Reisen
Eigentlich ist das Leben, wie ein Film. Nur kann man ihn sich nicht reinziehen, weil - man spielt selber mit. Wie das mit der Rolle klappt? Leider hast du keinen Agent und das Vertreten deiner Rechte in einer Welt, wo Andere, meist Mächtigere das Sagen haben, scheint unmöglich. Es ist auch wie ein Spiel - unser Leben. Immer kommt wer weiter. Auch wenn du glaubst verloren zu haben, auch du kommst weiter. Weil - wir sind ein Teil in dem Theater, auf diesem kleinen Kugelfloß „Erde“, das im Universum schwimmt und wiederum EIN Teil dessen ist. Zum Film wollte ich zurückkommen, weil dies Niederschreiben wie ein Film ist. Klappe reiht sich an Klappe und so entsteht der Eindruck eines bewegten Lebens. Will sagen, ich habe bestimmte Tage nicht vergessen, aber sie erscheinen in meiner Erinnerung nicht mehr so stark; Anderes war wichtiger. Wenn ich postuliere oder gar feststelle, dass Film = Illusion ist, wie würde die Gleichheitsthese zum Leben lauten? Passt nicht, denn der Film wird aus Versatzstücken gemacht, unser Leben erscheint so, weil unser Gehirn in genialer Weise seine Speicherkapazität umschichtet, je nach Alter und Erfordernissen bzw. Anfragen/ Training. Immer war ich gern auf Reisen. Meine Bücher, die ich las, waren solche Reisen und meine Nächte waren voll davon. Wenn sich wer auf den Weg machte, dann erlebte er etwas oder kam irgendwo an, wo ihm Wunderbares oder Abenteuerliches wieder fuhr. Instinktiv (damals durchschaute ich das noch nicht) erlebte ich deshalb das Reisen so. Immer war ich zu früh munter. Immer war ich aufgeregt. Immer war ich ungeduldig. Da sollte doch wohl etwas passieren, etwas zu sehen sein, was ich noch nie gesehen hatte. Und so war es. Andere Menschen, Landschaften und Gebäude - Licht, Geräusche, Farben, immer war Alles anders. Noch heute ist das so, bloß vielleicht bewusster - damals als ich Kind war, war es emotional tiefer. Meine richtigen Reisen waren kurz. Zur Omi oder Oma - 5 km, nach Arnstadt mit dem Fahrrad - 22 km, ins Kinderferienlager oder mit Vater nach Leipzig - ca. 200 km. Beim Schreiben fällt mir plötzlich auf, dass ich ja über Reisen schreiben wollte. Verloren hab’ ich wohl die Reisetage, weil in alten Fotoalben, dem Standardkindergeburtstagsgeschenk, da kleben ein paar Bilder und werden gelb nach Jahren. Was vom Reisen in mir blieb, sind solche Highlights, wie meine erste Liebe in Storkow. Neulich haben wir davon erzählt und auch von ihr klebt ein Bild in einem jener Alben. Karin war ihr Name und sie war auch noch blond. Rückblickend kann ich nur wieder sagen, typische Kopie der Großen. Nur weil die... Wir mussten ja nicht, aber--- da war der Sommer, die Sonne (soll ja gut sein), und der Duft der Linden. Später war da so ein Ziehen in der Brust, woher nur? Und da war Küssen wichtig, weil - die Großen taten’s auch. Wir machten Spiele und bauten Verstecke, in die man als Spielgewinn, Mutprobe oder nur so zum Küssen musste. Was da mit einem passiert, wenn scheinbar gar nichts passiert, ist wie der Stimmbruch, es kommt, weil es muss. Das Ziehen in der Lendengegend, die erste Erektion und erste feuchte Träume, ich hatte ja ‘nen Bruder und der hatte Freunde, die wussten was das war. Reisen war unterwegs sein. Ich war gerne unterwegs. Wege waren spannend, manchmal im Zug ermüdend. Noch heute bin ich gern „on the road again“. Offenbar ist all’ das in mir gemischt, was ich als Lesestoff verinnerlichte. Märchenfiguren, Robinson, das kleine Männchen mit dem großen Hut, Jack Londons Golfieberfiguren, P.Kortschagin und T. Dreiser’s Helden, die Helden der Kommune, wie auch Lenin und seine Mitkämpfer, E.Cheguevara und andere namenlose Kautschukrevoluzzer bis hin zu dem General Tschu Te auf dem großen Marsch durch China. Tolle Mixtur. Nicht das Ziel war es wert, das Reisen - da verblieb ich ja nur Stunden, manchmal Tage. Wie auch immer, der Weg war das Ziel. Auf den Weg machen bedeutete: „Bereit sein!“ Da sagt Irgendeiner „Immer bereit!“, was auch sonst. Reduzier’ ich das, dann ist jeder neue Tag eine Reise, an dessen Ende wir an den gleichen Platz zurückkehren, doch eben einen Tag älter und auch die Umwelt hat 24 Stunden weg. Leben ist Reisen, Jeder hat eine, seine eigene Reise. Wann sie beginnt, entscheiden Andere, das sie endlich ist steht fest. Wie lang sie ist und wo dein Weg entlanggeht entscheidest du zum Teil allein. Hier sollte ein Aufschrei stehen: „Warum hat mir das Keiner vor 25 Jahren gesagt!“ Aber Reisen ist auch eine immerwährende Passage in einer Welt, in der du auf Neuigkeiten triffst. Auf Menschen, die es wert sind überliefert zu werden, wie Ausgrabungen der Archäologen. Auf Länder und Landschaften, die einen genauso anrühren, wie Menschen, in die du dich verlieben kannst und wo du dich zu Hause fühlst. Beim Schreiben erlebst du’s so, wie’s war und gehst den Weg ein zweites Mal. Dem Beginn eines Tages entgegen schreiben ist ein doppelter Gewinn, denn du begibst dich bewusster auf den Weg, wenn alles aus der Stille zum Leben erwacht. Das Ende des Tages ist ganz anders. Da lässt alles nach, wird müd’, ist getan. Planungen sind eitel, doch typisch Mensch. Ein „Zeitgeländer“ für die, die nicht improvisieren wollen oder denen es gut tut, wenn Abschnitte abgesteckt vorliegen. Leere, Schritte auf nassem Pflaster.