Biografien & Erinnerungen
Weihnacht 1964 - Für Gertraud - Teil V

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"Weihnacht 1964 - Für Gertraud - Teil V"
Veröffentlicht am 21. Dezember 2019, 12 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Unter dem Pseudonym MerleSchreiber veröffentliche ich seit dem Jahre 2012 Gedichte und kleine Kurzgeschichten. Neben Alltagsthemen möchte ich auch tabuisierte Lebenswelten so aufbereiten, dass sie das Interesse und den Zugang zu den Herzen der Leser finden.
Weihnacht 1964 - Für Gertraud - Teil V

Weihnacht 1964 - Für Gertraud - Teil V

Weihnacht 1964

Warten auf das Christkind (Teil V) Im Alter haben Erinnerungen denselben Stellenwert wie in der Jugend die Träume Erna Behrens-Giegl Merle Schreiber Dez/2019


5. Teil


Mei, die Schneekönigin! Wir drei kannten die schaurig-schöne Geschichte von Hanns Christian Andersen aus dem großen dicken Märchenbuch, aus dem uns die Mutter abends zum Einschlafen oft vorlas. Aber der Schwemmer Seppi war völlig ahnungslos und druckste herum, er kenne das Märchen überhaupt nicht, wir sollten doch lieber Räuber und Gendarm spielen. „Dös brauchst ned kenna", sagte der Hansi und tätschelte dem Seppi gönnerhaft auf die Schulter, "Mia song das scho, wos d`doa muaßt“. "Ja, wos is iatz", bohrte der Wiggerl nach "spoi

ma Schneekönigin?" "Oba wia soi dös geh`, mia ham jo gor koa Schloss", überlegte ich laut. Pah, das wäre überhaupt nicht wichtig, meinten die Zwillinge. Man müsse halt einfach so tun, als ob man eines hätte und sich selber was einfallen lassen. Ich durfte natürlich die Gerda sein und wir stellten uns vor, dass die Wimschneiderin von Schwarzenstein die Schneekönigin wäre. Auf ihrem Hof, der ein gutes Stück vom Dorfkern entfernt, nahe des Waldes lag und in unserem Spiel das Schloss wäre, hielte sie Gerdas Freund Kay gefangen. Ich müsste ihn wieder befreien, so wie es das Märchen vorschreibt, erklärten die Buben und dass sie die Rentiere wären, die mich zum Königsschloss ziehen würden.

"Und wer spuit an Kay?", fragte ich. Da richteten sich wie auf Kommando zwei ausgestreckte Zeigefinger auf den Schwemmer Seppi, der schnell auf den Boden schaute, weil er es gar nicht haben konnte, wenn er im Mittelpunkt stand. Ich fand den Seppi so "liab" und ihn würde ich gerne befreien wollen, dachte ich bei mir. Weil der so ganz anders war als meine Brüder, nicht so wild und nicht so frech. Derweilen hatte der Wiggerl ein Pressschnirl (Bindegarn) aus seiner Hosentasche gezogen. Das schlangen die beiden um die Hörner von Opas Heiligtum, dem Hirschgeweih und schnürten es vorne am Bockschlitten fest. Das sah richtig g`fährlich aus. Dann breiteten sie unsere gute Kanapeedecke auf der Sitzfläche

aus. Da fiel auch gleich noch ein Kälberstrick, den die Buben zum Einspannen brauchten und der Fuchsfellmuff von der Oma heraus. Obwohl ich mich schrecklich ekelte, denn an dem Muff waren die Pfoten von dem toten Fuchs noch dran, musste ich meine Hände reinstecken, weil die Gerda im Märchen ja auch so einen Muff zum Wärmen ihrer Hände

gehabt hatte.

Dem Seppi trichterten die Zwillinge ein, dass er ab sofort ein ganz Böser zu sein habe, weil ihm ein Splitter vom Spiegel des wahrhaftigen Deifi (Teufel) ins Herz geschossen sei. Er solle sich jetzt sofort auf den Weg nach Schwarzenstein zur Wimschneiderin machen und sich dort aufführen, wie sich halt so ein vom Deifi Besessener aufführt. Wir drei würden ihm mit einem kleinen Abstand folgen, um ihn möglichst schnell der kaltherzigen Schneekönigin wieder zu entreißen.

Unwillig trottete der Seppi in Richtung Schwarzenstein los. Da fielen mir die Aufträge der Mutter wieder ein und obwohl der Wiggerl meinte, wir könnten uns mit solchen unwichtigen Dingen nicht aufhalten, bestand

ich darauf, erst bei der Babette die Leckerl und beim Heublhuber das G`selchte abzuliefern. Schließlich war noch nicht klar, ob ich meine Verfehlung vom Vormittag in den Augen des Christkindls schon ausreichend gesühnt hatte oder nicht.

"Guat", gab der Wiggerl nach einigem Zögern nach "dann muessn de zwoa aber a glei mitspuin."

Die Babette wäre die gute Zauberfee und der Heublhuber Max ein Räuber, dem die Gerda auf ihrem Weg zum Schloss begegnet und der sie mit seinem Messer kitzeln würde.

