Der „Waffenschmied“
eine HOG - auf deutsch HO - Gaststätte. Wer wusste was in ist, der kannte ihn. Als die Herren aus Fernost nach Ilmenau kamen, um im IGI Glasmaschinen zu montieren hatte er seinen Kulminationspunkt als Thüringer Spezialitäten - und Japanrestaurant schon überschritten. Die DDR orientierte sich an dem Wirtschaftsaufschwung des Landes im Osten. Schon kam wer drauf, dass Geschäftsabschlüsse am besten in angenehmer Atmosphäre laufen. Wenn Herren (sie waren keine Kollegen, so wurden wir belehrt), wenn also solche Herren kamen, dann mussten Direktiven geschrieben werden. Direktiven für die Arbeit und danach. Da wir was hatten, so konnten wir was zeigen. Von Mund zu Mund ging der Name „Waffenschmied“ und Leute, die in waren kannten den Chef Rolf Anschütz, genannt der Anschütz- San. Wollte ein Alltagssozialist oder eben ein Normalverbraucher zum Gastmahl, dann musste er sich anmelden, kam auf Wartelisten und wartete. Warten war Programm. Nur wer R.A. kannte wartete nicht. Mein Engel hieß Zufall. In Berlin UdL (Unter den Linden) kreuzten sich unsere Wege. Mit R.A. durch Berlin, eine Nacht der Superlative. Er war so, wie ich werden wollte. Alles was er machte, tat er extrem und mit vollem Einsatz. Er war krank, ging aber auf Reisen. Er hatte’s mit der Pumpe aber soff ohne Grenzen. Am Morgen war er fit und bot dem Tag die Stirn. Nach dem Crash und meinem Berlinverbot von einer Woche kam ich zu Weihnachten mit Mike Henselmann und seiner Brig nach Suhl. Gastmahl mit Mike, diesmal konnte ich was vorzeigen und ich habe sicher angegeben, wie eine Lore nackter Affen. An Stelle meiner Gattin war Nachbars Gabi mit, man konnte sie vorzeigen.
Gabi war mir in dem Gartenlokal Gottessegen auf gefallen. Sie war gut gebaut und hatte etwas jugendlich Frisches. Wie wir zu Gabi in Kontakt kamen ist vergessen, jedenfalls kam sie schon mit zur Feuerwehrweihnachtsfeier des GAN schon mit, sicher weil Monika keine Lust hatte. Später hat sie mit Sandra gespielt, ihr Papa Willy hatte einen Garten über dem Hangeberg und Ihre Mutter starb plötzlich an Krebs. Gabi lernte an der TH, bekam ziemlich früh zwei Kinder, hatte immer mit ihren Zähnen zu werkeln und bald war der Lack und der frische Glamour weg. Heute sieht man sich by the way, wünscht „Schönen Tag“ und „Guten Weg „ - ‘s war easy wie die Jahre eben oder waren wir es selbst? Damals hatten wir Spaß im „Waffenschmied“. Erst gab’s einen Kimono für jeden Gast und es war schon ‘ne Schau, wie albern sich die steifen Spießer hatten, wenn sie sich nur verkleiden konnten. Vom Gastmahl ist mir zwar die Speisefolge nicht mehr in Erinnerung - ‘s war eh Spitze. Dann gingen alle Damen in das Bad im Erdgeschoss, nur Mike machte Trouble, weil seine Frau, durfte kein Fremder nackt sehen. Ich tat es ihm gleich, so bekam ich wenigstens keinen Appetit... Es war eine fiktive Reise in ein fernes Land, eine Entschädigung mit dem fatalen Rückschlag, dass eine Stimme im Hintergrund sagte: „Da kommst Du nie im Leben hin!“ Ich hatte an diesem Abend mit der Tücke meines Kimono zu kämpfen, denn ohne Anleitung hatte ich mich darunter völlig frei gemacht und in der ungewohnten Sitzhaltung rutschte mir das Kleidungsstück immer wieder in eine allzu offenherzige Lage. Die Unterwäsche muss man eben drunter lassen, die nach mir sollten ’s vielleicht wissen. Meine Begeisterung für den Anschütz - San kannte keine Grenzen, ich wollte ganz und gar bei ihm arbeiten. Später begann er mit dem Bau eines Bettenhauses, denn es gab ja nicht mal ‘ne Übernachtungsmöglichkeit für die weit gereisten Gäste. Aus dem Projekt wurde nichts, noch 1982 lud uns R.A. zum 15. Jubiläum ein und spendierte ein komplettes Gastmahl, was selbst seine Angestellten kaum glauben konnten.
War ich in Suhl, suchte ich ihn auf. Wir saßen an ‘nem separaten Tisch, plauderten eine Biege und tauschten Neuigkeiten aus. Es blieb ein Refugium, eine Insel in der Plattheit der durchschnittlichen Gegenwart. R.A. hatte später Zoff mit der Bezirksleitung der HO, der Huppi saß dort in der Chefetage und die geschiedene Gattin von Gerd Rössler traf ich da als Angestellte der Werbeabteilung. Anschütz hatte dann eine kleine Gastwirtschaft, war Jahre danach auf dem Weg nach Berlin ins „Grandhotel“, wo er auch keinen neuen Anfang fand. Mit der Wende tauchte er wieder in Oberhof auf und die lokale Presse zerrte den Backround der „Waffenschmied Schmieren Komödie“ ans Licht des Tages, um den Meister zu rehabilitieren oder gar die alte Spitzengastronomie zu reaktivieren. Pustekuchen - aus die Maus, ich schrieb auch einen Leserbrief voller Wut und Ironie. In Suhl gab es eben neben der Rührvolksheimatschnulzendudelei eines H. Roth auch echte Newcomer von Weltklasse. Wichtig ist die Erkenntnis, dass unsere Staatsführung jene Klasse haben wollte, sie dümpelte aber in Wahrheit auf der Geschmacksebene von Heino und Laurentia - sie waren so durchschnittlich und billig wie ihr Land. R.A. hatte in Oberhof mit einer neuen Frau begonnen, wir besuchten ihn in der Anfangszeit nach der Wende, wo noch unklar war, ob er sein „Sakura - Hotel“ behalten würde. Noch mal von ganz vorn angefangen, ein neues Bad mit Blick zum Schneekopf hat er aufgebaut – wie viel Mut dazu gehört und Kraft! Das er ein Mann mit Profil gewesen ist, einer der wenigen, die Charisma ihr eigen nennen konnten - so soll er als Gemälde stehen bleiben, der Meister vom „Waffenschmied“, der Deutsche vor dem die Japaner den Hut zogen und einer der Kerle, die ich Vorbild nennen will.
Wenn der Barpianist die letzte Saite mit dem Pedal zum Schweigen bringt und die Rauchspirale sich von der Zigarre in das Dunkel der Nacht stiehlt, hört keiner den letzen Akkord.