Da passierte es, dass ich mit meiner Jacke am Hirschgeweih hängen blieb und der Schlitten auf die Seite kippte. Sowohl die Moni als auch den Muff schleuderte es in hohem Bogen heraus, direkt in eine Blutlache, die vom Kuhschlachten zurückgeblieben war. Der Hansi zog beide, die Moni und den Muff wieder heraus, warf sie zu mir auf den Schlitten und dann ging`s los, im

Karacho heimwärts. Es dämmerte schon, trotzdem sah ich, dass die Moni und der Muff total verhunagelt (entstellt/verhunzt) aussahen. Bei diesem Anblick erfasste mich eine große Traurigkeit, die mir die Tränen über die Wangen kullern ließ. Die Oma würde den Muff heute sicher für den Gang zur Christmette brauchen. Und die Fürsprache der alten Babette beim Christkindl würde mir nun auch nicht mehr helfen, weil wir nicht rechtzeitig zum Baden heimgekommen sind und stattdessen die Wimschneiderin und ihren Albert geärgert haben. Ich konnte mich gar nicht mehr beruhigen, schluchzte unaufhörlich, so dass es sogar meine Brüder rührte und sie überlegten, was man tun könnte. Wie immer hatten sie schnell eine Idee.

Seltsamerweise war es bei uns im Hof wie ausgestorben, als wir ankamen. Die Zwillinge sagten, das käme ihnen grade recht und schlugen mit dem Hirschgeweih ein Loch in das Wasser beim Grand (steinerner Wasserbehälter). Dann tauchten sie die Moni und den Muff hinein und schwenkten sie hin und her, bis das Blut der toten Kuh von den Wimschneiders heraus gewaschen war. Ich konnte mir gar nicht mehr helfen vor lauter Angst um die Monipuppn und der Oma ihren Fellmuff. Sauber, aber patschnass waren sie jetzt. Wie so oft bei den Einfällen meiner Brüder sind wir vom Regen in die Traufe gekommen. Jetzt, sagten sie, jetzt müsse man sehr, sehr gut überlegen. Dazu gingen wir alle miteinander auf den Heuboden, wo wir unser

Lieblingsversteck hatten. Wir setzten uns ins Heu und ich war so fertig von dem vielen Weinen, dass ich wohl schon nach kurzer Zeit eingeschlafen war.

Stockdunkel war`s, als ich von lautem Geschrei aufgeweckt wurde, das unten vom Hof zum Heustock herauf drang. Ich rappelte mich hoch und reckte meinen Kopf zum Heustockfenster hinaus. Eine Menge Leute mit Laternen standen mitten auf dem Hofplatz, hatten den Kopf in den Nacken gelegt und sahen zum Himmel hinauf.

"S`Christkindl" hörte ich meine Oma, die schlechte Augen wegen dem grauen Star hatte, rufen. Und dann sah ich es auch. Es war aber nicht das Christkindl, das über dem Hof schwebte. Es war die Moni und der

Fuchsfellmuff, welche die Zwillinge und der Schwemmer Seppi an der Erfindung meines Vaters zur Heubündelbeförderung befestigt hatten und nun in einer Turbogeschwindigkeit hin und her zogen, weil sie dachten, dass dies das Trocknen beschleunigen würde. Als der Muff sich löste und der Oma vor die Füße fiel, fand das Spektakel ein Ende.


Ja, liebe Leser, wenn ihr nun denkt, dass es an diesem 24. Dezember 1964 wegen der geschilderten Geschehnisse keine Bescherung gab, dann habt ihr euch geirrt. Das ganze Dorf war auf den Beinen gewesen und hatte nach uns gesucht, nachdem wir trotz der Dämmerung nicht nach Hause gekommen waren. Nun waren sie so froh und

erleichtert, uns gesund und munter wieder zu haben, dass alles andere nicht mehr zählte. Wir wurden umarmt, geküsst und beschenkt. Und seitdem weiß ich gewiss:

Das Christkindl ist nicht nachtragend!


In diesem Sinne - der lieben Gertraud

und allen anderen Lesern, die bis zum Schluss durchgehalten haben,

wünsche ich eine friedvolle

Weihnacht 2019!


Mit lieben Grüßen von Merle


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Hörbuch

Über den Autor

MerleSchreiber
Unter dem Pseudonym MerleSchreiber veröffentliche ich seit dem Jahre 2012 Gedichte und kleine Kurzgeschichten. Neben Alltagsthemen möchte ich auch tabuisierte Lebenswelten so aufbereiten, dass sie das Interesse und den Zugang zu den Herzen der Leser finden.

