Vorbemerkung
Dies ist ein Juybeitrag zur Sp 79
"Mein Weg".
Es ist eine Kurzgeschichte mit wahrem Hintergrund. Namen und Story sind erfunden, die Örtlichkeiten und die beschriebenen Umstände entsprechen der Realität.
(nachdem ich angegriffen worden bin, dass ich illegales Material verwendet hätte, habe ich mich kundig gemacht. Es steht diesem Büchlein, ohne wirtschaftliche Interesse nichts im Wege)
Gute Unterhaltung!
Copyright: G.v.Tetzeli
Internet Site:
www.welpenweste.de
Mein Weg
Arafin saß auf der Terrasse in seinem Schaukelstuhl und sah zu, wie die Waage 63 Kilogramm anzeigte. Der Alte im Schaukelstuhl nickte wohlgefällig, weil Ahmed, sein Sohn, eine ordentliche Ladung angeschleppt hatte. Direkt neben der Waage gab es eine Schranke, dahinter ein Kabuff für die Auszahlung. 63 Kilo ergaben genau 50.000 Rupiah Entlohnung. Das entspracht 3 €. Wenn Ahmed sich zusammenreißen würde, dann könnte er sogar noch eine zweite Ladung bis spät in der Nacht heranschaffen. Das ergäbe einen Tageslohn für 14 Stunden Plackerei von sage und schreibe 6 €! Arafin wusste genau, welchen Weg sein Sohn zu
beschreiten hatte. Es war sein Weg. Er war ihn sooft hinauf und hinuntergelaufen, dass er ihn verinnerlicht hat, praktisch hatte er sich 20 Jahre lang gesagt:“Das ist mein Weg.“ Um den Ijen Vulkan war das Erdreich äußerst fruchtbar. Es gab Tabak- und Zuckerrohrplantagen, sowie Gewürznelkenanbau. In der Gegend um Banyuwangi, einem kleinen Hafen im östlichen Java, gabt es einfach kaum Arbeit. Als Erntehelfer und Pflücker konnte man ab und an auf einen Einsatz hoffen, aber der Lohn war erbärmlich und außerdem Saison bedingt. Arafin war in seiner Jugend drahtig, zäh und kräftig gewesen. Er fand seine Berufung als Mineur. Er wurde Schwefelbrecher. Nun hatte er eine gewisse
Beruhigung in sich. „Sohn Ahmed geht meinen Weg“, dachte er und seufzte. Er hatte eine einfache Jutedecke über seinem Schoss liegen. Dann bekam er wieder einen fürchterlichen Hustenanfall. Arafin war 50 Jahre alt und das war schon ein grenzwertiges Alter für einen Mineur. Der Schwefel ist zwar ein Abfallprodukt der Erdölindustrie und günstig zu erstehen, aber für die Zuckerrohrplantagen, für das Bleichen des Zuckers, ging es eben durch die Mineure noch billiger.
Ahmed ging Vaters Weg und dachte sich, dass der Besitz des Weges auf ihn übergehen würde. Er kam bei der Mine an. An den Fumarolen waren Röhren angebracht. Durch diese schoss der 240 Grad heiße
Dampf und am Ende war er so weit ausgekühlt, dass sich dort Schwefel ablagerte.
Bester, frischester, reiner Schwefel. Wenn er ganz frisch und warm war, hatte er eine orangene, rotbraune Farbe, wie eine Mandarine, wurde er kälter, entstand das reine Gelb. Allerdings wurde er dann auch
steinhart.
Mit einem Brecheisen wurden dann die Stücke herausgeschlagen. Das war nicht nur anstrengend an sich, der Rauch raubte zudem den Atem auf einer Höhe von 1800 Metern. Wechselte der Rauch die Richtung musste man pausieren. Dann führte der Weg auf gut 200 Meter steil hinauf, bis sich der
Abstieg über „den Weg“ zur Wiegestation hinunterschlängelte. Insgesamt waren bei dieser Tortur rund sechs Kilometer zurückzulegen.