Ich setzte mich mit der Monipuppn auf den Schlitten, die Rentiere zogen mich durchs Dorf und hielten beim Heublhuberhof. Weil ich aber das angekündigte Kitzeln mit dem

Messer ganz elendig fürchtete, mussten die zwei Rentiere das G`selchte alleine hineinbringen. Als sie wieder raus kamen, lästerte der Hansi:

"So a lang`s Messer hod er g`hobt, da Reiba" und zeigte mit seinen Armen mindestens einen halben Meter an. Erst hab ich mich furchtbar erschreckt, aber dann bemerkte ich, dass beide um den Mund herum ganz schwarz verschmiert waren. Das war, weil ihnen der Heublhuber mit seinem Messer gleich eine große Scheibe von dem geräucherten Fleisch runter geschnitten hatte. Die Rentiere "bledelt`n" noch ein wenig rum, schlüpften dann wieder in ihre Geschirre und brachten mich zum kleinen Haus der alten Babette. Sie ließen mich und die Moni

absteigen und beschworen uns, nicht länger als fünf Minuten zu bleiben, weil sie sich hier heraußen ja nicht die Zehen abfrieren wollten und der Seppi sicher schon sehnsüchtig auf seine Rettung warten würde.

Als ich zur Babette in die Stube kam und ihr die Leckerldose auf das Buffet stellte, sah ich, dass sie weinend vor dem Bild von ihrem verstorbenen Mann saß. Sie hatte ein Kerzerl für ihn angekündet und den Rosenkranz gebetet.

"Jiatz bin i ganz alloa, Dirndl", seufzte sie mit einem tiefen Schnauferer.

Da wurde mir auch ganz traurig ums Herz. Ich setzte mich ganz nahe neben sie, streichelte sie über ihren runzligen Handrücken und flüsterte ihr leise ins Ohr:

"Du host ja noch mi".

Da brach sie vor lauter Rührung in ein lautes Schluchzen aus, drückte mich und meinte, dass es auf der ganzen Welt kein lieberes und freundlicheres Mädchen als mich gäbe. Und dass sie gleich noch zum lieben Gott beten würde, dass er zu mir das Christkindl mit ganz vielen und schönen Geschenke schicken sollte. Ich sah sie von der Seite an und in diesem Augenblick kam mir die Babette wirklich vor, als wäre sie die gute Zauberfee aus dem Märchenbuch.


Und bald folgt der Schlussteil!

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Hörbuch

Über den Autor

MerleSchreiber
Unter dem Pseudonym MerleSchreiber veröffentliche ich seit dem Jahre 2012 Gedichte und kleine Kurzgeschichten. Neben Alltagsthemen möchte ich auch tabuisierte Lebenswelten so aufbereiten, dass sie das Interesse und den Zugang zu den Herzen der Leser finden.

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derrainer Liebe merle
Das Foto dazu , macht die Geschichte noch lesenswerter, noch mehr Fotos interessanter,
Gern war ich hier!
Liebe Merle,
Ich wünsche dir und deinen Liebsten, eine wunderschöne Weihnachtszeit,
Ruhe und erholsamkeit.
Sowie einen guten rutsch ins neue Jahr.

Lieben Gruß rainer
Vor langer Zeit - Antworten
MerleSchreiber Gerade habe ich den letzten Teil geschafft, nachdem gestern und heute tagsüber natürlich keine Zeit war. Dir, lieber Rainer vielen Dank für Deine Treue und noch schöne ruhige Feiertage. Bleib g`sund!
Liebe Grüße, Merle
Vor langer Zeit - Antworten
AngiePfeiffer OOOch - was für eine schöne Geschichte! So richtig herzerwärmend!
Und das Foto - so welche habe ich auch noch im Schrank.
Einen schönen 4. Advent
wünscht
Angie
Vor langer Zeit - Antworten
MerleSchreiber Die alten Fotos werden uns immer wertvoller, nicht wahr. Sie waren schwarzweiß, vergilben immer mehr und erhalten uns trotz allem die Farbpalette unserer Kindheit.
Vielen Dank, liebe Angie. Auch dir einen schönen 4. Advent!
Merle
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR 
"Du host ja noch mi."
Ach, liebe Merle, das sagt doch alles über dich! Einfach süüüß!
Auch der ganze Rest war wieder herzerwärmend.

Liebe Grüße
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
MerleSchreiber Beim Schreiben hab ich mir gestern gedacht, was wir damals doch für eine ungeheure Phantasie hatten. Wir lebten irgendwie ständig zwischen der Realität und unseren Phantasiewelten. Ich im Besonderen ; -)
Als wir ein Heidi Buch bekamen, wo man kleine Bildchen sammeln und reinkleben musste, ab da war ich natürlich die Heidi mit Peter und Alp-Öhi ... Und wir hatten auf dem Hof ja auch eine Geiß mit Namen Loni. Ach, herrje ich muss mich "zamreißen ;-)
Vielen Dank, liebe Fleur und einen schönen 4. Advent, Merle
Vor langer Zeit - Antworten
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