Weihnacht 1964
Warten auf das Christkind (Teil IV)
Im Alter haben Erinnerungen denselben Stellenwert wie in der Jugend die Träume
Erna Behrens-Giegl
Merle Schreiber Dez/2019
4. Teil
Während ich nachdachte, auf welche Weise ich dem Christkindl meine ehrliche Reue bezeugen könnte, fing es wieder zu schneien an und die Zwillinge begannen Kugeln für einen Schneemann zu rollen. Der Schwemmer Seppi setzte sich derweil auf seinen Schlitten und rieb sich seine frierenden Finger, weil seine Handschuh` vorne an den Kuppen große Löcher hatten. Ich gesellte mich mit der Moni zu ihm, gemeinsam schauten wir meinen
Brüdern beim Schneemann bauen zu. Das war dem Wiggerl aber gar nicht recht.
"He, der sitzt do mit de Weiba ummanand. Huif uns liaba, sunst reib i di ei", plärrte er und kam auch schon mit einer Ladung Schnee in seiner Faust auf den Seppi zu.
"N... n... na, i k...k... ko net", stammelte der und hielt dem Angreifer seine löcherigen Handschuhe entgegen.
"D... d... dös seagst glei, o... o... ob`st konnst oder net", äffte der Wiggerl den armen Seppi nach und steckte ihm den Schnee hinten beim Jackenkragen rein. Da hab ich mich aber blitzschnell aufgemandelt und den Wiggerl trotz meiner körperlichen Unterlegenheit gewarnt:
"Los den Seppi in Ruah, sunst kriagst glei
oane vo mia."
Der Hundling hat mich natürlich ausgelacht, aber das war mir egal, weil ich mich insgeheim so gefreut hab, dass ich endlich wieder was Gutes tun konnte. Darum hab ich dem Seppi auch gleich noch geholfen, den Schnee aus seinem Gwand zu klopfen.
Der Schwemmer Seppi war ein Gigitzer (Stotterer), aber da konnte er gar nichts dafür. Die Oma Fanni hat gesagt, dass seine Mutter, die Schwemmer Theres`, bei einem Gewitter just in dem Moment beim Kammerfenster hinausgeschaut hat, wie ein sakrischer Blitz heruntergefahren ist. Und da war der Seppi schon im Bauch von seiner Mama gewesen und hat sich so erschrocken, dass er dann das gigitzen angefangen hat. Man muss aber dazu
sagen, dass die Oma einen extremen Hang zum Aberglauben hatte, so dass man ihr auch nicht alles abnehmen konnte und für bare Münze halten durfte.
Wir haben uns dann schnell auf den Heimweg gemacht, weil wir von unserem Dahoam die Hofglocke hörten, die zum Mittagessen rief. Davor versöhnten wir uns noch alle miteinander, sogar mit Handschlag. Denn die Zwillinge sagten, nachdem sie erst eine Zeitlang miteinander getuschelt hatten, ihnen wäre eine wahnsinnig gute Idee für ein Spiel eingefallen. Und da dürften aber nur diejenigen mitmachen, die nicht nachtragend wären und vor allem kein Verklaghaferl (Verpetzer). Sowohl der Schwemmer Seppi
als auch ich wollten uns dieses Spiel nicht entgehen lassen. Aus den Brüdern war aber bis zu unserer Ankunft am Hoftor nichts herauszubekommen, so geheimnisvoll taten sie. Der Seppi ging weiter zum Schwemmerhof und wir hinein in die Kuchl, wo es nur das kalte Bradl (Schweinebraten) vom Vortag gab, weil ja Abends dann die Hochzeitssuppe mit allem drum und dran aufgetischt würde. Die Buben hatten wieder mal mehr Glück als Verstand, denn der Opa saß nicht beim Tisch dabei. Die Oma hatte ihn mit einer der toten Gänse, denen sie vor ein paar Tagen den Grong (Kragen/Hals) umgedreht hatte, in die Stadt rein zum Bader (Arzt) geschickt, damit die am 2. Weihnachtsfeiertag was Fettes - ähm - was
Feines zu essen bekämen. Überhaupt fügte sich auf wunderbare Weise eines zum anderen. Die Mutter trug mir auf, der Nachbarin Babette, der dieses Frühjahr der Mann gestorben war, eine Dose mit Leckerl zu bringen und die Buben sollten mit einem Rankl G`selchts zum Heublhuber Max. Der Heublhuber hatte als einziger im Dorf ein Auto und darum musste man ihn sich warmhalten.
"Oba um hoabe viere seid`s olle wieda do, do hoazt d`Oma s`Bodwossa o", sagte die Mutter mit strengem Ton, so dass wir uns alle ausgekannt haben. Wir nickten verständig, so dass keine Zweifel bei der Mama aufkommen konnten und sie uns mit den Leckerl und dem G´selchten gehen ließ.
Beim großen Brennholzstapel, gleich hinter unserem Ochsenstall, wartete schon der Schwemmer Seppi auf uns. Der Seppi, die Monipuppe und ich sahen gespannt auf die Zwillinge. Sie hatten den großen Bockschlitten dabei, die warme Schafwolldecke vom Kuchlkanapee und ein Hirschgeweih, das normalerweise an der Wand in der Fletz (Diele) hing, wo es dem Vater und dem Opa als Hutablage diente.
"Jiatz geht`s auf. Jiatz spui ma Schneekönigin", verkündete der Wiggerl und der Hansi grinste über`s ganze Gesicht.
Fortsetzung folgt