Die Beute, der Schwefelstein, nochmals in Split mühsam zerhackt, wurde in zwei Körben, die mit einer Rattan Stange verbunden waren, geschultert. Der steile Weg bergauf war also mit fünfzig bis sechzig Kilo auf der Schulter zu bewältigen. Die beißende Luft führte zu offenen Hautstellen, die nie verheilen konnten. Wechselte der Dampf die Richtung, warfen sich die Mineure auf den Boden. Nasse Tücher wurden in den Mund gestopft, um eine Art Gasmaske zu ersetzen und so die Lunge provisorisch zu schützen. Echte Gasmasken konnte sich niemand leisten, denn das Geld wurde dringend für die Familie gebraucht und auch zum Beispiel den alten Arafin versorgen zu können. Tigerbalsam war beliebt, um dem ätzenden Geruch entgegen
zu wirken.
Arafin dachte an die große Zeit, als er zu einem Fire Fighter aufstieg. Er war einer derjenigen, die das Feuer zu löschen hatten. Wenn der Jien garstig war und aktiv wurde, überstieg die Temperatur der austretenden Dämpfe an den Kühlröhren die 240 Grad. Es konnte bis zu 600 Grad heiß werden. Und ab 240 Grad entzündete sich der Schwefeldampf und bot in der Nacht ein einmaliges Naturschauspiel. Es schien so, als ob saphierblau leuchtende Lava fließen würde. Es ist der brennende Schwefel, der sich durch die Hitze verflüssigt und in den See der Caldera abfließt.
Das war damals für Arafin entscheidend, denn er verließ seinen Weg, nahm die rechte
Verzweigung um von dort aus mit Wasser den brennenden Schwefel an den Kühlrohren zu löschen.
Die Rohre gingen sonst viel zu früh kaputt und neue anzulegen war mehr als mühsam und gefährlich. Als Feuerlöscher jedenfalls war er sozusagen beruflich aufgestiegen. Das war aber reine Nachtarbeit, weil man tagsüber
den flammenden, entzündeten Schwefel nicht sehen kann. Dafür war der Lohn noch etwas besser. Er hustete wieder. „Hoffentlich verlässt Ahmed meinen Weg nicht“, betete er. Es gab genügend Opfer, die mit der schweren Last ausgerutscht waren. Meist endeten sie als Krüppel, wenn sie nicht gar in den Säuresee stürzten.
Die Caldera des Ijen beherbergt einen See, der bei klarer Sicht einem fast schönen, türkisblauen Süßwassersee gleicht.
Dieser 180 Meter tiefe Säuresee Kawah Jien mit einem Umfang von 75 Kilometer hat einen pH-Wert von 0,2. Das größte, natürliche Säurefass der Erde.
Richtungsweisend war in neuester Zeit, dass sich das einmalige Schauspiel der blauen
Lava touristisch verwerten ließ. Inzwischen drängelten sich tausende Touristen auf seinem Weg und behinderten die schwer beladenen Mineure.
Selfies wurden geschossen und das ließ man sich bezahlen. Dafür lächelten die Mineure für das Foto, als ob sie den schönsten Job der Welt hätten. Immer mehr Menschen in der
Umgebung des Ijen Vulkans versprachen sich Profit durch diesen Tourismus. Übernachtungsmöglichkeit, Souveniers, Snack Bars, alles entstand hier. „Nicht mein Weg“, grübelte der Alte. Es lief ein Graben zwischen der modernen Zeit und der damaligen Lebensweise. Inzwischen ist der Fremdenverkehr derart lukrativ, dass die Mineure mit ihrer lebensgefährlichen und quälenden Schwerstarbeit immer weniger werden. Der Ijen würde sich rächen. 1817 schoss eine Schlammfontäne in die Luft, die weit über den 200 Meter hohen Kraterrand schwappte. Felder und unzählige Menschen begrub der tödliche Auswurf. 1976 tötete der Gasausbruch im See alle 50 Mineure und 1989 starben 25 Arbeiter. Nun missbrauchten
Touristen seinen Weg. Tief unten fast auf der Höhe des Sees bei den Solfataren kam es gerade zu einer kurzen Gasembolie, die Ahmed erwischte. Nur einige Mineure konnten rechtzeitig weglaufen.
Die Touristen knipsten das tolle Ereignis in der Nacht.
Und auch Vater Arafin blieb aus gesundheitlicher Sicht nur noch ein kurzes Zeitfenster.
Ijen war unerbittlich.