Der grüne Edding
Wo war nur der grüne Edding, den ich erst gestern gekauft hatte?
Ich hatte schon alle Schubladen durchwühlt und sogar die Spielzeugkiste meiner Tochter ausgeleert, doch der Stift blieb hartnäckig verschwunden. Seufzend machte ich mich auf dem Weg ins untere Stockwerk, als mir ein grüner Strich an der Wand knapp unter dem Treppengeländer auffiel. Nicht etwa ein kleiner Strich, oh nein! Es war viel eher eine, in unregelmäßigen Wellen verlaufende Linie, sozusagen eine
Darstellung aller Berge der Schweiz. Mir schwante Fürchterliches.
Ich folgte diesem auffälligen grünen Beweis für den Stift-Raub bis ins Wohnzimmer. Dort kniete meine vierjährige Tochter, mitsamt Nachthemd und Flipflops vor der weißen Wand und bekritzelte diese voller Hingabe. Händchenhaltende Strichmännchen, eine große grüne Sonne und verschiedene grüne Häuser in grün gestrichelten Gärten, mit grünen Blumen und Bäumen. Die kleine Künstlerin sah mich vorwurfsvoll an.
„Es gibt nur grün!“ Erklärte sie. „Die Sonne sollte aber gelb sein. Warum hast du keine gelbe Stifte,
Mama?“
Ich stand nur da, stöhnte innerlich sehr laut und starrte auf ihre ausgiebigen Zeichnungen. Den Edding bekam man so nicht mehr weg, ich würde die ganze Wand streichen müssen. Sie hatte bereits anderen kindlichen Attacken standgehalten. Im hohen Bogen ausgespuckter Rosenkohl, hinterlässt übrigens wie ich herausfand, ebenfalls hässliche Flecke.
Mein Kind ist nun längst erwachsen. Angemalte Wände, verlorene Socken, abgerissene Barbieköpfe, Streitereien, Lachen und einige Tränen, Elternabende und Zeugnistage liegen hinter uns.
Und wer hätte wohl je gedacht, dass ich
einmal voller Melancholie und Sehnsucht auf diese Zeiten zurückblicken würde.
Copyright Nina P.Câmara August 2019
Malte
Seit einer guten halben Stunde saß Verena nun schon an ihrem perfekt aufgeräumten Schreibtisch. Sie starrte gedankenverloren aus dem Fenster, während sie am Ende ihres Stiftes kaute. Eine blöde Angewohnheit, die sie seit ihrer Schulzeit praktizierte.
Sie saß hier, um ein „Willkommen Zurück“ Schild zu malen.
Für ihn.
Für Malte, der zum Bergsteigen für ein paar Wochen in die Schweiz gereist war.
Seit drei Jahren waren sie ein Paar. Verena, die Finanzberaterin und Malte der Freizeit
Animateur.
Sie hatten sich eines Tages in Berlin kennengelernt, als sie nebeneinander im Mauerpark auf der Wiese saßen und irgendeiner Band zuhörten.
Malte mit seinen verwuschelten blonden Haaren, blauen Augen, einer alten Jeans und ausgebleichten T-Shirt.
Sie hatte sich sofort von ihm angezogen gefühlt, mit seiner frischen Jugendlichkeit und seinem ungezwungenen Lachen.
Er war so vollkommen anders gewesen, als die Männer mit denen sie normalerweise zu tun hatte.
Männer in teuren Anzügen und manikürten Fingernägeln.
Malte jedoch, der war Abenteuerlust und Spontanität pur.
Und er war so jung. Ganze zwanzig Jahre lagen zwischen ihnen.
Das sei ihm egal, hatte er ihr hingebungsvoll erklärt, als er bei ihr einzog.
Als sie nun aber nachdenklich aus dem Fenster sah, überkam sie der Gedanke, dass der Altersunterschied wirklich nicht ihr größtes Problem war.
Denn tatsächlich machte Malte sie inzwischen rasend. Er war nämlich der Herr der drei U´s :
unorganisiert, unpünktlich und
unordentlich.
Das Zusammenleben mit ihm zog täglich ein bisschen stärker an ihrem inzwischen ausgedünnten Geduldsfaden.
Sie besah sich das angefangene Plakat auf dem Tisch und seufzte. Dann zerriss sie es in kleine Stücke.„Willkommen Zurück“ passte einfach nicht mehr.
Copyright Nina P.Câmara, August 2019