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GertraudW 
Liebste Merle,
ein ganz herzliches Dankeschön für diese wunderbare Geschichte (Teil 5 und 6). Ich bin froh, dass mich Sabine (Memory) darauf aufmerksam gemacht hat. Denn ich schaue seit Monaten nur noch ganz kurz hier vorbei. Erstens, weil mir es wegen meiner schlechten Augen (nur noch 20% Sehkraft) nicht mehr möglich ist, ohne Anstrengung zu lesen, oder zu schreiben. Und zweitens wegen der schweren Etrrankung meines Mannes, die auch mich schwer in Mitleidenschaft gezogen hat ...
Ich habe mir jetzt also ein Sprachprogramm zugelegt, das hier leider nicht funktioniert! Ich muss also mit allerlei Klimmzügen (?) den Text kopieren (gelingt nicht immer), damit ich ihn vorgelesen bekomme.
Ja und nun habe ich mir Deine herrlichen Erinnerungen vorlesen lassen ... und habe dabei Tränen gelacht, denn die "Vorlese-Dame" kann kein bayrisch ...
In diesem Sinne liebe Merle, herzlichen Dank für Alles.
Ich wünsche Dir und allen die mich (noch) kennen - freilich auch allen anderen - ein friedliches Neues Jahr, bei hoffentlich guter Gesundheit.
Liebe Grüße
Gertraud
Vor langer Zeit - Antworten
MerleSchreiber Gertraud, Du warst da!!!
Ich freue mich über alle Maßen, in unserer Sprache "SAKRISCH", dass du nun weißt, wie dieser Christkindltag weiter verlaufen ist. Kürzlich waren meine Eltern (93/84) zu Besuch und da hab ich erzählt, dass ich von den alten Zeiten schreibe. Mein Vater: "Woast das nu, wia da de Buam dei Puppn übern Hof aufg`hängt ham?" Ach, Gertraud, es tut mir so leid, dass du und dein Mann nun gesundheitlich so geplagt seid. Ich hoffe, ihr habt alle nur möglichen Hilfen, die euch den Alltag ein wenig erleichtern. Verliere nur ja nicht deinen Humor. Auch von mir einen lieben Dank an Sabine und Dir und Deinem Mann alles Gute, dass Eure Gesundheit einiger Maßen stabil bleibt oder wird.
Liebe Grüße, Deine Merle
Vor langer Zeit - Antworten
derrainer Liebe merle,
Es passt genau in mein Schema ,
Und ich habe es gern gelesen,wie auch die anderen

Lieben Gruß zu dir Rainer
Vor langer Zeit - Antworten
MerleSchreiber Das freut mich sehr, lieber Rainer. Ich weiß, du magst es auch, wenn was authentisch ist. Einen lieben Dank an Dich und herzliche Grüße, Merle
Vor langer Zeit - Antworten
Bleistift 
"Weihnacht 1964 - Für Gertraud - Letzter Teil (VI)..."
Mit Entsetzen habe feststellen müssen, dass ich mein Lexikon,
"Bayuwarisch für Preußen..." irgendwie verlegt hatte und mich daher
auf meine empirische Seite bei der Übersetzung verlassen musste...
Soviel habe ich dennoch mitbekommen,
dass an Weihnachten anno 1964 das Christkindel
glücklicherweise doch noch auf dem Bauernhof
erschienen ist und für alle Geschenke mitgebracht hatte... ...smile*
Fraglich ist nur, was sich die Oma mit ihren eisigen Händen
unter dem klammen Muff während der Christmett
wohl gedacht dabei haben möge... ...smile*
LG
Louis :-)
Vor langer Zeit - Antworten
MerleSchreiber Das habe ich befürchtet, dass ich da nicht alle Leser durchgehend "mitnehmen" kann. Sorry, Louis, aber "i hob mi eh scho so zamma g`rissn". Ups, jetzt ist es schon wieder passiert ;-)
Vielen Dank für deinen guten Willen und dein Bemühen ,,,,
Liebe Grüße, Merle
Vor langer Zeit - Antworten
AngiePfeiffer Ende gut - alles gut kann man da nur sagen.
Was für eine schöne, nostalgische Weihnachtsgeschichte!
Sie ist Dir so wunderbar gelungen und klingt doch so heimelig.
Liebe Grüße
Angie
Vor langer Zeit - Antworten
MerleSchreiber Heimelig klingt doch gut. Aber jetzt ist es auch wieder genug mit der Nostalgie. Hab vielen Dank, liebe Angie!
Schöne Feiertagsgrüße, Merle
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR 
Wie schön, dass am Ende nach den vielen Aufregungen doch noch alles gut geworden ist!
Liebe Merle, ich habe - dank deiner plastischen und urkomischen Darstellung - alles bildlich vor mir gesehen und meine Lektüre immer wieder zum Lachen unterbrechen müssen, wie herrlich sind deine Erinnerungen!

Danke für diese zauberhafte Weihnachtsgeschichte und frohe Weihnachten!
Liebe Festtagsgüße
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
MerleSchreiber Ja, es ist immer gut ausgegangen und in der Rückschau bekommt sowieso alles noch mal einen zusätzlichen Glanz. Wie freue ich mich, dass dir das so gut gefallen hat, liebste Fleur!
Dir auch noch einen entspannten 2. Feiertag und alles Liebe!
Deine Merle
Vor langer Zeit - Antworten
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